Foto: Theater in der Josefstadt
WIEN / Kammerspiele der Josefstadt:
SIE SAGT. ER SAGT von Ferdinand von Schirach
Uraufführung
Premiere: 7. September 2024,
besucht wurde die Generalprobe
Hat er oder hat er nicht?
Das Kopfschütteln war schon angesagt, als man die Geschichte im Fernsehen erlebt hat. Noch nie hat sich Ferdinand von Schirach in einem seiner Gerichtssaalstücke dermaßen verrannt. In welche Irrwege #metoo geführt hat – „Sie sagt. Er sagt“, nun in den Kammerspielen der Josefstadt für das Theater uraufgeführt, beweist es.
Man kennt Schirach schon mit zwei Stücken in Wien, die stets brisante Fragestellungen boten (so dass sich das Publikum geistig so richtig gefordert fühlen kann). „Terror“ stellte die Frage, ob man wenige Menschenleben opfern darf, um viele zu retten. „Gott“ erhob die Forderung nach staatlich sanktionierter und assistierter Sterbehilfe. Und nun haben wir das Thema der Vergewaltigung – allerdings an dem denkbar wackeligsten Beispiel.
Sie sagt, sie habe ihren ehemaligen Geliebten nach einiger Zeit durch Zufall wieder gesehen, sei mir ihm in seine Wohnung gegangen, es kam zu einvernehmlichen Sex. Bloß – mitten drin fiel ihr ein, dass sie das doch nicht wollte, und der unsensible Kerl machte einfach weiter bis zu seinem Orgasmus. Ist ein Mann, der sich mitten drin in wohligem Sex fühlt, plötzlich heraus gerissen wird, nicht aufspringt, sich entschuldigt und die Dame heimfährt, wirklich ein Vergewaltiger? Hat eine Frau, die dem Sex zustimmt, nicht auch die Verantwortung, sich das dann nicht mitten drin zu überlegen? Dünner war die Vergewaltigungs-Suppe noch nie. Und das Seelengesülze, das Silvia Meisterle als anklagendes Opfer von sich geben muss, ist fast peinlich.
Er hingegen sagt, sie waren gar nicht im Bett, die Ex-Freundin hätte ihm freiwillig einen BlowJob verabreicht (welcher Mann sagt da schon nein), und das war’s. Außerdem sei alles ganz traurig und schrecklich, und auch der Angeklagte muss furchtbar jammern, was Herbert Föttinger (immerhin der Chef für einen Fünf-Minuten-Auftritt, im übrigen sitzt der den ganzen Abend schweigend herum) mit nicht minder peinlichen, leisen Betroffenheitstönen tut.
Wer von beiden lügt? Hat er oder hat er nicht? Ehrlich – es ist einem völlig egal, das Ganze will man gar nicht so genau wissen. Schrecklicher, klebriger Seelen-Striptease wird eingepackt in eine Gerichtsverhandlung, die wenig zu bieten hat und auf der Bühne der Kammerspiele geradezu schläfrig wirkt. Müde Fachleute: Wiltrud Schreiner erzählt von Sperma, Larissa Fuchs, so unbedarft wirkend, wie die Rolle angelegt ist, vom Verhalten des Opfers bei der Polizei, die psychologische Sachverständige Susa Meyer berichtet von Klischee und Wirklichkeit der Vergewaltigung und dass man eigentlich nichts Definitives dazu sagen kann. Und da ist auch noch die beste Freundin des Opfers (Karin Yoko Jochum), die auch nicht viel zu vermelden hat. Bewahre uns der Himmel, dass Gerichte sich wirklich mit solchen „Fällen“ befassen müssten…
In der Fernsehinszenierung durften Matthias Brandt als der sich schlecht benehmende Verteidiger des Opfers und Henriette Confurius als scharfzüngige Verteidigerin des angeblichen Täters Temperament und Farbe in die Geschichte bringen, und Joseph Lorenz und Martina Stilp hätten das höchstwahrscheinlich auch gekonnt, aber Regisseurin Sandra Cervik bremste aus unerfindlichen Gründen. Im Vorjahr hat sie zu Saisonbeginn an dieser Stelle (den Kammerspielen) wenigstens Kleist als Vorlage gehabt – so leblos, so zähe und langweilig wie dieser Schirach ist ihr die Arbeit damals nicht geraten.
Es gibt noch den Miniauftritt eines schlichten Taxichauffeurs, und Marcello De Nardo tut, was er kann, aber die Szene ist zu unbedeutend, um das Grau des Abends zu erhellen. In diesem tümpeln noch Ulli Maier (freundlich und ohne den geringsten Nachdruck) als Richterin und Oliver Rosskopf als Staatsanwalt ohne Möglichkeiten.
Am Ende, als 99 Prozent der Zuschauer vermutlich bereit gewesen wären, den reuigen, aber natürlich schuldlosen Angeklagten gerührt frei zu sprechen, knallt Schirach noch eine Pointe ins Geschehen, die wiederum alles in Frage stellt.
Nein, diesmal darf man als Publikum nicht abstimmen. Ein nächster Prozeßterimn angesetzt. Das klingt wie die Drohung einer Fortsetzung. Nein, bitte nicht, war schon dies hier öde genug.
Renate Wagner