Tobt auch mir ein Meer im Busen – Richard Wagner: Tristan und isolde – Premiere Theater Aachen 20. Mai 2012
Claudia Iten (Isolde) in freudiger Erwartung ihres Tristan. Foto: Theater Aachen
Orkane und Springfluten des Atlantiks könnten sich in ihrer Elementargewalt nicht aufgewühlter gebaren als die Aachener Isolde, die Rollendebütantin Claudia Iten. Wie eine antike Rachefurie tobt diese Irenfürstin durch ihren Part, scheut auch vor Handgreiflichkeiten nicht zurück, im Überdruck wird hier den affektierten Gefühlsaufwallungen Bahn gegeben. Dabei singt Claudia Iten ihre Partie makellos. Ihr helltimbrierter Sopran, Dank ihrer Mezzoerfahrung, mit einer profunden Tiefe ausgestattet, lässt sie geradezu prädestiniert erscheinen für die vielleicht expressivste Frauengestalt Wagners. Der erste Aufzug wird Dank der jungen Schweizerin zum absoluten Höhepunkt des Abends, dessen Nachhall sich noch in den zweiten hinüberzieht. Die exstatischen Jubeltriller Isoldes zu Beginn des großen Liebesduetts habe ich in solcher Reinheit des Vortrags noch nicht gehört. So wie die Iten das singt, evozieren sie schon den großen „Battlecry“ Brünnhildes. Für den Liebestod hält sie darüberhinaus noch genügend Reserven bereit, ihn in tadellosem Vortrag und entrückter Verklärtheit darzustellen.
Ihre Partner haben es da sichtlich schwer. Mithalten kann, was Makellosigkeit und Schönheit des Gesangs anbetrifft nur Woong-jo Choi als ergreifender König Marke mit profunder, nie larmoyanter Baßgewalt. Ivar Gilhuus hat es schon altersbedingt nicht leicht, den sich verzehrenden Liebhaber glaubhaft rüberzubringen, schlägt sich als trauriger Held aber mehr als achtbar. Dank seiner perfekten Technik und kluger Haushaltung mit seinem nicht gerade groß zu nennenden Heldentenor gelingen ihm doch beachtliche Phrasen: Vor allem seine Replik an Marke und sein Abgesang „Wie selig hehr und milde“ gefielen durch die Noblessee seines Vortrags. Überzeugend mit viril auftrumpfendem Bariton Hrolfur Saemundsson als raubeiniger Kurwenal. Der junge Isländer sollte allerdings darauf achten, nicht zuviel Druck im Überschwang zu geben, es reicht, wenn er der natürlichen Stärke und Edle seines Organs vertraut. Sehr präsent der Melot Yikun Chungs. Mit der Brangäne Sanja Radisics tat ich mich etwas schwer, zwar gefiel auch sie im präsenten Spiel, ihr Vortrag ließ es aber an Belcanto fehlen, dem Nachtgesang fehlte dann doch durch ihre recht raue Interpretation das balsamisch Entrückte. Louis Kim (Seemann) und Patrizio Arroyo (Hirte) empfahlen sich in ihrer markanten Rollengestaltung für größere Aufgaben.
Von Marcus R. Boschs Interpretation gerade der Tristan-Partitur hätte ich mir eine tiefere und präzisere Auslotung gewünscht. Lag es an Premierennervosität oder dem Druck, der auf dem scheidenden Aachener GMD lastete? Manchesmal hatte es den Eindruck, dass Bosch der große Bogen, der sonst seine Interpretationen auszeichnete, entglitt und seltsam zerfaserte, was sich vor allem an uneinheitlichen Tempi ausmachen ließ. Auch kam es des Öfteren zu seltsamen Brüchen zwischen Graben und Bühne und auch bei dem eigentlich wie gewohnt recht präzis aufspielenden Sinfonieorchester Aachen schlichen sich einige Patzer ein. Im Laufe der Serie bis Anfang Juli lässt sich das hoffentlich noch nachjustieren.
Ludger Engels Regie im holzgetäfelten Ambiente Christin Vahls für die ersten beiden Aufzüge und im nebelumschwaderten bleiernen Tor im dritten Aufzug überzeugte durch ihre klugaustarierte Personenführung. In den ersten beiden Aufzügen in ihre strengen Dichte suchte sie die hybride Gratwanderung zwischen Kammerspiel a la Strindberg und Bernhard und des süffisanten Humors eines Loriot, unterstrichen durch die ihre eigene Ästhetik atmenden Kostüme von Ric Schachtebeck. Eine seltsame Kombinaton auf den ersten Blick für den hehren Bayreuther Meister. Da sich das Ganze aber wohltuend unheroisch gab, ging dieser Ansatz recht gut auf. Die seltsamen, zu Beginn des dritten Aufzugs in ihrer Häufung neckischen und euphorischen Wasserspiele und Ränkereien zwischen Kurwenal und Hirten ebbten dann doch dankenswertreweise recht bald ab und man konnte sich auf das ergreifende Sterben Tristans konzentrieren. Buhenswert war das weiß Gott nicht, oder ist man in Aachen noch zu Beginn des 21. Jahrhiunderts tiefempört und geschockt, wenn ein nackter Statist die Bühne quert? Stellten die beiden Herren doch die Stationen des Lebens nach, so wie sie im zweiten Aufzug mit ihren Partnerinnen die Variationen der Liebe in den Generationen recht dezent symbolisierten. Ein großer lohnenswerter Abend, aufgeschlossenen Wagnerianern durchaus anempfohlen.
Dirk Altenaer