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AACHEN: SIMON BOCCANEGRA. Premiere

08.04.2013 | KRITIKEN, Oper

AACHEN: SIMON BOCCANEGRA . Premiere am 7. April 2013

Für beide Jubilare dieses Jahres, Giuseppe Verdi und Richard Wagner, gilt: ihr Frühwerk wird – jedenfalls szenisch – kaum wahrgenommen. Die Akzeptanz Verdis beginnt eigentlich erst mit „Nabucco“, aber auch bei späteren Werken wie „Sizilianische Vesper“ oder „Simon Boccanegra“  gibt es rezeptionelle Probleme. Die Aachener Neuinszenierung des letztgenannten Werkes setzt indes dagegen. Wie kürzlich in Krefeld Wagners „Rienzi“ zu einem Aufführungs-Hit gekürt wurde, so jetzt „Boccanegra“ in der Kaiserstadt. Es ist freilich zu hoffen, dass der geradezu frenetische Jubel des Publikums nicht nur der musikalischen Interpretation, sondern auch und besonders dem grandiosen, in vieler Hinsicht innovativen Werk galt, das wie fast immer in der Endfassung von 1881 aufgeführt wurde.

 Freilich: die Musik muss so zum „Sprechen“ gebracht werden wie unter dem neuen Aachener GMD KAZEM ABDULLAH, welchen der Rezensent bedauerlicherweise erst jetzt erlebte. Aber aus Kollegenmund verlautete viel Lob auch über „Carmen“ und die bisherigen Konzerte. Das SINFONIEORCHESTER AACHEN wirkte auch bei Verdi in der Tat hoch motiviert, spielte dramatisch schlagkräftig und farbfiligran, mit leichten Grenzen bei der allerdings heiklen Begleitung von  „Come in quest’ora bruna“. Abdullah bot einen sozusagen hautnahen Verdi, mit stimmiger Beachtung von Nebenmotiven und besonderen Klangfarben. Der verstärkte Chor des Hauses gab sein Bestes, wobei der Schlussbeifall in seiner Euphorie hier vielleicht etwas übertrieb.

 Besser als mit TITO YOU wird man die Titelrolle kaum besetzen können. Derzeit in Stuttgart engagiert, bot der außerordentlich sympathische Koreaner in Aachen bereits den Père Germont. Als Verdi’sche Korsar ist er wiederum macht- und prachtvoll bei Stimme, singt gleichermaßen raumfüllend und belcantesk und ist dazu ein überzeugender Darsteller. ULRICH SCHNEIDER gehört zum Ensemble des Badischen Staatstheaters Karlsruhe. Sein prunkvoller Bass gibt dem Fiesco angemessene Autorität. Mit solchen Persönlichkeiten werden die beiden Begegnungen auch emotional zu großen Momenten.

 Der 28jährige ALEXEY SAYAPIN (Gabriele Adorno) wird u.a. von Plácido Domingo gefördert, es gibt von ihm bereits Youtube-Aufzeichnungen. Stimmlich wäre freilich noch zu feilen. Die Höhen sind nicht immer ganz frei, Phrasen könnten mitunter größere Geschmeidigkeit besitzen. Aber Aachen erlebt zweifelsohne einen vielversprechenden Sänger auf dem Weg in eine gute Karriere. Ganz hervorragend gestaltet HRÓLFUR SAEMUNDSSON den Albiani. Bei IRINA POPOVAs Amelia hingegen sind bei aller Solidität der Interpretation Abstriche zu machen. Die Höhen wirken mitunter flackrig, und die Ausstatterin GABRIELE JAENECKE hat für ihre etwas gedrungene Figur nicht gerade die vorteilhaftesten Kostüme geschneidert.

 Es ist zur Inszenierung zu kommen, die – wie umgehört – von vielen Zuschauern angenommen wurde. Der Rezensent hingegen bilanziert eine weitgehend belanglose Regie (NADJA LOSCHKY), das Bühnenbild von Frau Jaenecke nervt mit seinem Einheits-Grau. Die beiden Damen haben sich fraglos etwas dabei gedacht, dass sie vor der hinteren Begrenzungsmauer ein Halbkreis-Segment immer wieder auf der Drehbühne kreisen lassen. Gleitende Szenenwechsel sind für sie aber wohl weniger wichtig als die Möglichkeit, Vergangenheit und Gegenwart der Handlung ineinander fließen zu lassen. In einigen Momenten hat das tatsächlich etwas Erhellendes, und es rührt, wenn das Schlussbild noch einmal in die Vorgeschichte zurückblendet.

 Zum Optischen ganz generell. „Simone Boccanegra“ besitzt einen klar definierten geschichtlichen Hintergrund, die Oper ist durchsetzt mit historischen Abspielungen. Das alles muss man sicher nicht wörtlich übernehmen. Aber die moderne Kleidung, öd graue Stapelstühle, eine klappernde Schreibmaschine im Senatsbild – ergibt das interpretatorischen Mehrwert? Der Verheutigung von Opern eignet inzwischen häufig etwas Manisches.

Christoph Zimmermann

 

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