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AMSTERDAM: EINSTEIN ON THE BEACH von Philip Glass

12.01.2013 | KRITIKEN, Oper

Opernrarität in Amsterdam: „Einstein on the Beach“ von Philip Glass (Vorstellung: 11. 1. 2013)


Die Inszenierung von Robert Wilson bot beeindruckende Bilder (Foto: De Nederlandse Opera, Amsterdam)

 Immer wieder überrascht die Nederlandse Opera in Amsterdam mit selten aufgeführten Werken der Opernliteratur. Heuer zeigt sie mit „Einstein on the Beach“ die erste und bis dato längste Opernkomposition von Philip Glass – sie dauert ohne Unterbrechung vier bis fünf Stunden –, die 1976 beim Festival in Avignon uraufgeführt wurde. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass das neue Musiktheater in Linz am 12. April 2013 mit einer Uraufführung des Komponisten Philip Glass („Spuren der Verirrten“) eröffnet wird.

 Philip Glass wurde 1937 in Baltimore geboren und erhielt bereits mit acht Jahren seinen ersten Musikunterricht in seiner Heimatstadt. Er setzte sein Studium in Chicago und in New York und schließlich von 1964 bis 66 in Paris fort. Die Beschäftigung mit fernöstlicher, insbesondere der indischen Musik, vertiefte er nach seiner Rückkehr nach New York. 1968 gründete er zur Aufführung seiner Werke ein eigenes Ensemble und setzte sich als einer der führenden Vertreter der Minimal Music durch, die durch die wiederholte Reihung von Klängen mit minimalen Änderungen in Tonfolge und Rhythmus einen stark meditativen und hypnotischen Effekt erzielt.

 In Zusammenarbeit mit dem Regisseur Robert Wilson entstand seine erste Oper, der ohne Pausen gespielte Vierakter Einstein on the Beach für vier Schauspieler, zwölf Sänger und Instrumentalisten, einen Geiger und das erweiterte Glass-Ensemble, der Szenen aus Einsteins wissenschaftlichem Leben zeigt, wobei auf seine Hypothesen über die Relativitätstheorie ebenso eingegangen wird wie auf die Nuklearwaffen und die Wissenschaft im Allgemeinen.

Die Komposition der Einstein-Oper war die Keimzelle zu einem Triptychon, dessen weitere Hauptgestalten Gandhi und Echnaton wurden. Die Gandhi-Oper Satyagraha kam 1980 in Rotterdam zur Uraufführung, Echnaton 1984 in Stuttgart.

 Robert Wilson – er war auch für Bühne und Lichtdesign zuständig – schuf in Zusammenarbeit mit der Choreographin Lucinda Childs eine Inszenierung, deren Schwerpunkt auf den Tanzszenen und auf optisch beeindruckende Bilder lag und die auch auf Humor nicht verzichtete. Bei den vielen Tanzszenen gelang es der Choreographin, den Rhythmus der Musik von den exzellenten Tänzerinnen und Tänzern durch Gesten und Bewegungen ausdrücken zu lassen, wobei eine gewisse Eintönigkeit offensichtlich nicht zu verhindern war oder bewusst in Kauf genommen wurde.

 Von den verschiedenen Bühnenbildern (Zug, Gerichtshof, Nachtzug, Gefängnis, Haus mit Aussichtsturm, Raumschiff und Bus) hinterließen die letzten Szenen den stärksten Eindruck, wobei die kreativen Lichteffekte den Rhythmus der Musik noch um ein Vielfaches verdichteten. Es waren beklemmende Bilder, zu denen auch einige Solisten beitrugen – beispielsweise Andrew Sterman, der mit seinem Saxophon-Solo brillierte, und die Mezzosopranistin Hai-Ting Chinn, die ein Solo von Spitzentönen meisterhaft zum Besten gab.

 Die Titelfigur wurde vom Geigensolisten Antoine Silverman dargestellt, der in der Maske von Einstein auf seiner Violine wie ein Teufelsgeiger fiedelte und nach seinem letzten Geigensolo dem Publikum die durch ein Foto berühmt gewordene „Einstein-Zunge“ zeigte. Die Zuschauer reagierten mit Szenenapplaus. Humorvoll auch die Szene, als ein Tänzer bei der Lektüre eines Buchs über Einsteins Relativitätstheorie minutenlang den Kopf schüttelte.

 Der Chor (Leitung: Lisa Bielawa) und die Gesangssolisten hatten fast nur einzelne Töne, Tonleitern, Laute und Wortfetzen zu singen, mussten aber dazu dem sich stets wiederholenden Rhythmus der Partitur anpassen. In der stimmungsvollen Szene im Nachtzug beeindruckten die Sopranistin Lisa Bielawa und der Tenor Philip Anderson, in zwei anderen Szenen die Sopranistinnen Michèle A. Eaton und Lindsay Kesselman. Helga Davis und Kate Moran rezitierten die Texte (verfasst von Christopher Knowles, Samuel M. Johnson und Lucinda Childs) zwar sehr laut, doch ließ die Tonqualität des Öfteren zu wünschen übrig. Übertitel zum Mitlesen wären hilfreich gewesen.

 Das vom Komponisten vor Jahren gegründete Philip Glass-Ensemble, verstärkt von einer elektrischen Orgel (Leitung: Becca Ball) und von Michael Riesman mit großer Routine geleitet, sorgte für den meditativen Effekt der Musik, wobei allerdings die Lautstärke des Öfteren übertrieben wurde. Kein Wunder, dass auch der Chor mit Wangenmikrophonen sang.

 Interessant war die Beobachtung des Publikums während der vier Stunden und zwanzig Minuten dauernden Vorstellung, die ohne Pause durchgespielt wurde. Zwei Damen eine Reihe vor mir, die ich im Blickfeld hatte, reagierten auf die Musik besonders nervös. Während sich die eine Dame fortwährend am Hals kratzte, wetzte die andere dauernd auf ihrem Stuhl, zwei Damen neben mir schliefen einige Minuten ein, wurden aber in der Gerichtsszene durch die Hammerschläge des Richters brutal geweckt. Viele Zuschauer verließen den Publikumsraum auf etwa eine halbe Stunde, manche kehrten nicht wieder zurück. Dadurch war ein Kommen und Gehen, das auch für Unruhe im Haus sorgte.

 Auch ich bemerkte an mir anfangs eine Nervosität hochsteigen, wie ich es bei Glass-Opern immer verspüre, doch legte sie sich stets nach der Pause. Aber die gab es in Amsterdam nicht!

Dennoch konnte ich mich im Laufe der Aufführung – etwa ab der zweiten Stunde – dem fast hypnotischen Effekt der Musik nicht entziehen.

 Das Amsterdamer Publikum blieb seiner Tradition treu, die Mitwirkenden nach der Vorstellung minutenlang mit Standing Ovations zu bejubeln. Besonders viel Beifall heimste das Tanzensemble, das Orchester und der Geigensolist Antoine Silverman als Einstein-Darsteller ein.

 Udo Pacolt, Wien – München

 

 

 

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