3.04. Milano, „Teatro alla Scala“ „MANON LESCAUT“
Marie-José Siri, Roberto Aronica. Foto: Brescia & Amisano/ Teatro alla Scala
Mit der „Manon Lescaut“ schaffte Puccini im Februar 1893 den großen Durchbruch : doch schon bald nach der Uraufführung an der Mailänder Scala – mit großem Erfolg natürlich – arbeitete er einige Stellen des Werkes um, und bereits im Dezenber desselben Jahres kam imm „Teatro Coccia“ in Novara die revidierte Fassung heraus , die uns auch heute noch geläufig ist. Riccardo Chailly brachte nun in Mailand die „Urfassung“ der Scala wieder zu Gehör. Opernfreunde, die das Werk nicht gut kennen, werden möglicherweise kaum Unterschiede bemerkt haben. Am Aufälligsten ist ein großes Concertato im Finale des ersten Aktes – um das es mir eigentlich leid ist, daß man es normalerweise nicht hören kann. Die weiteren Änderungen sind wirklich nur marginal, betreffen am auffallendsten noch das Ende der „Sola, perduta, abboandonata“ Arie und das Finale der Oper. Da erschien mir die vom Komponisten selbst „korrigierte“ Fassung allerdings tatsächlich schlüssiger und „runder“ – wenn Schöpfer ihr Werk umgestaltet hatten, wussten die schon was sie taten!
Nun diese zweite Aufführung dieser Neuproduktion lief für dieses doch sehr packende Werk leider ein wenig stimmungslos ab, das Publikum schien sehr lethargisch, und auch Maestro Riccardo Chailly trug dazu bei, indem er über Stellen sehr rasch hinweg dirigierte, wo ein Zwischenapplaus die Atmosphäre vielleicht hätte anheben können. Obwohl am Orchester der Scala nichts auszusetzen war, und auch der Chor sich seiner Aufgaben gut entledigte fehlte das letzte „Alzerl“ – wie man in Wien zu sagen pflegt.
Eine große Schuld daran hatte sicher auch David Pountney, dessen Personenführung leider nicht gut war – im Finale zum Beispiel kamen sich Manon und Des Grieux nicht einmal annähernd nahe. Unnötigerweise war Manon über weite Strecken gleich doppelt bis dutzendfach auf der Bühne ( bei der Ankunft spielte eines der „Doubles“ mit Des Grieux mit den entsprechenden Mundbewegungen , während die Interpretin auf der anderen Seite der Bühne saß ) , leider auch als pubertierendes Kind und sogar darunter, was zu völlig entbehrlichen pädophilen Anspielungen führte. Die ganze Geschichte war noch dazu irgendwie auf Voyeurismus aufgebaut, ein Teil des Chores in Frack und Zylinder kam immer als „Beobachter“ zu den meisten Szenen hinzu. Die Kostüme waren durchaus brauchbar und farbenfroh ( Marie-Jeanne Lecca ), das Szenenbild geradezu großartig , wenn auch nicht ganz dem Libretto folgend (Leslie Travers): die Eisenbahn dominierte , es waren immer Schienenfahrzeuge auf der Bühne: ein von einer Dampflok geführter Zug ( ein ziemlich original nachgebauter „Dreikuppler“, der das Herz eines Eisenbahnfreundes wie mich höher schlagen ließ! ) fuhr in eine imponierende Bahnhofshalle ein), es wurde verschoben etc. Statt im prunkvollen Saal des Geronte war die Handlung in drei „aufgeschnittenen“ – damit man rein sehen konnte -Salonwagen spielend, im dritten Akt urden die zur Deportation vorgesehenen in „Gefägniswaggons“ bis zum – unglaublich imponierenden, die ganze Bühnenöffnung ausfüllendem Schiff gebracht , das dann am Ende davon fuhr, ja selbst in der „Wüste“ – die Bahnhofshalle war jetzt zerstört, Sandhaufen /dünen überall – starb Manon dann auf einem Draisinenanhänger am Gleis…! Es war wirklich ästhetisch, schön in den Farben, aufwendig, leider wurde der Rahmen eben nicht so gut genutzt wie es möglich gewesen wäre.
Mit leuchtendem , immer rundem und höhenstrahlendem Sopran war Maria Jose Siri eine sehr gute Protagonistin, die auch zu berührenden Tönen fand. Die Urugayanerin, die sich prächtig entwickelt hat, zählt sicher zu den heute besten Interpretinnen dieser Partie. Als Des Grieux sprang Roberto Aronica – erst vorgesehen für spätere Abende – für Marcelo Alvarez ein und bot die von ihm gewohnt gute Leistung: ein sicher geführter Tenor, der problemlos die fordernde Partie meistert, auch Höhenstrahl demonstriert – als Akteur würde man sich ein wenig mehr Engagement wünschen.
Massimo Cavaletti war der rollendeckende Lescaut, Carlo Lepore ließ als Geronte mit klingendem , volltönendem Baß aufhorchen, positiv herausstechend aus den Comprimarii noch Sonia Visentin als „Un musico“ , Marco Ciaponi musste als Edmondo quasi als „Conferencier“ /“Zauberer“ agieren und startete zu Beginn die Handlung.
Am Schluß sehr lauer Applaus, wenig Vorhänge, schade, denn es wäre für mehr „angerichtet“ gewesen.
Michael Tanzler
4.04. Verona, „Teatro Filarmonico“: „ADRIANA LECOUVREUR“
Fabio Armiliato, Hui He, Alberto Mastromarino. Foto: Ennevi
Diese ausgezeichnete Produktion von Ivan Stefanutti ( Regie, Bühnenbild und Kostüme ) erblickte vor einigen Jahren im „Teatro Sociale“ in Como das „Licht der Bühne“. Im Jugendstil gehalten, deckt sie mit wenigen Bühnenelementen die jeweiligen Schauplätze ab , und wunderschöne, und vor allem auch kleidsame Kostüme ( wie sind die heute selten geworden!! ) boten den exzellenten Rahmen für die – in diesem Falle – packende Realisierung dieses Meisterkes von Cilea, das ich für schwer unterschätzt halte!
Die bei uns leider schon länger abwesende Hui He gestaltete die dankbare Rolle mit differenziertem, raffiniertem Gesang, setzte ihren ausdrucksstarken Sopran gekonnt ein, rührte in der Darstellung, der Rollenidentifikation und trumpfte im Duett mit ihrer Widersacherin mächtig auf! Diese wurde von Carmen Topciu eindrucksvoll gestaltet. Schon ihr „Acerba volutta“ riß mit, ihr bestens sitzender Mezzo geht bruchlos von brustigen Tiefen bis zu locker erreichten Höhen und als Bühnenpersönlichkeit beeindruckt sie nicvht nur durch ihre angenehme Erscheinung – eine sehr erfreuliche Erstbegegnung mit der rumänischen Künstlerin, die auch in der Arena Fuß gefasst hat. Der Mann zwischen diesen beiden starken Frauen war Fabio Armiliato, schon lange nicht mehr in Wien zu Gast. Und man muss sagen schade – nach diesem Abend, wo er eindrucksvoll demonstrierte, daß man zu Beginn der Sechziger noch lange nicht zum alten Eisen zu zählen ist. (Diesen „Jugendwahn“ bei den Besetzungen kann ich sowieso nicht nachvollziehen!). Die Stimme hat squillo, geht in der Höhe auf, natürlich weiss er zu phrasieren, die Höhepunkte zu setzen, den italienischen Schmelz an den berührenden Stellen bewusst einzusetzen. Und er steigerte sich bis zum Finale immer noch mehr! Dieses ließ wirklich ein oder anders Tränlein aus dem Auge fliessen … Dazu trug auch der besorgte Michonnet von Alberto Mastromarino bei, der sehr gefühlvoll diese dankbare Rolle interpretierte, und als Routinier genau Bescheid wusste, wo die Akzente zu setzen sind , wo er mit seinem Bariton auftrumpfen und wo er deklamieren musste. Sehr gut gefiel das Schaustellerquartett Cristin Arsenova – Jouvenot , Annapaola Pinna – Dangeville, Massimiliano Catellani – Quinault und Klodian Kacani – Poisson, ganz in Ordnung ohne besonders aufzufallen Roberto Covatta – L` Abate und Alessandro Abis – Principe.
Selbstverständlich möchte man fast sagen entledigte sich der „Coro dell`Arena di Verona“ – Maestro del coro Vito Lombardi – seiner Sache problemlos, Massimiliano Stefanelli holte alles aus dem „Orchestra dell`Arena di Verona“ heraus, koordinierte im besten Sinne Bühne und Graben.
Großer Applaus und Jubel schon während, und auch am Ende der Aufführung!
Michael Tanzler
6.04. Innsbruck , Tiroler Landestheater . „MIGNON“ (Premiere)
Camilla Lehmeier (Mignon) . Foto: Rupert Larl/ Landestheater Innsbruck
Neben dem „Hamlet“ ist „Mignon“ die bekannteste Oper von Ambroise Thomas geblieben. Das früher des öfteren aufgeführte Werk hat in unseren Breiten das Schicksal der zahlreichen deutschen Spielopern ereilt – und wird kaum mehr auf die Bühne gebracht. Dem Innsbrucker Intendanten Johannes Reitmeier ( und seiner Operndirektorin Angelika Wolf ) ist diese „Ausgrabung“ zu verdanken – aber abgesehen davon hat sich das Tiroler Landestheater in dessen „Regentschaft“ bestens entwickelt und bietet neben einem hervorragenden Niveau auch den wohl interessantesten Spielplan aller Bundesländertheater!
Nun die Geschichte aus Goethes Bildungsroman „Wilhelm Meister“ entnommen wird in der Produktion hier ins 20.Jahrhunderrt verlegt – was mit der über weite Strecken verträumt lyrischen Komposition von Thomas wenig korrespondiert, und der Schluß , wo sich Mignon als Tochter des fahrenden Sängers Lothario ( eines italienischen Grafen , der verwirrt seine Herkunft auch erst gegen Ende des Stückes erkennt ) herausstellt wird hier eher offen gelassen – die beiden und Wilhelm Meister werden szenisch „getrennt „ – weder ein Happy-End, noch ein trauriges Ende ( es gibt beide Versionen ) wurde hier klar dargestellt. Nun gut, soll sein. Nicht sein sollte die „Verinszenierung“ ( und dadurch Störung) von Arien , wi es z.B. bei der des Wilhelm imletzen Akt vorkam, wo Lothario die bewußtlose Mignon auf der Bühne herumschleppte ( Regie – Helen Malkowsky). Dieter Richter hatte als – sehr raffiniert zu zerteilende und mit den Elementen alle Handlungsstätten darstellende – Metrostation im Jugendstil geschaffen – plus einer Litfasssäule, die für Philine, die man im ersten Akt da hinaufgefahren hatte und die von dort singen musste, nicht gut war, weil sie von dort über Strecken nahezu unhörbar blieb. Die zum Teil schrillen, aber bunten und durchaus phantasiereichen Kostüme – speziell des Chores – die Zigeuner des Librettos wurden hier zu einer Rockerbande – besorgte Anke Drewes – mit der grünen Trainingshose und dem Wolpullover der Mignon schuf sie allerdings auch eines der schrecklichtsen Gewandungen, die ich je auf einer Bühne gesehen habe. Ich hätte mich geweigert so etwas anzuziehen!
Das Wunder, selbst in dier Verunstaltung Liebreiz auszustrahlen und die Attraktivität erahnen zu lassen gelang Camilla Lehmeier – der absoluten Dominatorin und „Trägerin“ des Abends! Die aus Bayewrn stammende Künstlerin hat eine ungemein sympathische Bühnenpräsenz, doi einen in den Bann zieht. Dazu einen pastosen, einschmeichelnden Mezzo, den sie nie forciert, aber dafür immer mit Herz und Seele einsetzt. Eine großartige Leistung, deren Bogen sich von der wunderbar interpretierten Arie „Connays le pais“ bis zum letzten Ton spann! Brava! Da kann sich Tirol glücklich schätzen so ein Juwel im Ensemble zu haben! Welch glückliche Hand die Theaterleitung zur Zeit hat bewies auch der amerikanische Tenor Jon Jurgens, der erst seit heuer im Ensemble, mit angenehmen lyrischen Tenor und guter Bühnenerscheinung ein tadelloser Wilhelm Meister war. Auch die Philine war mit der jungen Griechin Sophia Theodorides hervorragend besetzt, deren kleiner aber feiner Koloratursopran mühelos in die höchsten Höhen entschwindet, ja dort geradezu aufblüht – natürlich räumte sie mit ihrer „Titania“-Arie so richtig beim Publikum ab. Johannes Maria Wimmer musste als Lothario eine Art „Strotter“ sein, ließ seinen großen Baß strömen – aber musikalisch ist die Rolle eher undankbar.
Als Laerte und Jarno ergänzten Florian Stern und Joachim Seipp tadellos – letzterer als geradezu furchteinflössend kostümierter Rocker.
Der Chor und der Extrachor des TLT ( Michel Roberge) waren sanges und spielfreudig bei der Sache, im Graben ein exzellentes Tiroler Symphonieorchester Innsbruck : mit herrlichen Soli, französischem „Parfum“ und Noblesse, einem verführerischen Streicherklang – geradezu, als ob sie jeden Tag solche Stücke spielen würden – Chapeau! Und am Pult war Seokwon Hong ein Dirigent, Koordinator, Begleiter, ein Mann dem diese Musik im Blut zu liegen schien. Mit einer Souveränität die erstaunen machte – und ohne sich ins Zentrum zu setzen und eine Show abzuziehen war er das Herz dieses im Gesamten wunderbaren Abends! Auch in der Erkenntnis, daß es sich kaum mehr nachhaltig in den Spielplänen etablieren wird können, verließ man froh das Haus, über die Gelegenheit diese musikalische Kostbarkeit – speziell auf musikalischem Gebiet – so erlebt zu haben!
Michael Tanzler