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Alfons Kaiser: KARL LAGERFELD

06.10.2020 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Alfons Kaiser
KARL LAGERFELD
Ein Deutscher in Paris
Biographie
384 Seiten, Verlag C. H. Beck, 2020

Er schritt als Faszinosum durch die Mode- und Medienwelt, und er hat wahrlich selbst alles dafür getan, um „Lagerfeld“ zu sein, ein Begriff, Sinnbild für Eleganz und auch Abgehobenheit. Karl Lagerfeld ist 2019 gestorben, und eine Flut von Büchern überschwemmte den Markt, vordringlich Erinnerungen von Menschen, die ihn kannten oder mit ihm gearbeitet haben. Nun hat FAZ Redakteur Alfons Kaiser die Biographie über ihn geschrieben, aus persönlicher Bekanntschaft heraus (die nie hervorgekehrt wird) und aus einer Fülle von Gesprächen mit Zeitgenossen.

So zwielichtig die Figur von Karl Lagerfeld auch sein mochte (es wird offen zugegeben, dass die Mehrzahl der Deutschen ihren international erfolgreichen Landsmann gar nicht sympathisch fanden), in diesem Porträt schimmert vor allem die Bewunderung für einen Mann durch, der sich und seine Karriere selbst erfunden, geschaffen und stets neu positioniert hat, der sich selbst zum Medienereignis machte, sich gewissermaßen auch zum Kunstwerk stilisieren vermochte.

Es beginnt mit der Erinnerung an die posthume Gedenkfeier für den am 19. Februar 2019 Verstorbenen, eine jener spektakulären Shows, wie er sie an möglichst ungewöhnlichen Orten und phantastischen Ideen auszurichten pflegte und damit Schlagzeilen in aller Welt erntete. Dann folgt der Autor der Lebensgeschichte des Mannes, der immer um sein Alter herumtrickste (wie er auch die widersprüchlichsten Geschichten um sich erzählte und so den Medien nie langweilig wurde), aber tatsächlich am 10. September 1933 geboren wurde.

Es war eine sehr deutsche, ja, norddeutsche Welt mit preußischem Zuschnitt, in die er hineingeboren wurde, und Lagerfeld verlor auch in seinen vielen Jahren in Frankreich nie die Vorliebe für Friedrich den Großen und seine Zeit. Der Vater, wohlhabend geworden nicht zuletzt mit Kondensmilch, und die harsche Mutter (die dennoch im Alter zu ihrem Sohn nach Paris zog), waren jedoch aufgeschlossen und liberal genug, um über Karls früh entdeckte homosexuelle Neigungen nie auch nur mit der Wimper zu zucken.

Vor allem aber hatte das „größenwahnsinnige Kind“ ein besonderes Talent: Er konnte zeichnen. Er tat es von früh bis spät. Es war die Grundlage seiner Karriere, die er schon als Sechsjähriger plante: „Du wirst sehr berühmt werden“, sagte er zu sich (und wenn es auch nur eine Geschichte des erwachsenen Lagerfeld handelte, wäre sie doch gut erfunden – so wie jene, als er der Presse jahrelang Kopfzerbrechen bereitete, als er sich einen schwedischen Vater erfand).

Den Krieg verbrachte der Junge im ländlichen Holstein und merkte glücklicherweise nicht viel davon (der Vater war zu alt, um einrücken zu müssen). Dass die Eltern eine gewisse Neigung zum Nationalsozialismus zeigten, färbte auf ihn nicht ab. Sein Einzelgängertum hat sich früh herausgestellt, auch mit zwei Schwestern (eine davon eine Halbschwester) hatte er keinen innigen Kontakt (im späteren Leben gar keinen).

In der Schule interessierte ihn wenig, er wollte nur zeichnen – und, in früher Ahnung einer künftigen, anderen Heimat, Französisch lernen. Dennoch hat er später auch in seinem neuen Leben immer gerne Deutsch gesprochen – ob mit Claudia Schiffer, ob mit Wolfgang Joop. Er problematisierte sein Deutschtum nicht. Und als der 16jährige, gleich nach Kriegsende, eine Dior-Modeschau in Hamburg sah, raffinierteste „Mode-Kunst“, hatte er sozusagen seine Bestimmung gefunden.

Der Leser wundert sich, wie leicht Karl Lagerfeld es in seinen Anfängen hatte. Der junge Mann durfte nach Paris, die Eltern zahlten, der 19jährige kam in eine Zeit, da hatte man „keine Angst vor nichts“, lernte Menschen kennen, schätzte an der Modewelt, dass es dort keinen Rassismus und keine Homophobie gab, nahm wie nebenbei bei einem Wettbewerb für Modezeichnung teil, reichte einen Mantel ein, vergaß darauf und bekam sechs Monate später ein Telegramm, das ihm den ersten Preis verkündete. Ein anderer Gewinner war Yves Saint-Laurent – eine lange Beziehung mit Lagerfeld wandelte sich von Freundschaft in erbitterte, in bösartigen Wortgefechten beiderseits ausgetragene Feindschaft, wobei es dann einmal auch um einen Liebhaber ging, der von Karl zu Yves wechselte.

Saint-Laurent mag auf der Stelle den besseren Job bekommen haben, bei Dior, Karl Lagerfeld bekam ein Angebot von Balmain (der den „Look“ von Audrey Hepburn geschaffen hatte), nicht ganz so gewichtig, aber für Lehrjahre günstig. Zudem versagte er sich – aus welchen Gründen auch immer – die Alkohol- und Drogen-Exzesse der Szene. Das mag zu seiner Langlebigkeit beigetragen haben.

Lagerfelds weitere Karriere über Jahrzehnte nachzuzeichnen, verlangt ein Buch, und man kann es hier kurzweilig nachlesen, wobei äußere Ereignisse überwiegen: Eine „Analyse“ seiner Mode, seiner Entwicklungen, seiner Wandlungen findet man in diesem Rahmen nicht, würde aber wohl auch ein anderes Publikum bedienen als jenes der Biographie. Lagerfeld arbeitete für Chloe, für Fendi, für Chanel, bevor er „er selbst“ wurde.

Es ist ein Leben, das sich durch künstlerische Unersättlichkeit auszeichnete, er wurde Fotograf, er wurde Designer, er machte Werbung (auch mit seiner Person), und um 2000 erkannte er, damals immerhin schon in seinen späten sechziger Jahren, dass man auch das verkörpern muss, was man ist – er erschlankte gewaltsam (und hielt es bis zum Ende seines Lebens durch), mit weißem Haar und schwarzer Kleidung war er unverkennbar, nur den Fächer, mit dem er bis dahin exzentrisch erschienen war, ließ er weg. Alles war bewusst gestaltet, weniger künstlich als künstlerisch, und natürlich ging es auch ums Verkaufen – seine Produkte durch sich selbst.

Man lernt aber auch den privaten Karl Lagerfeld kennen, nicht nur in einigen unglücklichen Beziehungen, auch gehetzt von einem Wohnsitz zum anderen, in die er viel Mühe und Geschmack investierte, um sie wieder zu verlassen, wenn er sich einen neuen Stil zu geben wünschte. Es hat den Anschein, als wäre nur die Liebe zu Büchern die Konstante eines Lebens gewesen, das sich dauernde Veränderung zum Motto gesetzt hat.

Manches an Lagerfeld ist fragwürdig geworden, die stolz ausgestellte, auch affektiert zelebrierte Egozentrik, seine Gier (die Exklusivität seines Namens in Warenhäusern zu verschleudern), eine peinliche Steueraffäre, die schamlose Werbung und vor allem der sture Konservativismus, in den er sich in späteren Jahren verbohrte. Als „Gesamtkunstwerk“ hat er sich allerdings gehalten, und dieses kann man umfassend und ausführlich in dieser Biographie nachlesen.

Renate Wagner

 

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