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STUTTGART: LA BOHÈME – bedrohte Intimität

21.06.2014 | KRITIKEN, Oper

Stuttgart „LA BOHÈME“ 20.6.2014 (Premiere 30.5.2014) – Bedrohte Intimität

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Anbahnendes Glück: Pumeza Matshikiza (Mimi) und Atalla Ayan (Rodolfo). Foto: A.T.Schaefer

 Über alle divergierenden Eindrücke dieser Aufführung hinweg ist eines unanfechtbar klar: spätestens mit dem Rodolfo  hat sich der Brasilianer Atalla Ayan in die Weltklasse der Tenöre eingereiht. Eine Stimme wie aus einem Guss, klar, bruchlos und präsent in allen Registern, reich an dynamischen Hell-/Dunkelfärbungen, schmelzreich und strahlend in der leicht erreichten Höhe, und unwiderstehlich in der Verbindung von südländischer Glut und hypersensiblem Seelenton des eifersuchtskranken Liebhabers. Dazu eine Verlebendigung der Rolle, die aus einem natürlichen Spieltrieb und der Herzhaftigkeit eines leidenschaftlichen Künstlers gespeist ist. Kurz: bei diesem Rodolfo ist einfach alles von A-Z goldrichtig.

Kaum weniger begeistert die dunkelhäutige Südafrikanerin Pumeza Matshikiza, die jüngst eine CD mit Liedern aus ihrer Heimat veröffentlicht hat und als Mimi mit einem leicht gedeckten, aber ebenso farbreichen und in den Hochtönen weichen und rund aufblühenden Sopran das Liebesglück vervollkommnet bzw. ihr trauriges Schicksal in schönster Vokalität durchleidet. Nicht gegensätzlicher könnte die flatterhaft eitle Musette in der zickigen, zuletzt anstandsgemäß betroffenen Interpretation von Yuko Kakuta mit langer Lockenperücke sein – auf den Punkt gebracht durch ihren durchschlagskräftigen, in den Spitzen hier passend klirrend werdenden Koloratursopran, mit dem sie an diesem Abend trotz angekündigter Halsschmerzen ganz ordentlich Gas gibt.

Aus dem Künstler-Quartett kann Adam Palka als Collin seine anderweitig bewiesenen bewundernswerten stimm- und ausdruckstechnischen Möglichkeiten nicht ganz so ideal ausspielen, dennoch am meisten mit Atalla Ayan Schritt halten (mit der Mantelarie als balsamischem Höhepunkt des Innehaltens). Gefolgt von Ronan Collett als Marcel, dessen kräftig zulangender Bariton enorm gewachsen ist, nur im Feuereifer des temperamentvollen Malers manchmal auf Kosten einer sauberen Linie und klanglichen Rundung geht.

Deutlich zurück fällt in diesem Umfeld Kai Preußker, dessen flacher Bariton sich nicht immer so richtig durchsetzen kann, aber immerhin in der Rollenzeichnung des Musikers Schaunard viel Engagement zeigt.

Mit passend trockenen Stimmen und entsprechender Charakterisierung sind Mark Munkittrick als fremdgehender Hausbesitzer Benoit und Siegfried Laukner als schrulliger reicher Schnösel Alcindor rollengerecht besetzt.

Etwas holzschnittartig unausgewogen geriet der instrumentale Unterbau in den Händen von Till Drömann (Assistent des GMD Sylvain Cambreling) und dem Staatsorchester Stuttgart mit teils abrupten Wechseln zwischen großbogig mittragender Emphase und einer zuviel im Forte verweilenden Klangmauer, was wiederum einige unnötige Forcierungen bei den Sängern zur Folge hatte. Auch in der Koordination mit der Bühne und der präzisen Ausspielung von Feinheiten haperte es immer wieder. Dieser wie gesagt etwas holzschnittartige Zugriff auf das Werk könnte indes eine bewusste Anpassung an die grobe bildliche Herangehensweise dieser letzten Inszenierung von Andrea Moses als Hausregisseurin sein. Wie nicht anders erwartet sind ihre „Scenes de la vie de Bohème“ im Hier und Heute angesiedelt. Unterstützt von den für heutige Verhältnisse aufwendig realistischen Bühnenbauten des Popart-Künstlers Stefan Strumbel langt sie so richtig in den Farbtopf der Klischees von Künstlerproblemen, die einerseits zeitlos sind, aber im Detail und der ärmlichen Situation eigene Werke zur Wärmung der Hände zu opfern, von der stimmungsvollen Atmosphäre Henri Murgers ebenso weit entfernt sind wie von der poetischen Vertonung Puccinis.

Die Szene rund ums Café Momus wird zum Spektakel weihnächtlichen Konsums mit viel aufgemotzten Kostümen (Anna Eiermann), Verkleidungs- und Glitzerfummel nach amerikanischem Vorbild, wobei der Mercedesstern auf dem funkelnden Weihnachtsbaum auch dem letzten Begriffsstutzigen klar macht, dass sich diese Szene genauso auch in Stuttgart abspielen könnte. Der Staastopernchor und Kinderchor ( Einstudierung: Christoph Heil ) bieten hier in ihrem gewohnt hohen Engagement einen unbestreitbaren Unterhaltungswert. Dem ausartenden Treiben mit dem Aufmarsch des Goldenen Tambourmajors bereitet die Gendarmerie ein Ende und zieht selbst den Vorhang zu.

Im Prinzip erzählt Moses die Handlung geradlinig und handwerklich effizient im Zusammenwirken der Beteiligten. Der Gegenwart entsprechend tippt Rodolfo seine dichterischen Beiträge in den Computer, der Maler Marcel schafft seine Werke mit Graffiti-Spray. Die auf der rechten Seite wie im Kaufhaus aufgereihten und –getürmten Fernsehschirme lassen jedoch nichts Gutes ahnen. Rodolfo und Mimi geben ihre Identitäts-Arien dem Mikrofon preis, jede Gelegenheit wird zum Filmen der Privatsphäre genutzt und auf den Bildschirmen sichtbar. Im letzten Akt ist die anfangs noch feste Gerüst-Fassade zur transparenten Leinwand geworden, auf der die letzten Minuten Mimis in Großaufnahme zu sehen sind, hinten und seitlich begafft von event-süchtigem Publikum, das nach Mimis Tod gar kurz zu klatschen anfängt. Da verliert das von Puccini so intim und ohne großes Brimborium konzipierte Sterben Mimis die Konzentration aufs Wesentliche, unsere gläserne Welt eines via TV mitzuverfolgenden Lebens im Container zum eigentlichen Anliegen. Ein Thema, das sich gut für die Schaffung eines neuen Werkes eignen würde. Aber kaum, um diesem Puccini-Klassiker einen zeitgemässeren Sinn zu verpassen.

Verdienter Jubel für das Hauptpaar!                                                                       

Udo Klebes

 

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