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ADRIAN NOBLE – Die Briten sind anders

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Foto: Agentur

ADRIAN NOBLE

Die Briten sind anders

Adrian Noble, einer der führenden Namen der britischen Theaterwelt, der mehr als zwei Jahrzehnte mit der „Royal Shakespeare Company“ verbracht hat, führte zum dritten Mal in Wien Regie, nach zweimal Händel nun erstmals Humperdinck. Dass er eine „konventionelle“ Inszenierung von „Hänsel und Gretel“ schuf, entspricht seiner tiefen Überzeugung dessen, was er unter Regiearbeit versteht

Das Gespräch führte Renate Wagner

Wie haben Ihre fabelhaften Händel-Aufführungen in Wien gesehen, „Alcina“ 2010 in der Staatsoper, „Serse“ 2011 im Theater an der Wien. Humperdinck ist ja da etwas Grundverschiedenes. Wer ist auf die Idee gekommen?

Das war Dominique Meyer. Ich saß mit ihm beim „Serse“ im Theater an der Wien in einer Loge, und er fragte mich, ob mich „Hänsel und Gretel“ interessieren würden. Klingt toll („Sounds great“), meinte ich, obwohl ich diese Oper erst einmal gesehen hatte, weil sie in England natürlich nicht denselben Stellenwert besitzt wie im deutschen Sprachraum. Aber was immer mit Märchenhaftem und Mythischem zu tun hat, interessiert mich – wie ja auch die letzten Stücke von Shakespeare…

Und wie gut ist Ihr Deutsch?

Leider gar nicht, aber glücklicherweise scheint ja hier an der Wiener Staatsoper jeder Englisch zu sprechen, und so war es für mich überhaupt nicht schwierig, das Stück zu inszenieren. Ich gebe auch zu, dass ich zwar Noten lesen, aber keinesfalls eine Partitur interpretieren kann. Aber ich weiß, was das Orchester macht und was es für die Szene erzählt, und ich lasse mir auch vieles von all den Musikern sagen, die um mich herum sind. Für mich ist Oper Theater mit Musik, ich habe ja auch Jahrzehnte mit Sprechtheater hinter mir.

Christian Thielemann gilt als besonders genauer und auch fordernder Dirigent. Hat er Ihnen gegenüber Wünsche bezüglich der Inszenierung geäußert?

Gar nicht. Ich hatte mein Konzept zuerst Dominique Meyer vorgelegt, der gleich meinte, das würde Thielemann gefallen. Dann flog ich nach Frankfurt und wir hatten ein zweistündiges Gespräch. Ich erklärte ihm, wie ich mir die Inszenierung vorstellte, gewissermaßen aus der Phantasie der Kinder heraus, aber doch manches, was man schlimmstenfalls als kitschig empfinden könnte wie beispielsweise die Engel, auf andere Weise gelöst, hier mit den Kindern mit den Luftballons, und er war sehr einverstanden. Das ist natürlich wichtig, denn ich habe im Laufe meiner Opernarbeit auch erlebt, dass ein Dirigent kam und mit seiner „Interpretation“ meine Inszenierung buchstäblich ruiniert hat und ich mich meiner Arbeit völlig entfremdet fühlte. Als dann bei der Wiederaufnahme ein anderer Dirigent kam, hat plötzlich alles gestimmt… Das ist die verrückte Welt der Oper.

Da passiert es auch, dass plötzlich eine Hauptdarstellerin erkrankt und bei der Generalprobe zwei Sängerinnen als Hänsel und Gretel auf der Bühne stehen, die noch gar nicht vorgesehen waren…

Also, ich kann es wirklich so ausdrücken, dass Chen Reiss das Herz gebrochen ist („she was heartbroken“), als sie einen Virus erwischte – ich denke, das war es – und sie die Rolle nicht singen und spielen konnte, nachdem sie wochenlang geprobt hat. Denn man probiert ja nicht „Du trittst da auf und gehst dort ab“, es ist ja ganz anders und viel mehr. Man baut Beziehungen auf zwischen Sängern und ihren Rollen, Sängern und ihren Partnern, das ist ein langer und tief gehender Prozeß. Und dann ist plötzlich alles ganz anders, wobei die tapfere Ileana Tonca zumindest den Vorteil hatte, dass sie vor der Generalprobe schon die Bühnenproben machen durfte. Aber dann stand bei der Generalprobe plötzlich ein anderer Hänsel neben ihr, weil Daniela Sindram auch erkrankt war und Margaret Plummer übernehmen musste… das ist wirklich für niemanden leicht. Um die Wahrheit zu sagen, so eine Situation ist eigentlich verrückt („crazy“).

Es gibt besonders schöne Momente in Ihrer Inszenierung, wenn Sie zur Ouvertüre eine Art Prolog erdichten, wo in einer Familie des vorigen Jahrhunderts zu Weihnachten eine Art Laterna Magica-Bilder vorgeführt werden und zwei Kinder in diese Bilder quasi „hineingehen“ wie Alice ins Wunderland… Die Hexe erscheint mir dann eher komisch als ganz böse?

Ja, Christian meint, dass hier ein echter Widerspruch besteht zwischen dem, was die Hexe ist, und der Musik, die Humperdinck ihr gab, die ist nämlich wirklich elegant. Und doch frisst sie Kinder – ich hoffe, dass meine Hexe nicht zu komisch ausgefallen ist, so wäre es auch nicht gemeint gewesen, sie arbeitet ja dann auch mit blutiger Schürze an einem blutigen Küchentisch.

Nun gäbe es Kollegen von Ihnen, die aus dem Haus der Hexe ein Konzentrationslager machen würden und aus der Hexe eine SS-Lager-Aufseherin… „Euro-Trash“ nennen die Amerikaner solche Inszenierungen. Würde Ihnen dergleichen in den Sinn kommen?

Wir Briten nennen dergleichen „German Directors’ Theatre“, und das interessiert mich wirklich nicht. Ich kann Ihnen eine solche Inszenierung aus dem Handgelenk machen, alle tragen Nazi-Uniformen, dem Chor werden Kondome über den Kopf gestülpt, alle pissen irgendwann auf die Bühne, ich könnte das im Schlaf hinschleudern. Aber ich frage mich immer, wem das wirklich gefällt? Möchte das Publikum wirklich so etwas sehen? Und wenn nicht, warum wird es immer wieder gemacht? Ich jedenfalls wurde als junger Mann von Künstlern wie Giorgio Strehler, Laurence Olivier oder Jean-Louis Barrault geprägt, die all ihre Kunst in den Dienst des Werks gestellt haben, das sie interpretierten. Und so sehe ich den Beruf auch.

Als Sie nach mehr als zwei Jahrzehnten die Royal Shakespeare Company verlassen haben, sagten Sie, Sie wollten sich neuen Herausforderungen zuwenden. Wussten Sie damals schon, dass das die Oper sein würde?

Ich hatte damals, als ich die RSC verließ, das war 2003, schon einige wenige Operninszenierungen gemacht, darunter 2000 in Aix-en-Provence „Il ritorno d’Ulisse“, was auch 2002 bei den Festwochen im Theater an der Wien gezeigt wurde, buchstäblich durch die ganze Welt gereist ist und der größte Erfolg war, den ich mit einer Oper je hatte. Von da an kamen die Angebote von überall, und ich habe einiges angenommen, darunter den „Macbeth“ an der Metropolitan Opera, in dem dann Anna Netrebko die Lady gesungen hat. Die Inszenierung war schon am Spielplan, als sie kam und sie sich ansah. Wir saßen in der Loge von Direktor Peter Gelb, und in der Pause sagte sie zu ihm: „Peter, ich möchte die Lady singen, in dieser Inszenierung, Du machst das!“ Das war wie ein Befehl. Er hat es natürlich gemacht, und es ist erstaunlich, wie problemlos man mit Anna zusammen arbeiten kann – sie macht alles, was der Regisseur sagt, spielt nie die Diva, die irgendwelche besondere Forderungen stellt. Und außerdem ist sie ganz einfach nett.

Konzentrieren Sie sich jetzt auf Oper?

Gar nicht, ich habe eben erst Ende August in London am Vaudeville Theatre Oscar Wildes „The Importance of Being Earnest“ mit David Suchet als Lady Bracknell inszeniert. Und jetzt gehe ich an den Broadway, wo ein neues Musical entsteht. Es heißt „Sousatzka“ nach dem Film „Madame Sousatzka“ mit Shirley MacLaine, wo eine alte Klavierlehrerin einen hoch begabten Buben unter ihre Fittiche nimmt, der viele Probleme hat – er kommt aus Südafrika, sein Vater ist im Gefängnis, er hat eine dominierende Mutter… Es steckt viel Arbeit dahinter, eine solche Uraufführung zu entwickeln, aber für mich ist so ein Musical durchaus der „Cousin“ der Oper. Ich glaube, wir Briten haben da keinen intellektuellen Hochmut, ich habe auch eine Show für die Sängerin Kate Bush gemacht. Das heißt nicht, dass ich nicht gerne auch eines Tages Wagner inszenieren würde, der mich sehr interessiert.

 

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