Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

AMSTERDAM/Stadsschouwburg: TAMERLANO von G.F.Händel

26.02.2015 | Allgemein, Oper

AMSTERDAM/STADSSCHOUWBURG: TAMERLANO von Georg Friedrich Händel am 24.2.2015

Attachment-12
Asteria (mit dem Messer) und Andronico. Foto: Stadsschouwburg Amsterdam

 Das Drottningholmer Schlosstheater(bei Stockholm) ist möglicherweise das schönste Operntheater der Welt. Was daran liegt, dass es aufgrund einer glücklichen Fügung der Geschichte(es wurde nach seiner Glanzzeit jahrhundertelang als Gartenwerkzeugdepot benutzt) in seinem Originalzustand erhalten blieb…inklusive der original barocken Bühnenmaschinerie u n d der original barocken Bühnenprospekte !

In diesem Weltwunder hat der Intendant der Amsterdamer Oper, Pierre Audi, Anfang der Nullerjahre einige Opern inszeniert, auf sehr intelligente Art und Weise die vorgefundene Maschinerie und somit die Aufführungstradition sowohl zitierend als auch – durch Weglassung – „dekonstruierend“… Auf Initiative des Intendanten des belgischen „Théâtre de la Monnaie“ wurden nun zwei der damaligen Inszenierungen wiederbelebt und sowohl in Brüssel als auch in Amsterdam erneut gespielt.

Den Anfang des „Diptychons“ machte Händels Oper „Tamerlano„, ein in jeder Hinsicht ungewöhnliches Werk: zum einen ist die eigentliche Hauptfigur(der besiegte osmanische Herrscher Bajazet) – für die damalige Zeit einigermaßen bizarr – ein T e n o r ! Weiters ist die gesamte Komposition von Anfang bis zum Ende von einem unglaublichen melancholischen Grundton bestimmt. Und darüber hinaus sprengt die Sterbeszene des Bajazet – mehr dem Inhalt als der Form folgend – in ihrer rücksichtslosen Kühnheit alle Konventionen des Genres. Vergleichbares wird man erst wieder sehr viel später – bei Rossini und Verdi – erleben.

Der zutiefst verlässliche Christophe Rousset leitete seine Talens Lyriques wie immer mit makelloser Brillianz und Präzision.

Den mongolischen Bösewicht der Titelfigur gab der Countertenor Christophe Dumeaux. Einige nostalgische Zuhörer beklagten, dass er nicht ganz das Niveau des Rollenvorgängers Bejun Mehta erreichte. Er bewältigte seine Aufgabe jedoch mehr als beachtlich.

Exzellent sowohl Sophie Karthäuser als Asteria als auch Delphine Galou als ihr Liebhaber Andronico. In gewisser Weise in einer anderen Liga singend und spielend die(auch körperlich) alle überragende Ann Hallenberg als Irene.

Die Palme gebührt dennoch Jeremy Ovenden als Bajazet, einer völlig wahnsinnigen Figur, die alle anderen verhängnisvollen Väter, die z.B. Verdi sehr viel später auf die Bühne bringen sollte, in fast schon übersteigerter Art und Weise vorwegnimmt.

Attachment-1
Tamerlano stirbt. Foto: Stadsschouwburg Amsterdam

Hochmütig, starrköpfig, rachsüchtig stürzt er durch seelische Erpressung alle ihm Nahestehenden ins Unglück, bevor er sich aus lauter Bosheit (auch sehr außergewöhnlich für die damalige Libretti-Dramaturgie) selbst das Leben nimmt, um den Überlebenden noch mehr zu schaden. Ein fanatischer „moderner“ familiärer und politischer Selbstmordattentäter, den Ovenden mit vollstem Einsatz – ohne irgendeine Rücksichtsnahme auf seine eigene körperliche Würde (in der letzten Szene tritt er mit langen Haaren halbnackt auf) darstellt. Beeindruckend.

Audi beschränkt sich mit seiner Regie – dem Konzept entsprechend – in einer abstrahierten Rekonstruktion des Drottningholmer Bühnenaufbaus vollkommen auf eine ungeheuer durchdachte und durchfühlte, unglaublich exakte Personenregie.

Bei Aufnahmsprüfungen im Reinhardt-Seminar wird manchmal verlangt, Szenen nur mittels Sesseln nachzustellen. In Tamerlano gibt es nur einen einzigen, und der möge in Hinkunft – dank Audis Einfallsreichtums – als leuchtendes Lehrbeispiel dafür dienen, was man mit so einem Sitzmöbel szenisch alles anstellen kann.

Trotz des zutiefst finsteren Charakters des Sujets (möglicherweise Händels schwärzeste und depressivste Oper) zuletzt doch – dank der künstlerischen Anstrengungen aller Beteiligten – ein e r h e b e n d e r Abend.

 Robert Quitta, Amsterdam

 

 

 

 

Diese Seite drucken