Achim Hölter
IN 200 BÜCHERN UM DEN GLOBUS
Expeditionen in die neuere Weltliteratur
356 Seiten, Verlag Böhlau, 2023
Es ist dies eines der erstaunlichsten Bücher, die man je in der Hand gehalten hat. Da hatte ein Professor der Vergleichenden Literaturwissenschaft eine „Spontanidee“, wie er selbst sagt. Dass man sich in seinem Fach Lander- und Sprachen-vergleichend auf die Spur der gegenwärtigen Literatur setzt, ist verständlich. Dass man es wirklich und wahrhaftig „in aller Welt“ tun will – nun, das schien schon ein schwieriges Unternehmen. Sich zweihundert Länder von A bis Z (den Aborigines Australiens bis zu Zypern) herzunehmen, wirkt schon wie ein Kunststück.
Sich das eigene Korsett noch enger zu schnallen, indem man Werke wählt, die aus all diesen Ländern in diesem Jahrtausend in deutscher Sprache erschienen sind (das Buchcover wird mitgeliefert), scheint eine Monsterarbeit. Und nun noch jedes Buch mit 200 Worten zu beschreiben (der Leser zählt vielleicht ein-, zweimal nach, dann glaubt man es), ist schier unglaublich.
Aber unter dem Titel „In 200 Büchern um den Globus“ liegt dieses Unternehmen des an der Wiener Universität tätigen Achim Hölter nun tatsächlich vor. Und ist ein Erstaunen auch für Literaturbeflissene, denn man wird sich eingestehen, wie wenig davon man kennt…
Der gebürtige Rheinländer mit eigentlichem Forschungsschwerpunkt Ludwig Tieck und die Romantik, der über Bochum und Münster nach Wien kam, nimmt einen nun auf eine Entdeckungsreise mit. Da er sich gewissermaßen auf die letzten zwei Jahrzehnte beschränkt, sind es nicht die schon fest etablierten Namen, die man findet – für Österreich hat er Petra Pluk (und ihre Demontage des Heimatromans) ausgewählt, für Deutschland Sven Regener, für die Schweiz Lukas Bärfuss.
Aber in der eigenen Sprache kann man sich ja noch selbst umtun. Spannend wird es, was heutige Autoren aus dem Kongo oder Guyana, aus Transistrien oder Honduras und all den anderen Ländern der Welt, von denen wir nicht so viel wissen, schreiben. Dabei bietet der Autor in der ihm auferlegten Kürze immer kurzweilige Klein-Essays, die einiges über das jeweilige Buch (Inhalt und Hintergrund) aussagen. Am Ende gibt es dann noch eine sorgfältige Liste, in der die Biographien alphabetisch geordnet sind.
Das ist ein Buch, ebenso nach dem Zufalls- oder Lustprinzip zu lesen, wie der Autor die Beiträge ausgewählt hat. Zugegeben, dass man – außer es herrscht brennendes Spezialinteresse an der Buntheit der Welt, wie sie sich in der Gegenwartsliteratur spiegelt – das Buch nicht „auf einen Sitz“, wie der Wiener sagt, durchlesen wird. Man schmökert eher hier und da, wo man beim Blättern hängen bleibt (es kann manchmal auch der Buchumschlag sein, der neugierig macht).
Sicher aber wird man diese „Expeditionen in die neuere Weltliteratur“ (so der Untertitel) auf den Stapel jener Bücher legen, nach denen man immer wieder greift, um das eine oder andere kurze Kapitel zu lesen. Man lernt ja auch eine Menge dabei.
Renate Wagner