Aida Garifullina
Verheißungsvolles Debütalbum
DECCA CD
Von Kazan aus auf dem Weg in den Opernolymp
Wenn man schon als Aida aufwächst, und der Storch einem noch eine tolle Naturstimme mit in die Wiege gelegt hat, kann ja schon fast nichts mehr schiefgehen. Vor allem wenn man noch dazu aus einem musikalischen Haus kommt und als Drüberstreuer aussieht wie Audrey Hepburn in „Frühstück bei Tiffany“. Mit jungen siebzehn Jahren zog es diese bildschöne Tartarin, Tochter einer Chorleiterin und Gesangspädagogin von der 800 km östlich von Moskau gelegenen Hauptstadt der Republik Tatarstan, nach Nürnberg, um dort mit Siegfried Jerusalem Gesang zu studieren. Nach einer weiteren Ausbildung in Wien entdeckten sie Valery Gergiev am Mariinsky-Theater und 2013 nach dem gewonnenen Operalia-Wettbewerb in Verona wer sonst als Placido Domingo. Aber erst die Auftritte auf den Opernbällen in Wien und Dresden sowie jüngst ihre Mitwirkung in dem Hollywood Film über Florence Foster Jenkins (mit Meryl Streep) in der Rolle der Sopranistin Lily Pons sicherten Aida Garifullina jene mediale Aufmerksamkeit, aus der der Stoff aller Starträume gestrickt ist.
Das neue Album mit Ausschnitten aus russischen Opern von Rachmaninov, Rimsky-Korsakov und Tchaikovsky, russischen Liedern sowie zwei Kostproben aus dem französischen Repertoire („Ah Je veux vivre“ der Juliette aus Charles Gounods Roméo et Juliette und die „Glöckchenarie der Lakmé“ aus Léo Delibes Oper) zeigt deutlich Qualitäten und Grenzen dieser fülligen Stimme auf. Garifullina, deren Idol Anna Moffo ist, verfügt über eine warme, ebenmäßig schön strömende Mittellage und eine darin gut eingehängte Tiefe. Sie ist vom Stimmtyp her eher lyrischer Sopran denn Koloratur- oder Belcantosängerin. Ihre Fähigkeit zu flirrend fließendem Legato kann sie mit der vielleicht schönsten Nummer des Albums, der 8-minütigen Vocalise, Op. 34, Nr. 14 von Rachmaninov, grandios unter Beweis stellen. In Tchaikovskys Romanze „Serenade“ im Dreivierteltakt voller charmanter Lyrismen kann Garifullina mit dunkel leuchtenden melodischen Bögen reüssieren. Die exotische Farbenpracht, mit der Garifullina das Wiegenlied „Allüki“ von Rachmaninov und Maria‘s Lullaby aus Mazeppa vorträgt, stellt ebenfalls ein großes Atout der CD dar. Ansonsten lösen ihre Interpretationen viele Erwartungen ein, wecken aber auch Hoffnungen und scheinen Versprechen zu geben, denen die Sängerin erst gerecht werden muss.
Beim Übergang in die oberen Register und erst recht in die Stratosphären etwa der Glöckchenarie macht sich ein Bruch in Timbre und Klangduktus bemerkbar. Da wechselt die fraulich elegant üppige Mittellage in so manchen leicht spitz angesetzten Ton. Stimmqualität und die Selbstverständlichkeit der Tonproduktion laufen dabei Gefahr, ein wenig ins allzu Konkrete und Gewollte abzugleiten. Diese technischen Einschränkungen tun aber der insgesamt positiven Wirkung des Albums und vor allem der stupenden Ausdruckskraft dieser Stimme keinen Abbruch. Da die Sängerin Gelegenheit hatte, ihre aktuellen Herzensnummern zu wählen, ist das Album auch vom Programm her aufregend geworden. Kein stereotyper Erstling mit Traviata und Lucia, sondern Ausschnitte aus „Sadko“ und dem „Goldenen Hahn“. Die Aufnahmen sind extrem sorgfältig produziert worden und entstanden an sieben Tagen im Februar, März und Mai 2016 im Großen Sendesaal des ORF. Das ORF Radio-Symphonieorchester unter dem Dirigenten Cornelius Meister sorgt für einen luxuriösen Klangteppich. Meister versteht es aber auch, insbesondere bei Rimsky Korsakov, aus der rein dienenden Rolle hervorzutreten und ebenso reichlich Farbe zu bekennen.
Fazit: Ein toller Start, auf das definitive Album der begabten Russin muss allerdings noch gewartet werden.
Dr. Ingobert Waltenberger