Foto: David Jerusalem
ANDREAS SCHAGER
Einst als
„reiner Tor“ geboren…
Für alle Wagner-Fans und –Kenner ist er schon seit Jahren eine Nr.1: Andreas Schager. Endlich ist er auch an der Wiener Staatsoper gelandet und singt nach dem Apollo in der Wiederaufnahme der „Daphne“ nun seine erste Premiere: den Max im „Freischütz“. Andreas Schager hat mit der im Moment viren-verseuchten Renate Wagner ganz liebenswürdig am Telefon geplaudert.
Herr Schager, ich muss zu Beginn sagen, wann Sie mich voll Wagner-Ehrfurcht in die Knie gezwungen haben: Als Sie im April 2017 in Wiesbaden innerhalb von fünf Tagen hintereinander Siegmund und die beiden Siegfriede gesungen haben. Und noch dazu in solcher Qualität. Ich glaube nicht, dass viele Kollegen das könnten oder täten. Dagegen ist der Max ja eine leichte Übung?
Ich erzähle gerne, wie Bobby Herzl mir aus seiner grenzenlosen Theatererfahrung heraus geraten hat, ich solle die Finger vom Max lassen, mit dieser Rolle gewänne man keine Blumen. Aber Max ist in unserer Produktion sehr vielschichtig geworden, ganz ins Zentrum des Geschehens gerückt. Schließlich ist er das einzig „Reale“ auf der Bühne, alles andere spielt sich nur im Kopf ab. So ist er wirklich ein Titelheld und als Figur sehr interessant und mit besonderer Energie aufgeladen.
Sie haben die Rolle ja zwischen Klagenfurt, Berlin, Köln und Dresden in verschiedenen Inszenierungen gesungen. Immer ein anderer Max?
Ja, und das waren teils komplett extreme Geschichten, am konventionellsten noch in Dresden. Aber die Wiener Inszenierung von Christian Räth ist sehr clever, sie funktioniert – und wenn man sich als Sänger wohlfühlt, ist man auch besser. Allerdings liegt hier in Wien auch ganz viel am Umfeld und den Kollegen – wenn da die Philharmoniker im Graben sitzen, wenn man Partner hat wie Camilla Nylund, Daniela Fally, Alan Held und all die anderen – es ist eine Riesenfreude hier, ich muss der Staatsoper mein großes Kompliment aussprechen.
Andreas Schager als Max im „Freischütz“ / Foto: Wiener Staatsoper, Pöhn
Das führt gleich zur Frage: Warum singen Sie so spät hier? Gilt der Prophet nichts im eigenen Land? Oder soll man sagen „Besser spät als nie?“ Immerhin sind Sie schon seit gut fünf Jahren an der Wagner-Weltspitze, und wer ein bisschen über die Nasenspitze hinaussieht, hat Andreas Schager hier vermisst.
Also, ich muss wirklich sagen, dass Dominique Meyer oft versucht hat, mich nach Wien zu holen, aber der Apollo in „Daphne“ war wirklich das erste Mal, dass es sich terminlich ausgegangen ist. Ich bin schließlich bei Barenboim fest an das Haus gebunden, und ich verdanke ihm so viel, dass ich auch immer da bin, wenn er mich nach etwas fragt. An sich habe ich als Ensemblemitglied nur 15 fixe Abende in Berlin, aber ich gehöre dort dazu. Man hat an der dortigen Staatsoper auch eine ganz andere Philosophie als in Wien. Hier hat man ein sehr großes Ensemble, mit dem man die mittleren und kleinen Rollen bestückt, und holt die Gäste für die großen Rollen. Berlin hat Leute wie Pape oder Marina Prudenskaya im Ensemble und sorgt dafür, dass es für diese seine Stars dann auch immer die großen Rollen gibt, die gerade richtig sind. Ich habe dort zuletzt in einer Premiere den Tristan gesungen.
Aber in Zukunft werden wir Sie in Wien öfter sehen?
Ja, und es wird vor allem mein allererster Lohengrin sein, den ich im Herbst hier singe.
Womit wir bei Richard Wagner sind – Sie haben fast alle seiner großen Rollen gesungen, Rienzi, Erik, Tannhäuser, Siegmund, die beiden Siegfriede, Tristan, Parsifal. Der Lohengrin kommt im Herbst – es fehlt eigentlich nur der Stolzing.
Den hat man mir schon oft angeboten, Katharina Wagner hat gesagt: „Du musst den Stolzing singen!“ und ich will es auch tun, aber bisher hat sich kein Termin dafür ergeben. So eine Rolle schüttelt man ja nicht aus dem Ärmel – aber er wird natürlich kommen.
Und wenn man ihn dann lernt – wie geht das?
Zuerst sieht man sich die Noten an. Wie liegt die Rolle, wie lang ist sie, wo liegen die Schwierigkeiten. Dann gehe ich zu meinen Leuten, in Wien beispielsweise zu dem Pianisten Matthias Fletzberger, der ein so ungeheuer großes Wissen hat, technisch wie musikalisch. Und dann kommt der Moment, wo ich mir viele Aufnahmen der Vergangenheit anhöre, wie hat das Windgassen gemacht – man wird ja nicht so dumm sein, die indirekte Hilfe derer zu verschmähen, die das wunderbar gekonnt haben. Und dann geht man lernen – durchaus beim Spazierengehen, im Wald oder in den Bergen. Den Parsifal habe ich so gelernt, die Kopfhörer auf, einsam durch die Bergwiesen spazierend, als ich wieder einmal bei meiner Schwester am Bauernhof war – und auf einmal drehe ich mich um, und da stand eine Schar Kühe in Reih und Glied und starrte mich an… Glücklicherweise hatte ich mein Handy dabei und habe das gefilmt, das glaubt mir sonst keiner.
Und diese Wagner-Partien, die ja so verschieden sind – ist Ihnen eine darunter die liebste?
Nein, ich kann aus ganzem Herzen ehrlich sagen, dass die Rolle, die ich gerade singe, mein liebstes Kind ist. Man taucht ja immer in eine eigene Welt ein, und das ist bei Wagner ja so faszinierend. Wenn man mich fragt, was mir am besten liegt, würde ich auf Grund meiner Herkunft sagen, die „Naturburschen“ wie Parsifal und Siegfried – der reine Tor, das war einmal ich, das Kind am Bauernhof.
Zum Thema „Parsifal“: Ich habe Ihren Berliner Parsifal ja nur auf DVD kennen gelernt, Dmitri Tcherniakov war da recht extrem, wie Sie da naiv mit dem Rucksack hereinstolpern und die Gralsritter eine Art Sandler-Partie im Untergrund darstellen. Aber Sie kommen auch gerade von einer Pariser Inszenierung von Richard Jones, wo Sie in kurzen Hosen herumgehen mussten und die Gralsritter eine Art Sekte waren. Und bei Uwe Eric Laufenberg in Bayreuth ist der Parsifal wieder ganz anders. Lernt man eigentlich bei so verschiedenen Inszenierungen selbst etwas für die Figur dazu, die man darstellt?
Ja, absolut, jede Inszenierung bringt etwas Neues für die Rolle. Wobei ich eine Lanze für Tcherniakov brechen will, der wie kein anderer die Figuren psychologisch angeht, der sich bis in deren Kindheit zurück überlegt, warum ein Charakter das geworden ist, was er ist. Man taucht auch mit jeder Inszenierung in eine neue Welt ein. Und wenn es Dinge gibt, die mir für meine Figur absolut nicht einleuchten – dann spreche ich mit den Regisseuren und vertrete meine Position sehr stark, diskutiere das Problem. Man muss es mir schon erklären, wenn man mich überzeugen will.
Es gibt einen Künstler, der derzeit sehr umstritten ist, für Sie aber von großer Bedeutung war: Gustav Kuhn. Schließlich hat er in dem Operettentenor, der Andreas Schager damals war, den Wagner-Tenor gewittert und erkannt?
Gustav Kuhn und Erl waren für mich ein Segen, er war wirklich der Erste, der aus meiner Stimme den Wagner-Sänger heraushörte. Er ließ mich den David singen und den Steuermann und später auch den Florestan, so hat es für mich eigentlich begonnen. Ich weiß, was man den Festspielen Erl heute vorwirft – ich kann nur sagen, die Gagen waren so, wie ich sie in meiner damaligen Situation auch anderswo bekam, eher ein bisschen mehr, und die Arbeitsatmosphäre war wunderbar. Vor allem die drei Wochen Vorproben in Lucca, das war wirklich ein Gegenmodell zum herkömmlichen Betrieb. Da lebten alle zusammen, probten zusammen, man hat zusammen gegessen, getrunken, die Zeit gemeinsam verbracht, und das alles in dieser wunderschönen Gegend. Ich habe das für mich persönlich als positiv und gewinnbringend empfunden.
Ihr deutsches Fach ist ja neben Wagner nicht so breit – Florestan, bei Strauss Apollo und Bacchus und Menelas, Kaiser fehlt da noch, früher haben Sie Tamino gesungen, jetzt wieder Max – ist da für Sie noch viel drin? Und wird sich für Sie nicht einiges ändern, auch im technischen Zugang, wenn Sie sich dem italienischen Fach zuwenden, was Sie ja in Bezug auf Verdis Othello angedeutet haben?
Also der Kaiser in der „Frau ohne Schatten“ kommt noch, ich darf noch nicht sagen, wo, aber später auch in Wien. Der Paul in der „Toten Stadt“ fehlt mir noch, aber Sie haben recht, ich bin sehe mich als ein Sänger des deutschen Fachs und dabei wird es noch längere Zeit bleiben.
Haben Sie überhaupt jemals einen Italiener gesungen?
Eigentlich nicht. Das heißt, vor vielen, vielen Jahren einmal den Borsa in „Rigoletto“…
Ich denke, das zählt nicht.
Sicher, Verdis „Othello“, das ist eine wunderbare Musik, und wenn es sich einmal ergibt, mache ich es vielleicht aus sportlichem Ehrgeiz… Bei meinen Solo-Abenden habe ich natürlich immer großen Erfolg mit italienischen Arien, aber wer kann mit „Nessun dorma“ nicht beim Publikum punkten?
Jetzt muss ich ansprechen, was ich in vielen Kritiken lese, auch selbst immer wieder denke – wie kann man so verschwenderisch mit seiner Stimme umgehen als gäbe es kein Morgen? In Wiesbaden hat mir Uwe Eric Laufenberg gesagt: „Und er singt auch bei den Proben aus!“
Ja, natürlich, sonst macht es ja keinen Spaß! Ich sage es immer wieder: Was ich auf der Bühne mache, kostet ja nicht nur Energie, es bringt auch Energie. Nach einer gelungenen Vorstellung würde man sie am liebsten gleich noch einmal singen. Nach einem Wagner-Abend ist man erfüllt von Glück. Man hat mir einmal einen Sänger zitiert, der gesagt haben soll, ein Tristan fühle sich an wie ein Autounfall. Dazu kann ich nur sagen: Da soll man besser die Finger davon lassen.
Darf ich auch etwas Privates fragen? Das Baby, das Sie und Ihre Gattin Lidia Baich angekündigt haben, müsste ja schon da sein?
Ja, Lorenz David ist seit sechs Wochen da, und ich bin ein begeisterter Vater und glücklich, dass ich das noch einmal erleben darf. So ein Baby im Arm zu halten, das einem zulächelt und womöglich noch in meinen Armen einschläft – es gibt nichts Schöneres auf der Welt. Meine Frau hat ja ihre eigene Karriere, und wenn sie nicht da ist, dann übernehme ich die Kinder – ich habe ja noch einen „Beutesohn“ aus Lidias erster Ehe.
Ihre Frau wird ja als Geigerin bei dem Liederabend dabei sein, den Sie im Herbst in der Staatsoper geben?
Nein, das ist nicht mein Abend, das ist unser gemeinsamer Abend, ein wirklich abwechslungsreiches Programm, das wir schon beim Tokio Spring Festival absolviert haben und vor Wien auch noch in Berlin in der Staatsoper hören lassen. Es ist eine wunderbare Gelegenheit, Berufliches und Privates zu verbinden.
Nachdem wir Sie so lange vermisst haben, mögen Sie hoffentlich für Ihre Wiener Fans in allen künftigen Jahren Stammgast an der Wiener Staatsoper sein. Besten Dank für das Gespräch.