Alexander Marinovic
MINORITENPLATZ 5
Architektur und Literatur
Herausgegeben vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung
105 Seiten, durchgehend farbig bebildert, Verlag Berger, 2023
Minoritenplatz 5, das ist ein Haus (was heißt Haus!), mit dem man Staat machen kann. Ein riesiges barockes Palais (als solches das älteste Wiens), das den gesamten Block zwischen Bankgasse und Minoritenplatz, zwischen Abraham-a-Sancta-Clara-Gasse und Petrarcagasse einnimmt (was nicht heißt, dass das daneben liegende Liechtenstein Palais nicht noch um einiges größer ist…).
Man nennt den Bau immer noch „Starhemberg Palais“, obwohl es seit 1871 dem österreichischen Staat gehört, der hier das „Unterrichtsministerium“ (unter vielen wechselnden Namen in wechselnden Regierungen) untergebracht hat.
Für dieses „Unterrichtsministerium“ im weitesten Sinn hat Dr. Alexander Marinovic an die 40 Jahre bis zu seiner nun anstehenden Pensionierung gearbeitet. Nebenbei studierter und leidenschaftlicher Kunst-, Literatur- und Kulturhistoriker „schenkt“ er seiner Institution nun ein besonders schönes Buch zur Geschichte des Hauses.
Dabei liegt bei „Minoritenplatz 5“ zuerst der Schwerpunkt erst bei der Geschichte und Baugeschichte: Es gab schon einen Vorgängerbau aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, der mehrfach den Besitzer wechselte, bis die Familie Starhemberg – eines der ältesten Adelsgeschlechter Österreichs, das bis in die Babenberger-Zeit zurück reicht – das Gebäude kaufte, abreißen und ein Palais errichten ließ. Das geschah 1667 durch Graf Konrad Balthasar, und das „Gräfliche Starhembergische Hauß, bey denen Minoriten“ erregte durch seine Größe und prächtige Inneneinrichtung schon die Bewunderung der Zeitgenossen. Der Sohn von Konrad Balthasar war jener Ernst Rüdiger von Starhemberg, von dem (dafür sollte das Unterrichtsministerium sorgen…) jedes österreichische Schulkind schon gehört haben müsste, hat er doch 1683 bei der Zweiten Türkenbelagerung die Verteidigung Wiens geleitet, und zwar von seinem Palais aus. (Alexander Marinovic spart nicht aus, dass der Nachkomme und Namensvetter des damaligen Helden, Ernst Rüdiger, Fürst Starhemberg, im 20. Jahrhundert eine eher zwielichtige Rolle gespielt hat).
Das Palais, vielfach umgebaut, diente der Familie noch längere Zeit als ihr Wiener Hauptsitz, aber auch Fürsten haben finanzielle Probleme: Nach dem Tod von Georg Adam Fürst Starhemberg im Jahre 1807 in den unruhigen Zeiten der Napoleonischen Kriege, konnte dessen Sohn Ludwig Josef den Besitz nicht halten. Das Palais wechselte mehrfach den Besitzer, bis der Staat es kaufte.
Zu Beginn des Jahres 1848, als er gerade noch Kaiser war, hatte Kaiser Ferdinand I. beschlossen, ein „Ministerium des öffentlichen Unterrichts“ zu gründen. Und seither gibt es dieses in Österreich, und nach verschiedenen Adressen zog es 1871 (damals hieß es „k.k. Ministerium für Cultus und Unterricht“) in das ehemalige Starhembergische Palais ein – um bis heute dort zu bleiben. (Derzeit heißt es Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung.)
Der Autor erzählt aber nicht nur Geschichte und Architekturgeschichte des Hauses, ein opulenter farbiger Bildteil ermöglicht das, was einem als Durchschnittsmenschen wohl nie gelingen wird, nämlich einen Gang durch die Pracht der Räume zwischen Barock und Klassizismus, ein faszinierend schönes und prächtiges Ambiente. (Dass die Gegenwart in die alten Räume auch zwecks Konferenzen schlichte Stahltische und –Möbel hineinstellt, wie etwa auf Seite 48 zu sehen, macht allerdings als Stilbruch schaudern…)
Diesem ersten Teil des Buches folgt ein zweiter, der dem Autor offenbar besonders am Herzen lag, nämlich das Ministerium und seine Beamten in der österreichischen Literatur. Dafür wählt er drei Beispiele von Schnitzler, Werfel und Thomas Bernhard aus, die er ausführlich behandelt, nicht ohne Fritz von Herzmanovsky-Orlando, Robert Musil, Franz Kafka, Joseph Roth, Heimito von Doderer, Alexander Lernet-Holenia bis Jörg Mauthe, Alois Brandstetter und Robert Menasse zu erwähnen. Denn, wie der unvergessene Wendelin Schmidt-Dengler es einmal formuliert hat: „Die Affinität von Beamten und Literatur scheint nirgends so ausgeprägt wie in der österreichischen Literatur.“
Das erste Beispiel, das für „Wien um 1900“ steht: Arthur Schniztlers bis heute so lebendiges Theaterstück „Professor Bernhardi“, das eine fiktive Geschichte mit realem Hintergrund erzählte – denn seinem Vater, obwohl als Arzt hoch geschätzt und sehr erfolgreich, ist dennoch immer wieder der Antisemitismus scharf ins Gesicht geblasen (wie es Arthur Schnitzler auch erleben musste).
Schnitzler stellt in dem Stück einen Unterrichtsminister und einen Hofrat im Unterrichtsministerium auf die Bühne – populistischer Opportunismus der eine, achselzuckende Resignation der andere, Schnitzlers persönliche österreichische Erfahrungen mit der Beamtenschaft verarbeitend und seine erbittert-sarkastischen Reflexionen darüber.
Franz Werfels Novelle „Die blaßblaue Frauenschrift“ spielt in ihrer Entstehungszeit 1936, der Held Leonidas ist wohlbestallter Sektionschef im Unterrichtsministerium, der, wenn auch vielleicht mit kleinen Schwierigkeiten, die Möglichkeit hätte, seiner ehemaligen jüdischen Geliebten und dem Sohn, den sie von ihm hat, zu helfen. Er unterlässt es – aus Bequemlichkeit…
Wobei Alexander Marinovic in einem interessanten Schlenker die Situation von Autor Werfel mit der seines Helden konfrontiert. Wie Leonidas, der sich mit seiner reichen Gattin in illustren Kreisen bewegt, war auch Werfel an der Seite seiner umtriebigen Alma widerstandslos gesellschaftlich unterwegs, ohne Protest dagegen, dass sie, die Gattin eines Juden, ohne Bedenken mit den Faschisten liebäugelte… Das war Wien vor dem Anschluß.
Das letzte Beispiel gilt Thomas Bernhard, der in der nachgelassenen autobiographischen Aufzeichnung „Meine Preise“ die rücksichtsloseste Auseinandersetzung mit dem österreichischen Staat, seinen Beamten und seinen Bürgern unternimmt. Als er den Österreichischer Förderungspreis für Literatur erhielt (der Autor nennt das Kapitel „Des Dichters Fluch, des Ministers Fluch“), zog er in seiner Dankesrede mit seiner bekannten Lust an Provokation so aggressiv über alles her, dass Minister Theodor Piffl-Perčević sich nicht anders zu helfen wusste, als den Saal zu verlassen – und Bernhard setzte mit seinen Beschimpfungen fort.
Diese Episode ist von verschiedenen Seiten erzählt worden, Alexander Marinovic befragt die Quellen, weil er weiß, dass man Bernhard in seiner Bosheit und seinem Überschwang nicht trauen darf, aber eines steht fest: Die 68er Revolution, die der herrschenden Klasse ohne Rücksicht auf bisher befolgte gesellschaftliche Absprachen so gewaltsam den Krieg erklärte, war mit seiner Person auch in das Ministerium eingebrochen.
Das es übrigens überlebt hat… Und wenn auch gesellschaftspolitisch nicht mehr alles beim Alten ist – im Palais Minoritenplatz 5 wird noch immer gearbeitet. In Sachen „Unterricht“ im weitesten Sinn.
Renate Wagner