Andreas Lesti
ZAUBERBERGE
Als es die Dichter und Denker auf die Schweizer Gipfel zog
192 Seiten, Verlag BERGWELTEN bei Benevento, 2022
Thomas Mann. Friedrich Nietzsche. Theodor W. Adorno. Wo kommen diese Männer zusammen (wenn auch nicht gleichzeitig)? In den Schweizer Bergen. Der Bayer Andreas Lesti, der uns vor zwei Jahren in „Das ist doch der Gipfel“ Bergsteiger-Schicksale vorgestellt hat, begibt sich diesmal auf die Spuren der so genannten „Dichter und Denker“. Und hat mit den drei genannten Namen ganz, ganz hoch gegriffen.
Der Prolog ist allerdings eine Darstellung der Vergeblichkeit. Denn als Lesti erstmals seine Schweizer Reise nach Davos (den „Zauberberg“ im Gepäck), nach Sils Maria (mit „Also sprach Zarathustra“) und nach Zermatt (mit „Minima Moralia“) antreten wollte, wobei man ihm hoch anrechnet, dass er die Werke nicht in Kindle staute, sondern echte, schwere Bücher einpackte – ja, damals gingen erstmals überall die Covid-19-Schranken herunter, und er konnte froh sein, wieder an seinem Ausgangspunkt Berlin zu landen.
Beim zweiten Anlauf ist seine Ambition, Lokalaugenschein, Spurensuche und Recherche zu verbinden, allerdings geglückt (wenn auch teilweise im Schweinsgalopp – zwei Tage für Davos), und er kehrte mit reicher Ausbeute heim, die man nun zwischen Buchdeckeln nachlesen darf.
Davos – zuerst einmal ein Werk medialer Strategie, das im 19. und 20. Jahrhundert einen „Krankheitstourismus“ (für Reiche) ohnegleichen in Bewegung setzte. Tuberkulose konnte noch nicht bekämpft werden, war tödlich, galt aber auch als chic, als empfindsam, als schmückende Krankheit für schöne Seelen (nicht umsonst sterben Mimi und Violetta singend daran).
Dass die Schweizer Bergluft hier heilend wirken könnte, ist nie (bis heute nicht) bewiesen worden. Es reichte die Behauptung, es reichte der „Kult“-Charakter der Krankheit. Man baute Luxus-Sanatorien, und schon zog die große Welt dorthin, als wäre es ein Urlaub. Der Schwindsucht-Tourismus blühte. Auch Katja Mann war hier Patientin (später stellte sich heraus, dass sie gar keine Tuberkulose hatte), Thomas Mann besuchte die Gattin, das Ergebnis ist bekannt: „Der Zauberberg“. Bis heute fragen Touristen übrigens danach, als ob es sich dabei um eine Bergspitze handelte…
Katja Mann machte sich später in Davos unbeliebt, als sie offen sagte, dass hier eine Ausbeuterindustrie für Kranke stattfände, ja, dass man oft aus Gründen der saftigen Summen, die man ihnen abpresste, die nur noch angeblich Kranken viel länger im Sanatorium behielt als nötig… aber geschadet hat es Davos wohl nicht, der Roman ihres Mannes festigte den Mythos für alle Zeit.
Berühmtheiten kamen, wobei es grotesk anmutet, dass Robert Louis Stevenson Teile seines Südseeromans „Die Schatzinsel“ in der Schnee- und Wunderwelt der Schweizer Berge geschrieben hat. Auch Arthur Conan Doyle war hier – aber der wolle nur Skifahren.
Andreas Lesti hat sich in alten Gebäuden, im Museum (mit den schaurigen Behandlungsgeräten), bei Gesprächen mit örtlichen Fachleuten auf die Spuren dieses Phänomens „Davos“ gesetzt, das später das Hautgout der Krankheit los werden wollte und Erich Kästner mit einem „heiteren“ Prosastück beauftragte. Dessen „Zauberlehrling“ wurde geschrieben und sofort wieder vergessen. Heute, in nüchternen Zeiten, vergisst man auch die Vergangenheit und reißt alte, traditionsträchtige Gebäude ab – schließlich ist man, seit Robert Koch die Tuberkulose besiegen konnte, auf den Sporttourismus umgestiegen.
Nächste Station via das mondäne St. Moritz war für den Autor allerdings der nahe gelegene kleine Ort Sils Maria, der mit dem Namen Friedrich Nietzsche prunken kann. Während Richard Wagner, der ja viel in der Schweiz war, nach St. Moritz reiste, zog sich Nietzsche in ein Haus, das heute noch Nietzsche-Haus heißt (und wohl nicht abgerissen wird) nach Sils Maria zurück, weil er seine Ruhe haben wollte, und schrieb dort den zweiten Teil des „Zarathustra“. Der Dichter / Philosoph kam ab 1881 sieben Sommer lang und wurde „zum schrulligen Bestandteil des Ortes“ und später sein Aushängeschild, verbrachte er doch gut 800 Tage dort.
Er hätte es vielleicht nicht getan, hätte es damals schon das „Waldhaus“ und seinen regen Promi-Tourismus gegeben. Das ist mit Sicherheit eines der legendärsten Hotels der Welt, über dessen berühmte Besucher es allerlei Scherze gibt (wer sich ein halbes Dutzend moderner Romane mitnimmt, begegnet während seines Urlaubs im Waldhaus dort sicher allen Autoren…)
Luchino Visconti kam schon als Kind hierher, seine sagenhaft reiche Mailänder Familie hatte für sich und ihr Personal eine ganze Etage gemietet, und der Autor vermutet (wohl nicht zu Unrecht), dass Visconti hier die Welt des „Grandhotels“ erfuhr, wie er sie später in seinem Film „Der Tod in Venedig“ so unvergleichlich beschworen hat…Bei der Unzahl von Berühmtheiten, die der Autor als Gäste im Waldhaus aufzeichnet, hat er nur Claus Peymann vergessen…
Auch der deutsche Philosoph Theodor W. Adorno war im „Waldhaus“, aber auf dessen Spuren, genauer; auf der Spur von dessen Tod, reiste der Autor dann noch nach Zermatt, jene Schweizer Stadt, die keiner kennen würde, hätte sie nicht das Matterhorn. Hier könnte sich Andreas Lesti auf die Spuren vieler Bergsteiger setzen (nicht nur jener englischen Gruppe, die so tragisch abstürzte und dann die mediale Hysterie rund um den Berg entfachte), aber er will auf den Spuren von Adorno bleiben.
Tatsächlich hat ihm eine Zeitzeugin erzählt, wie der seelisch und körperlich „ramponierte“ Adorno in einer für ihn schweren Zeit der Angriffe und Kontroversen gerade hierher geflüchtet ist, und dass die relativ schwere Tour, die er mit der Gattin unternahm, eigentlich eine Art erweiterter Selbstmord war. Davon ist der Autor jedenfalls überzeugt.
Ein düsteres Ende für die Wanderungen durch die Schweizer Bergwelt, wo im Schatten von deren Schönheit so viel Krankheit, Wahn und Tod wohnt. Das ist ein Buch, das natürlich sein Spezialinteresse verlangt, aber wer dies mitbringt, wird ein hoch interessierter Leser sein.
Renate Wagner