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ALEXANDRA LIEDTKE: Das Publikum fordern


Foto: Website (Reinhard Werner)

ALEXANDRA LIEDTKE

Das Publikum fordern

Mit „Samson et Dalila“ hat ein in jeder Hinsicht schwieriges Werk in der Wiener Staatsoper Premiere. Alexandra Liedtke, hierzulande vor allem durch Sprechtheater-Inszenierungen bekannt, wird mutig auf Bibel-Prunk verzichten und ihren beiden Paradekünstlern Elīna Garanča und Roberto Alagna eine differenzierte Beziehungsgeschichte abverlangen.
Für den Online Merker hat sie mit Renate Wagner gesprochen.

Frau Liedtke, wir kennen Sie hier in Wien aus mannigfaltigen Inszenierungen am Theater in der Josefstadt. Was Musiktheater betrifft, sind Sie noch kein „alter Hase“. Wie ist es zu Ihrer Inszenierung von „Samson et Dalila“ an der Wiener Staatsoper gekommen?

Das reicht länger zurück, zum Salzburger Festspielsommer 2012. Damals wollte Alexander Pereira für die Inszenierung von „Das Labyrinth“, den zweiten Teil der „Zauberflöte“, den Schikaneder geschrieben hatte, einen Schauspielregisseur, und diese Produktion durfte ich machen. Diese hat damals Dominique Meyer gesehen, und seither sind wir im Gespräch geblieben, und als sich die Projekte dann von Seiten der Oper konkretisiert haben, habe ich zu „Samson et Dalila“ ein Konzept vorgelegt. Das ist nun auch schon drei Jahre her, und ein so langer Vorlauf ist gerade bei einem so komplizierten Werk sehr wichtig.

Wie bereiten Sie sich auf eine solche Inszenierung vor?

Grundsätzlich nur mit dem Klavierauszug und CDs, ich sehe mir keine DVDs mit anderen Inszenierungen an. Das werde ich, wenn überhaupt, erst nach der Premiere tun, um mir anzusehen, wie Kollegen gewisse schwierige Punkte gelöst haben. Ich gehe ein Libretto experimentell durch, indem ich im Kopf es in verschiedene Schauplätze versetze und sehe, ob es dort möglich ist – aber meist spießt es sich über kurz oder lang mit der Musik oder der Geschichte. Dann fängt man von Neuem an und sucht einen anderen Zugang.

Hatte Dirigent Marco Armiliato bei Ihrem Konzept Mitspracherecht?

Nicht in dem Sinn, dass er etwas verändert hätte, aber er kam sehr früh zu den Proben, und hat diese begleitet – genau so, wie ich damals Glück hatte mit Ivor Bolton 2012 beim „Labyrinth“, wo wir schon vor Probenbeginn die Partitur gemeinsam durchgegangen sind. Und Marco Armiliato und ich sind während der Proben quasi ununterbrochen im Gespräch, was von seinem Standpunkt und was von meinem Standpunkt günstiger wäre, und wir finden immer einen Weg, einander entgegen zu kommen.

Sie haben ein extrem berühmtes Darsteller-Terzett mit Elīna Garanča, Roberto Alagna und Carlos Álvarez…

Und alle drei sind auch großartige Darsteller. Es war für mich wunderbar, als Elīna Garanča gleich zu Probenbeginn auf mich zukam und sich mit mir über den Charakter von Dalila austauschen wollte. Denn dieser ist ja weder in der Oper selbst noch in der Sekundärliteratur genau umrissen, man weiß wenig über diese Frau. Woher kommt dieser Haß gegen Samson, oder steckt nicht auch noch etwas anderes dahinter? So haben wir lange, bevor wir Technisches besprachen – wo tritt man auf, wo steht man, wenn man dies und jenes singt – den Charakter umkreist.

Und was steckt hinter Dalila?

Ich denke, wir haben uns geeinigt, dass es von der Seite Samsons wohl die klassische Geschichte zwischen Verstand und Herz ist, aber Dalila keinesfalls einseitig als die berechnende Verführerin gezeigt werden soll. Ich finde, man spürt direkt in der großen Verführungsarie, wie ihr Seelenzustand „bricht“, wie da echtes Gefühl spürbar wird. Und das ist dann zu erzählen: Da sind Samson und Dalila, beide in ihrer Gesellschaft mächtige Persönlichkeiten und einsam, wie es die Mächtigen oft sind. Und dann begegnen sie einander und wären im Grunde die idealen Partner. Aber sie stehen auf entgegen gesetzten Seiten. Und dann hat sich jeder zu entscheiden, ob er der Verpflichtung gegen sein Volk nachkommt oder seinen Gefühlen Raum gibt… das ist die ewige Geschichte, wie ich sie sehe, und wie die Sänger es wunderbar umsetzen.

Nun ist die Begegnung von Samson und Dalila eine Story aus der Bibel, bisher optisch oft als – flott gesagt – „Bibelschinken“ realisiert, voll von Orientalismus, Exotismus und Grand Opéra. Ein Foto Ihrer Inszenierung zeigt einen Raum mit hohen Türen und eine kleine Badewanne, sehr heutig, und Sie haben auch schon gesagt, dass es bei Ihnen die Säulen des Tempels nicht geben wird, die Samson am Ende einreißt… damit man sieht, dass Gott ihm doch den moralischen Sieg zuspricht. Wie heutig ist Ihre Inszenierung? Könnte man nicht, wenn man wollte, einen Israeli-Palästinenser-Konflikt daraus machen?

Man könnte, aber das will ich nicht, ich möchte keinen Konflikt zwischen bestimmten Religionen und Gesellschaften aufzeigen, sondern eine grundsätzliche Geschichte im heutigen Ambiente erzählen. Akt 1 und 3 werden überhaupt in einem sehr abstrakten Bühnenbild stattfinden, nur die Kostüme charakterisieren den sozialen Status der Figuren. Und Gott, der in der Geschichte so wichtig ist, kommt bei mir in Form von Feuer und Wasser ins Geschehen…

Nun klingt das alles sehr einleuchtend, wenn Sie es erzählen. Aber es gibt Opernbesucher, die lesen keine Interviews, die lesen auch keine Erläuterungen im Programmheft – können die dann auch nachvollziehen, was da konzeptionell überlegt wurde?

Ich möchte mein Publikum nicht überfordern, aber fordern, und ich hoffe, dass die Inszenierung so dicht und überzeugend ist, dass die Zuseher spüren, worum es geht – abseits von Bibel-Look. Darum besteht auch so viel Arbeit darin, die Figuren, die da auf der Bühne stehen, nahezubringen und verständlich zu machen. Ich habe diesen Beruf gewählt, um mit Menschen zu arbeiten, aber auch, um für Menschen zu arbeiten, also habe ich immer das Publikum im Blick und im Bewusstsein.

„Samson et Dalila“ ist nach dem „Labyrinth“, nach einer „Fledermaus“ in Baden bei Wien und einem „Hoffmann“ in Salzburg erst Ihre vierte Musiktheater-Arbeit. Wird das künftig für Sie eine größere Rolle spielen als bisher?

Ich hoffe es sehr. Es gibt Kollegen, die wie ich vom Schauspiel kommen und sich von der Musik beengt fühlen. Im Theater kann ich entscheiden, wie ein Satz gesagt wird und was er meinen soll, in der Oper gibt es mir die Musik vor. Musik ist ein starker Partner, die den Regisseur führt. Aber für mich ist das sehr schön und eine ganz andere Herausforderung.

Gibt es schon weitere Opernpläne?

Ich werde nächste Spielzeit am Salzburger Landestheater Rossinis „La Gazetta“ machen und freue mich sehr darauf, obwohl ich derzeit die Musik noch nicht hören kann – mein Kopf ist einfach voll von „Samson et Dalila“, das wäre unmöglich zu mischen. Aber nach einer Pause, wenn ich mich dann damit befasse, wird es eine wunderbare Herausforderung sein, einen ganz anderen Stil zu finden und die tolle Leichtigkeit von Rossinis Musik umzusetzen.

Grand Opéra und Opera buffa, und auch im Theater größte Vielfalt – das scheint Ihr Markenzeichen zu sein?

Glücklicherweise. Gleich nach dem „Labyrinth“ hatte ich den Eindruck, dass man sich schnell den Ruf erwirbt, man sei eine Regisseurin für „besondere“ und „schwierige“ Aufgaben, aber ich liebe es grundsätzlich Verschiedenes zu machen. So werde ich nächste Saison, auch am Salzburger Landestheater, als erste Premiere den „Hamlet“ interpretieren, reduziert auf acht Personen und die Familiengeschichten im Hause Hamlet und im Hause Polonius. Und an der Josefstadt werde ich ein neues Stück von Tracy Letts, „Eine Frau“, inszenieren. Was sehr meiner Lust an Vielfalt entspricht.

Frau Liedtke, wir wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre Umsetzung von „Samson et Dalila“!

 

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