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AMSTERDAM: OREST von Manfred Trojahn

29.12.2011 | KRITIKEN, Oper

Uraufführung in Amsterdam: „Orest“ von Manfred Trojahn (Vorstellung: 28. 12. 2011)


Orest jagt Helena und Hermione durch das Zimmer, ehe er Helena mit einer Bohrmaschine ermordet, an die Wand dübelt. (Foto: Hermann und Clärchen Baus)

 Der deutsche Komponist Manfred Trojahn komponierte für De Nederlandse Opera ein Musiktheaterwerk in sechs Szenen mit mythologischem Stoff, das am 8. Dezember 2011 in Amsterdam uraufgeführt wurde: „Orest“. Zuletzt hatte Trojahn im Jahr 2008 mit der Uraufführung seiner Oper La grande magia (Der große Zauber) an der Semperoper in Dresden großen Erfolg. Der Komponist, 1949 geboren, studierte ab 1966 Orchestermusik an der Niedersächsischen Musikschule Braunschweig und setzte 1970 seine Ausbildung an der Musikhochschule Hamburg fort. Seit 1991 unterrichtet er als Professor für Komposition an der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf. Von 2004 bis 2006 war er Präsident des Deutschen Komponistenverbandes, seit 2008 ist er stellvertretender Direktor der Sektion Musik an der Akademie der Künste in Berlin.

 In seiner neuen Oper „Orest“, deren Libretto Trojahn selbst verfasste, setzt sich der Komponist mit dem Mythos des Muttermörders auseinander, wobei er Orest als Leidenden zeigt, der sich von der Göttermacht – Apollo und Dionysos werden als eine Figur dargestellt – zu emanzipieren versucht.

 Die englische Regisseurin Katie Mitchell – sie inszenierte vor zwei Jahren bei den Salzburger Festspielen Luigi Nonos Al gran sole carico d’amore – lässt die Oper in der heutigen Zeit als Psychodrama spielen. Dazu passte gut das Bühnenbild, das den Querschnitt einer herrschaftlichen, mehrstöckigen Villa zeigt, in der die von Realität, Traum und Wahn durchdrungene Handlung abläuft (Bühne: Giles Cadle, Kostüme: Vicki Mortimer). Das  Publikum sieht gleichzeitig in die Zimmer von zwei Stockwerken, wobei zwei Räume besonders ins Auge stechen: das riesige Wohnzimmer im Erdgeschoß, in dem Orest kettenrauchend vor einem Weihnachtsbaum auf einem Sofa liegt, und das mit Blut besudelte Schlafzimmer der Klytämnestra im ersten Stock, wo fortwährend kriminalistische Spurensucher am Werke sind und Absperrbänder Unbefugten den Zutritt verwehren sollen. Als einen interessanten Gag der Regisseurin kann man die Idee bezeichnen, diese Darsteller wie auch die in Orests Albträumen auftauchende, in elegantem Pelz gekleidete tote Mutter des Öfteren im Zeitlupentempo agieren zu lassen.

 Die etwa 80 Minuten dauernde Oper beginnt mit sechs Frauenstimmen, die im ganzen Zuschauerraum erklingen und Orests Geist wie in einem von Erynnien verursachten „Traumbild“ quälen. Im Verlauf der Handlung kehrt diese Musik immer dann wieder, wenn Orest von seinen Gewissensqualen gepeinigt wird. Trojahns teils feinnervige, teils schrille Partitur wird vom Nederlands Philharmonisch Orkest unter der umsichtigen, auf die Sänger Bedacht nehmenden Leitung von Marc Albrecht – er dirigierte auch an der Semperoper Trojahns Oper La grande magia – exzellent wiedergegeben, wobei die Blechbläser ihren besonderen Anteil hatten.

 In der Titelrolle überzeugte der Bariton Dietrich Henschel sowohl stimmlich wie auch schauspielerisch. Er stellte einen in seiner Qual gefangenen Orest auf die Bühne, der in seiner Zerrissenheit fast Mitleid erregt. Beeindruckend auch die neuseeländische Mezzosopranistin Sarah Castle als eiskalte Rächerin Elektra, die ihren Bruder zu weiteren Morden aufstachelt. Sie erhielt am Schluss ein herzhaftes „Brava“ vom ersten Balkon des Opernhauses zugerufen! Stimmlich ausgezeichnet Romy Petrick in der Rolle der Hermione, deren Sopran die höchsten Spitzentöne zu bewältigen hatte. Dagegen blieb die Sopranistin Rosemary Joshua aus Wales als Helena, die von Orest brutal mit einer Bohrmaschine getötet wird, ein wenig blass. Der isländische Tenor Finnur Bjarnason stellte die männliche Göttermacht – einmal als politischer Zyniker Apollo, ein andermal als sinnlicher Verführer Dionysos – dar, während der österreichische Tenor Johannes Chum die Rolle des ewig zaudernden Menelaos recht eindrucksvoll spielte. Der von Frank Hameleers einstudierte Koor van De Nederlandse Opera – er hatte acht Männer von Argos darzustellen – kam erst in der letzten Szene zu einem kurzen Auftritt.

 Das der deutsch gesungenen Oper (mit niederländischen Übertiteln) gebannt lauschende Publikum spendete nach der Aufführung minutenlang Beifall, wobei sich die Phonstärke für  die Interpreten des Orest, der Elektra und der Hermione sowie für den Dirigenten und das Orchester hörbar verstärkte. Besonders intensiven Applaus erntete schließlich der vom Dirigenten auf die Bühne geholte Komponist Manfred Trojahn.

 Udo Pacolt, Wien – München

 

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