ALVIS HERMANIS
Wagner ist der Mount Everest!
Der lettische Regisseur Alvis Hermanis, künstlerisch hoch geschätzt und wegen politischer Aussagen heiß umstritten, inszeniert erstmals an der Wiener Staatsoper und ebenso erstmals eine Oper von Richard Wagner. Er verbindet „Parsifal“ mit dem Wien des Fin de Siècle, nach dem er nach eigener Aussage geradezu „süchtig“ ist.
Mit Alvis Hermanis sprach Renate Wagner
Herr Hermanis, Wiens Theaterfreunde kennen Sie gut, Produktionen Ihres „Neuen Theater Riga“ waren bei den Festwochen und im Burgtheater zu sehen, wo Sie auch schon vier Produktionen herausgebracht haben, Stücke von Tracy Letts, Tschechow, Schnitzler und Gogol. Doch seit Sie begonnen haben, Opern zu inszenieren, scheinen Sie Arbeiten für das Musiktheater zu bevorzugen?
Der Eindruck täuscht. „Parsifal“ ist in dieser Saison meine zweite Operninszenierung nach der Scala-Eröffnung mit „Madama Butterfly“. Danach habe ich in Zürich im Schauspielhaus „Madame de Sade“ von Yukio Mishima inszeniert, jetzt bin ich in Wien, dann gehe ich nach München an das Residenztheater, für einen Abend, der am 5. Mai im Cuvilliéstheater uraufgeführt wird und der „Insgeheim Lohengrin“ heißt.
Das Stichwort kann man nicht vorbei gehen lassen. Ein Stück über „Lohengrin“ – aber das Angebot, in Bayreuth 2018 „Lohengrin“ zu inszenieren, haben Sie ausgeschlagen?
Ich war wirklich sehr geehrt, als Katharina Wagner mich anrief und mir das anbot. Aber dann gab es in der Öffentlichkeit und den Medien eine Welle von so ungesunder Aufmerksamkeit für meine Person, dass ich es vorgezogen habe, ein wenig unterzutauchen.
Und auch dieses Stichwort kann man nicht vorbeigehen lassen: Ihre Aussagen im Dezember 2015, warum Sie nicht am Hamburger Thalia-Theater inszenieren wollten, haben einen ungeheuren Shitstorm hervorgerufen. Wie stehen Sie heute dazu?
Ich lebe in Lettland, einem freien Land, wo auch die Freiheit der Meinungsäußerung garantiert ist. Deutschland scheint da ein anderes Verständnis von Demokratie zu haben. Es gibt auch keine anderen Länder wie Deutschland und Österreich, wo man jeden Künstler streng nach seiner politischen Meinung fragt. In meiner Heimat würde das als so unhöflich gelten, als wenn Sie sich geradewegs nach meiner sexuellen Orientierung erkundigen würden. Aber ich denke nun, wenn Sie auf dieses Thema so fixiert sind und das Recht auf eine andere Meinung als die erwünschte nicht gelten lassen wollen – dann ist das das Problem Ihrer Länder, nicht meines.
Kehren wir zur Oper zurück, die vor fünf Jahren, im Sommer 2012, mit einer Inszenierung von Zimmermanns „Soldaten“ in Ihr Leben trat. Das war bei den Salzburger Festspielen, wo Sie im Jahr darauf „Gawain“ von Birtwistle inszeniert haben. Und dann ging es so richtig los mit allen großen Namen des Repertoires, Mozart, Janacek, Verdi, Puccini, Berlioz, Richard Strauss… Haben Sie gedacht, jetzt muss endlich Richard Wagner an die Reihe kommen?
Es war wohl eher so, dass die Wiener Staatsoper vor etwa drei Jahren einen neuen „Parsifal“ ins Auge gefasst und mich danach gefragt hat. Ich habe gerne zugesagt, auch weil meine Beziehung zu diesem Werk in Wien begonnen hat, ich weiß gar nicht mehr, vor wie vielen Jahren. Aber ich habe an der Wiener Staatsoper meinen ersten „Parsifal“ gehört – und ich war nach dem ersten Akt so tief berührt, dass ich das Gefühl hatte, dieses intime Erlebnis nicht mehr in der Öffentlichkeit fortführen zu können. Ich bin nach dem ersten Akt weggegangen… Seither habe ich diese Oper immer und immer wieder gehört, dass ich sie innerlich auswendig kann.
Nun hat man ja schon einiges von Ihrem Konzept gehört, dass die Geschichte sozusagen auf der „Baumgartner Höhe“ im Otto Wagner-Spital spielen wird, in Wien um 1900 – haben Sie diese Lösung für Wien gefunden, oder würden Sie den „Parsifal“ etwa in London genau so inszenieren?
Nein, das gehört natürlich so nach Wien. Auch mit meinem Bühnenbild, das quasi eine Huldigung an Otto Wagner ist, dessen Arbeiten ich wirklich im Detail erforscht habe. Wer sich bei ihm auskennt, wird vieles als zitierte Elemente wiederfinden, natürlich die Kirche am Steinhof, die Stadtbahnstationen am Karlsplatz, die Wien-Fluß-Verbauung… das wird ein wenig wie eine Otto-Wagner-Magic Box. Dieser Jugendstil ist für mich das Zeichen für jenes Wien um 1900, eine Zeit, die mich immer besonders fasziniert hat, nach der ich geradezu süchtig bin, in der ich am liebsten gelebt hätte, wenn ich es mir hätte aussuchen dürfen. Das war das Labor der Moderne, was man auf den Gebieten der Naturwissenschaften und Kunst vorantreiben konnte, ist da geschehen. Man trat in neue Zeiten und Welten ein – es muss eine herrlich turbulente Ära gewesen sein.
Und dazu passt „Parsifal“?
Perfekt! Wenn Sie bedenken, dass diese Gralsritter-Gemeinschaft ja zutiefst krank ist, und Amfortas ist da Patient Nr. 1. Gurnemanz als „guter Doktor“ und Klingsor als „böser Doktor“, wenn man so sagen will, stehen sich gegenüber, und die Heilung kann durch Analyse kommen. Auch Kundry ist Patientin in diesem Sanatorium, und schließlich haben gerade damals die Frauen so sehr um ihre Emanzipation gekämpft, das stimmt für mich mit der Figur zusammen.
Und wer ist Parsifal?
Vielleicht ist er mit einer Zeitmaschine in diese Welt gefallen? Vielleicht ist auch er ein Patient? Ich möchte mein Konzept nicht allzu deutlich und aufdringlich formulieren, ich möchte dem Publikum Platz für seine eigene Vorstellungsgabe geben. Ich biete einen Kontext, einen Rahmen, und die Zuschauer, vor allem die vielen kenntnisreichen Wagner-Liebhaber, werden hier den Raum finden, ihre eigenen Ideen einzubringen. Diese Inszenierung zielt auf keinerlei politische Aussagen ab, sie soll einfach spirituell begriffen werden.
Mit dem Katholizismus, der ja immer wieder in den „Parsifal“ hineininterpretiert wird, hat Ihre Sicht des Werks nichts zu tun?
Es gibt viele Zitate aus der Bibel und christliche Symbole, selbstverständlich, aber was den Text betrifft, so gemahnt mich die Ideologie eher an den Buddhismus. Es ist für mich auch so interessant daran zu denken, dass Otto Wagner die Kirche am Steinhof eigentlich umbauen und viel größer machen wollte – es sollte eine Kirche für alle Konfessionen werden, christlich, jüdisch, islamisch, buddhistisch. Das ist dann aus Geldmangel gescheitert, aber grundsätzlich eine grandiose Idee, nicht nur im Zusammenhang mit den Patienten am Steinhof.
Otto Wagner, das klingt sehr „schön“, und Sie haben auch einmal in einem Interview gesagt, „ich bin ein altmodischer Künstler, Kunst ist für mich in erster Linie Schönheit und Poesie.“ Wenn ich nun an Ihre „Gawain“-Inszenierung in Salzburg denke, die an einem Autoschrottplatz unter schmutzigen Underdogs gespielt hat, und das bei einer Geschichte aus der König Artus-Welt, dann habe ich diese Schönheit da nicht gesehen?
Das ist aber ein Missverständnis: Schönheit ist nicht Gefälligkeit („cute“), ästhetische Konzepte können in jede Richtung hin „schön“ sein, auch Beuys hat für mich Schönheit, Mozart ebenso wie Schönberg. Das sind innere Regeln, die man nicht brechen darf, darauf kommt es an.
Dennoch, noch einmal nachgefragt: Wenn dieses Wien um 1900 Sie so fasziniert, warum haben Sie dann, als Sie Schnitzlers „Das weite Land“ im Burgtheater inszenierten, überhaupt nicht auf diese Ästhetik zurückgegriffen, sondern es optisch im Stil eines Humphrey-Bogart-Films realisiert?
Dieser „Film Noir“ im Hollywood der vierziger Jahre war nur möglich durch die vielen jüdischen Emigranten, die damals nach Amerika kamen – sie haben europäische Geisteswelt und Kultur mitgebracht, auch in der Musik, Leute, die in Europa für Opernhäuser schrieben, komponierten drüben für Studios. Ich fand, das sei zu einem jüdischen Dichter wie Arthur Schnitzler eine absolut einleuchtende Assoziation. Ich habe während der Arbeit an diesem Stück übrigens gemerkt, dass man Schnitzler hierzulande einfach als „Österreicher“ und nicht auch als Juden betrachtet, und diese Frage der jüdischen Identität, die sich bei aller angestrebter Assimilation nicht unterdrücken lässt, hat mich immer sehr beschäftigt. Sie spielt auch in dem Abend eine Rolle, den ich mit Mikhail Baryschnikov über den Dichter Joseph Brodsky gemacht habe, mit dem Mikhail bis zu dessen Tod 1996 eng befreundet war. Er heißt „Baryshnikov / Brodsky“ und zeigt, dass das Jüdische in einem Menschen nicht zu unterdrücken ist, auch wenn man selbst es möchte.
Zurück zu Richard Wagner, den Sie offenbar umkreisen. Wovon wird Ihr Stück „Insgeheim Lohengrin“ in München handeln?
Von Freunden, die sich treffen, um sich mit dem Schwanenritter zu beschäftigen, das aber heimlich tun, weil jede Sehnsucht nach „deutscher Seele“ und „romantischem Pathos“ ja heute als schwer verdächtig gilt.
Also eigentlich ein Hermanis-Protest gegen die öffentliche Meinung…! Ahnen Sie schon, welche Rolle Richard Wagner weiter für Sie spielen wird?
Es gibt noch keine konkreten Pläne, aber eines Tages möchte ich doch „Tristan und Isolde“ inszenieren. Wenn ich meine Meinung über Wagner zusammenfassen müsste, würde ich sagen, es gibt in der Geschichte keinen Künstler von solcher Kraft, der so viele Schichten des Künstlerischen und Gedanklichen verzahnen konnte wie er. Wagner ist einfach der Mount Everest.
Dr.Renate Wagner
MERKEROnline
Das Gespräch wurde in englischer Sprache in den
Räumen der Wiener Staatsoper geführt
Alle Fotos Copyright by Peter Skorepa