BAYREUTH / Festspielhaus:
TRISTAN UND ISOLDE
3. August 2025
Diese Premiere von 2024 wird wieder von Semyon Bychkov dirigiert in der Inszenierung von Thorleifur Orn Anarsson. Wenn sich der Vorhang gegen Ende des flüssig und agogisch klug aufgebauten Vorspiels öffnet, sehen wir die leere dunkle Bühne mit nur ein paar herunterhängenden Seilen, und vorne Isolde in einem beigen Riesenkleid,das sich um sie wie ein Teppich ausbreitet und sie selbst als Robe mit aufgebauschten Ärmeln umwallt. Darauf sind auch viele Schriftzeichen zu erkennen, was sich auf dem Hemd Tristans doubeln könnte. Wahrscheinlich steht darauf ihre ganze Geschichte geschrieben.
Hier breitet nun Isolde in der Gestalt von Camilla Nylund die ganze Vorgeschichte ihrer Beziehung zu Tristan aus, der sie auf einem Schiff nach Cornwall zur Heirat mit König Marke bringt.Dabei spitzt sich die Szenerie auch musikalisch immer weiter zu. Das Orchester verkörpert nicht nur das Meer mit hohem Wellengang, sondern auch die in Isoldes Brust eminent widerstreitenden Gefühle. Denn einerseits hat Tristan ihr große Schmach angetan und ihren Verlobten Morold in der Schlacht getötet, aber dann kam er selbst zu ihr als kranker Mann in einem Nachen und erhoffte sich Heilung von der gleichzeitigen Ärztin.Als sie nun Tristan zu einer Aussprache zu sich herbefiehlt, überzeugt sie ihn, diese verfahrene Situation mit einem Gifttrank im Doppelselbstmord zu lösen. Ihre Dienerin Isolde hatte aber zuvor den Todestrank mit einem Liebeselixier vertauscht. So kann sich die Geschichte fortsetzen.
Im zweiten Akt sehen wir bühnenfüllend das aufgeschnittene Heck eines Schiffrumpfes, das aber mit seinen Inhalten zunächst im Dunkeln verbleibt (Bühne Vytautas Narbutas, Kostüm: Sibylle Wallum).Hier auseinandersetzen sich zuerst Isolde und Brangäne, wobei es um die Löschung der Leuchte geht, und wie bei einem nächtlichen Stelldichein das nunmehrige Liebespaar nicht entdeckt werden kann. In der Inszenierung ist die Leuchte durch ein bräunliches Licht rechts angedeutet. Ein nächtliches Jagen ist natürlich durch vielfach versponnenen Hörnerklang instrumentiert, der sehr impulsiv und mit frappanter Echowirkung auf der Bühne massive Steigerung erfährt. Eine fulminante Orchestersteigerung begleitet auch die Ankunft Tristans. In ihren Gesängen bis hin zu „Sink hernieder, Nacht“, der nach den dramatischen Aufwallungen eine erste Beruhigung im Zwiegesang andeutet, behalten die Protagonistin und der Protagonist weiter physischen Abstand zueinander. Schon vorher hatten sie die gesamte Bühnenbreite und -tiefe in einer spannenden Personenregie genutzt, um ihre vehement entfachte Liebe und deren Bedingungen auslotend zu besingen. Hier gelingt es auch Bychkov, in farbig bis dezenten Tableaus, musikalische Gestalten aufzufächern. Beim Auftritt König Markes mit Gefolge bekämpfen sich Melot und Kurwenal erst mal heftig. Nun ziehen aber die Liebenden die Konsequenz ihrer Beziehung, und Tristan schlägt gemeinsamen Tod,bzw seinen Selbstmord vor ,fragt dann Isolde, ob sie ihm darin folgen wolle,was sie auch angesichts ihrer Entdeckung bejaht. Das kann Marke nicht verstehen, sieht aber auch keinen Ausweg und erschaudert angesichts dieser Zuspitzung. Diese Gefühle erscheinen sinnig umgesetzt von dem Schwarzbass Günther Groissböck. Zwischen Tristan und Melot kommt es aber dann zu gar keiner Berührung, nachdem letzterer in Gestalt von Alexander Grassauer in düster heftig baritonaler Gesangsmanier Marke den Liebesverrat vorgestellt hatte.
Im Schlussakt wird auch das Inventar des Schiffrumpfes deutlich sichtbar. Es handelt sich dabei um zufällig aneinder gereihte Standbilder, Porträts, Marmorköpfe und anderes abgestelltes Museumsinventar, aber auch Bücher und Zeitungen. Tristan ist darauf in Kareol gelagert. In seinem Fieberwahn hangelt er sich auch mal an den Schiffsseilen hoch oder erklimmt das Kunstgerümpel. Kurwenal verweist ihn aber auf sein ‚Lager‘, wenn er die gestrandete Isolde zum Klang einer Holztrompetenfanfare, lustig geblasen, heraufbegleiten soll. Zuvor hatte Tristan, völlig unverletzt, seine Liebe nochmal in höchsten Tönen besungen. Zum Schluss wird Action bei der Ankunft des Marke samt Gefolge vermieden, und alles steuert auf Isoldes Schlussgesang zu.Zu diesem ist sie dann gefühlt ganz allein auf der Bühne.
Der Herrenchor bringt sich beim Gesang der Matrosen gut zur Geltung. Der junge Seemann ist Matthew Newlin mit tenoral sensiblen aber auch anzüglichen Gesängen. Der Steuermann ist Lawson Anderson in Kurzrolle. Den Hirten in weißem Schäfergewand singt eindringlich Daniel Jenz. Eine sehr gute elegante Brangäne stellt Ekaterina Gubanova vor, die in den Nachtgesängen den unendlichen Fluss der Liebesmusik nahtlos aufnimmt und leuchtend weiterspinnt. Auch Jordan Shanahan ist ein sehr guter dezenter Kurwenal mit zupackend ausdrucksreicher Gesangslinie.
Camilla Nylund wirkt zwar nicht spektakulär, kann aber in jeder Hinsicht die Isolde ausfüllen. Ihr klares graziles Soprantimbe trägt sie über alle Schwierigkeiten der Partie und ihr „still und leiser“ Schlussgesang prägt sich stark in die Erinnerung ein.
Der frischgebackene österreichische Kammersänger Andreas Schager mutiert immer mehr zu einem schweren Heldentenor, wobei die Klarheit der Gesangslinie nie beschädigt wird. Die großen Ausbrüche auf Kareol singt er, als wäre es eine operettenhafte Leichtigkeit. Sein erzenes Timbre trägt ihn auch über die in der Partitur gedichteten und auskomponierten Klippen.
Den größten Beifall erspielt sich aber Dirigent Bychkov und sein Festspielorchester, das dieses metaphysische Werk in ein schönstes klanggewaltiges Erleben verwandelt.
Friedeon Rosen