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Andreas Oplatka: ADAM FISCHER

20.08.2019 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Andreas Oplatka:
DIE GANZE WELT IST EIN ORCHESTER
DER DIRIGENT ADAM FISCHER
Biographie
288 Seiten, Zsolnay Verlag, 2019

70 ist heutzutage kein Alter, am allerwenigsten bei Dirigenten, von denen viele – sie gelten als langlebige Spezies – bis in die hohen Achtziger tätig sind. Da hat Adam Fischer, geboren am 9. September 1949 in Budapest, also noch Zeit für vieles. Diesen Sommer 2019 dirigiert er bei den Salzburger Festspielen zwei Mozart-Matineen am 24. und 25. August, bevor er weiterzieht, um in München und Hamburg Opern zu dirigieren, ebenso wie an der Wiener Staatsoper, wo für ihn im November einige „Don Giovanni“-Vorstellungen bevorstehen. Abgesehen davon, dass er im März 2020 den Wiener „Ring“-Zyklus betreuen wird. Und zu Fischers alljährlichen Wagner-Tagen in Budapest pilgern Wiener Opernfreunde ohnedies schon automatisch… 70 und kein bisschen müde also. Dabei hat Fischer in seinem Leben schon unendlich viel getan und erreicht, wie die Biographie zeigt, die sein Landsmann Andreas Oplatka über ihn geschrieben hat und die der Zsolnay Verlag am 2. September 2019 in der Wiener Staatsoper präsentiert.

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Adam Fischer wird zwar immer wieder zitiert, aber er kommt ganz am Ende des Buches noch einmal zu Wort. Viele Stunden, sagt er, habe er Andreas Oplatka aus seinem Leben erzählt, nicht nur über Triumphe gesprochen, sondern auch über Probleme, Zweifel, Misserfolge, Fehler, die niemanden erspart bleiben. Der Autor hat dann alle Fakten überprüft und die Biographie vorgelegt, in der sich Fischer, wie er sagt, „viel sympathischer, klüger und anständiger“ vorkam als je. Und tatsächlich: Es ist ein Buch über einen Mann, den man bewundern muss.

Geboren wurde er in Budapest in eine voll assimilierte jüdische Musikerfamilie, die die deutsche Klassik von Haydn bis Beethoven geradezu anbetete. Die Eltern, die den Zweiten Weltkrieg nur mit Glück überlebt hatten, wünschten sich ihr eigenes häuslicher „Trio“ von den Kindern, aber nur die Söhne Adam und Ivan waren dazu bereit, Tochter Esther flüchtete vor zu viel Musik in den Beruf einer Psychologin und lebt heute in Berlin.

Von Anfang an macht der Autor, seines Zeichens ein in der Schweiz lebender Ungar und politischer Journalist, klar, welch ungeheure Rolle die Politik im Leben eines Menschen spielte, der 1949 in Ungarn geboren wurde und gerade sieben Jahre alt war, als die ungarische Revolution ausbrach. Die Eltern haben sich später Vorwürfe gemacht, dass sie damals nicht wie so viele andere mit den Kindern geflüchtet sind. Dem darauf folgenden stringenten kommunistischen System haben sie sich auch nicht angedienert. Flucht in die Musik bedeutete den Fischers alles. Als es darum ging, Adam – der Klavier lernte und es im Kinderchor der Oper zu einem der „drei Knaben“ brachte – ein Studium in Wien zu ermöglichen, setzten sie buchstäblich Himmel und Hölle in Bewegung. Es hat, wie man weiß, geklappt. Und der Vater und dessen Ansprüche blieben für Adam lebenslang verpflichtend.

Es war nicht ganz leicht im Westen („Red teitsch, hearst?“), aber Adam Fischer tat mehr, als nur Deutsch zu lernen, der eignete sich auch die deutschsprachige Literatur an. Er erwarb später neben seinem ungarischen Paß auch einen österreichischen, und tatsächlich kann der gestrige Begriff „Österreich-Ungarn“ auf ihn angewendet werden – auch wenn er heute in Hamburg, der Heimatstadt seiner Frau lebt. Österreich und Ungarn sind entscheidend wichtig für ihn, auch sein Heimatland, in das er spät und unter problematischen Umständen zurückgekehrt ist, um Budapest (bei allen Schwierigkeiten politischer und sonstiger Natur) mit den Wagner Tagen treu zu bleiben.

Der 19jährige fand sich in Wien in einer Welt, die die Grundlage der künftigen Laufbahn legte. Seltsame Bezüge stellen sich her – bei dem Lehrer Hans Swarowsky, der für seine Schüler nicht einfach war, ihnen aber das Handwerk meisterlich vermittelte, traf er auch Kollegen Giuseppe Sinopoli. Wer hätte damals ahnen können, dass dessen Tod Fischer Jahrzehnte später nach Bayreuth bringen sollte?

Wenn der Autor nun die lange Karriere des Adam Fischer nachzeichnet, ist das kein triumphales, Name-dropping Aufzählen von Wo und mit Wem, sondern ein Ausleuchten der Hintergründe: Wie und warum? Welche Entscheidungen trifft man?

Man wird Korrepetitor in Graz, wenn man sich ausrechnen kann, dass ein Kollege etwas Besseres bekommt und dorthin nicht zurückkehren wird, sich also rechtzeitig anmeldet. Man geht von Graz „hinunter“ nach St. Pölten, weil man so gern dirigieren will. Und man wird auch in seinen Anfängen an der Wiener Staatsoper Korrepetitor (von Ioan Holender, noch in seiner Eigenschaft als Agent, vermittelt) und betreut die junge Edita Gruberova, die sich fortwährend beschwert, dass man sie keine großen Rollen singen lässt…

Eine Karriere geht stufenweise, und es muss nicht immer befriedigend sein, ein paar Jahre hier, ein paar Jahre da in kleineren Städten zu verbringen. Manchmal schlägt das Schicksal zu – man lernt Kollegen kennen, Leif Segerstam holt ihn nach Helsinki, dort begegnet er Doris, einer deutschen Lehrerin, die auch Ungarisch spricht. Die Ehe dauert bis heute, Adam Fischer bekennt, zu wenig Zeit für seine beiden Kinder gehabt zu haben, aber nun ein begeisterter Großvater zu sein.

Das hat man nicht gewusst – niemand hat je Gelegenheit bekommen, sich für das Privatleben des Dirigenten zu interessieren. Tatsächlich scheint er absichtlich unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung zu laufen. Einer der Wiener Philharmoniker charakterisiert ihn dahingehend, „dass er bescheiden und ganz ohne Starallüren keinen Mythos um sich schafft und das Bedürfnis nach Personenkult nicht bedient“.

Adam Fischer hat sich früh einen Ruf geschaffen, den jeder Wiener Opernfreund bestätigen kann: dass er zu den ganz großen Repertoiredirigenten zählt, dass er – wie ähnlich „unspektakuläre“ Kollegen vor ihm, etwa Horst Stein oder Peter Schneider – zu jenen Dirigenten gehört, die in einer Repertoirevorstellung ungeheure Lebendigkeit, ja, Glanz erzielen können, wie man es sonst nur von den namhaften Superstars bei Premieren erhofft. So hätte er sein Leben verbringen können, aber es war nicht genug, also suchte sich Adam Fischer seine Herausforderungen selbst.

Die Vorliebe für die Werke Joseph Haydns ging in seine Kindheit zurück, die Schaffung der Haydnfestspiele in Eisenstadt und in der Folge der Haydn-Philharmonie war seine Initiative (ein österreichisch-ungarisches Unternehmen, nicht ohne Komplikationen im Lauf der Jahre), die Gesamtaufnahme von Haydns Symphonien (eine Cassette mit 33 CDs!) wurde zu einem gewaltigen Unternehmen, ebenso wie es Fischer – sich seine eigenen Herausforderungen suchend – mit Mahlers symphonischem Gesamtwerk aufnahm.

Daneben dirigierte er, wie es die großen Dirigenten-Karrieren verlangen, an allen großen Opernhäusern, und schließlich wurde (bei all seiner Liebe zu Mozart) Wagner für ihn zu einer ganz wichtigen Stufe seiner Entwicklung. Es begann mit einem „Tristan“ in Graz, führte nach Sinopolis Tod zum „Ring“ in Bayreuth, dann ebendort zum „Parsifal“. Es war allerdings die ungeliebte Schlingensief-Inszenierung, die seine Bayreuther Karriere verkürzte, ihn aber zu der Idee anspornte, in seiner ungarischen Heimat (die sich dem berühmten Mann annäherte, bevor er ihnen allzu kritisch wurde) ein eigenes Wagner-Festival zu begründen.

Seit 2006 gibt es dieses hoch besetzte Festspiel (das u.a. unternimmt, was keiner sonst wagt: Wagners „Ring“ an vier auf einander folgenden Tagen), und die Nachfrage ist im In- und Ausland groß. In die so beliebte „Wagner-Diskussion“ lässt sich Adam Fischer, obzwar Jude, ebenso wenig hineinhetzen wie Daniel Barenboim. Wagners Judenfeindschaft sei etwas anderes als Auschwitz, und die gewaltsame Deutung unsympathischer Figuren aus „Juden“ leuchtet ihm nicht ein, ebenso wenig wie andere interpretatorische Gewaltsamkeiten.

Womit man bei einem Thema ist, dem der Autor breitesten Raum widmet, jenem Regietheater, dem Adam Fischer nicht wirklich gut gesinnt ist. In Kassel hat er sich sogar einmal geweigert, eine „Zauberflöte“ zu dirigieren, weil ihm die Inszenierung dermaßen gegen den Strich ging. Eine Peter-Stein-„Zauberflöte“ in Mailand hat ihn hingegen entzückt, weil jede Aktion genau auf die Musik ausgerichtet war. Diese langen Passagen dieses Buches, die sich darauf beziehen, wie viel Mühe Adam Fischer oft hatte, „die von Regisseuren servierte Kost hinunterzuwürgen“, wie der Autor es ausdrückt, werden vielleicht die Regietheater-Debatte wieder anzünden, wenn ein Großteil des Publikums auch schon resigniert hat…

Um zum Anfang zurückzukehren: Adam Fischer hat einen Scherz, der die Langlebigkeit von Dirigenten betrifft. „Weil sie auf so schlaue Weise langfristige Verträge abschließen.“ Jeder Musikfreund, der Adam Fischer schätzt (ist man Musikfreund, muss man ihn schätzen), wird hier für „ad multos annos“ plädieren.

Renate Wagner

 

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