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Zum 50.Todestag von Dmitri Schostkawitsch. Sein musikalisches Schaffen zwischen Furcht und Verzweiflung!

10.05.2025 | Themen Kultur

Was heute geschah – zum 50.Todestag Schostakowitsch

     Schostakowitsch – Sein musikalisches Schaffen zwischen Furcht und Verzweiflung!

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Dmitri Schostakowitsch. Foto: anonym

 

Dmitri Schostakowitsch sagte oft, seine Sinfonien seien Romane. An Erzählstoff mangelte es in seinem unruhigen Leben jedenfalls nicht. 1906 wurde er in ein Jahrhundert hineingeboren, dass in Russland besonders grausam und blutig ausfiel. Schostakowitsch war Zeitzeuge beinahe über die gesamte Spanne der Sowjetunion. Niemand hätte das Lebensgefühl der Menschen unter dieser Diktatur besser einfangen können als er. Während der Februarrevolution 1917 beobachtete der Knabe Dmitri, wie ein berittener Kosak mit seinem Säbel einen jungen Demonstranten niedermetzelte. Später versucht er, dieses Kindheitstrauma in seiner Musik zu bewältigen, maßgeblich in der Zweiten und Zwölften Sinfonie. Doch schon als Elfjähriger durch die aktuellen Ereignisse, dem täglichen Töten unschuldiger Menschen, traumatisiert, komponiert er kurz darauf eine Hymne an die Freiheit und einen Trauermarsch für die Opfer der Revolution.

Schostakowitsch zwar einerseits verehrt und bewundert, immerhin galt er für Stalin als der größte Komponist der sowjetischen Musik, so interpretierten andererseits viele Kritiker seine Sinfonien als „Protest gegen die Tyrannei, die sich in der Ausbreitung von Übel und Gewalt äußerte.“

Ständig wurde er mit außermusikalischen Komponenten – wie mit der Politik konfrontiert. Mit einigen seiner Spätwerke geriet er auch oft in Ungnade von Stalin und insbesondere der Kritik. Und doch gab es wenige Künstler die politisch und kulturell gleichzeitig so aktiv waren wie Schostakowitsch. Die Aufführungen seiner Werke waren stets von den jeweiligen politischen Situationen abhängig. Die schöpferische Freiheit auszuleben war ihm zwar nicht immer vergönnt, und doch zählt er heute, neben Igor Strawinsky, Sergej Prokofjew, Sergej Rachmaninow und Alexander Skrjabin zu den größten Komponisten des 20.Jahrhunderts.

Zurückblickend auf seine Kindheit scheint Schostakowitsch sich zunächst für die Musik gar nicht zu interessieren, obwohl er aus einer musikalischen Familie stammt. Er der von insgesamt drei Kindern als Zweiter geboren, wuchs in St.Petersburg auf. Noch heute erinnert eine Gedenktafel an sein Geburtshaus in der Podolskaja Straße Nr.2. Seine unmittelbaren Vorfahren kamen aus Sibirien. Sein Großvater war polnischer Herkunft, stammte aus einer römisch-katholischen Familie und war ein Revolutionär, der in dem Januaraufstand von 1863-1864 verwickelt war. Er wurde 1866 nach Narym in der Nähe von Tomsk verbannt. Als die Zeit seines Exils vorbei war, beschloss Boleslaw Szostakowicz, so sein ursprüngliches Name, in Sibirien zu bleiben. Er wurde ein erfolgreicher Bankier und lebte dort mit seiner Familie.

Sein Sohn, der Vater unseres Komponisten, Dmitri Boleslawowitsch Schostakowitsch, wurde im Exil in Narym geboren, wo er später die Universität in St.Petersburg besuchte, und er 1899 an der Fakultät sein Studium in Physik und Mathematik abschloss. Im Jahre 1903 heiratete er die Pianistin Sofia Kokulina. Somit war sie es die ihre Kinder musikalisch heranbildete, und durch den ersten Klavierunterreicht das Talent ihres Sohnes Dmitri erkannte. Nach einem intensiven Klavierunterricht, wobei auch die ersten kompositorischen Versuche sehr viel versprechend waren, übte er sich des Weiteren in Improvisation.

1919 begann Schostakowitsch seine weitere musikalische Ausbildung (Klavier und Kompositionslehre) am Konservatorium in St. Petersburg fortzusetzen. Glazounow verfolgte mit großer Aufmerksam die weitere musikalische Entwicklung seines Sprösslings, aber auch mit Skepsis.

Als Glazounow seinem Schüler ein dringend benötigtes Stipendium verschaffte, schien er offenbar von der musikalischen Qualifikation seines Schülers nicht besonders überzeugt gewesen zu sein. Er schreibt: „Ich finde seine Musik schrecklich. Es ist das erste Mal das ich die Musik nicht höre, wenn ich die Partitur lese. Aber das ist unwichtig. Die Zukunft gehört nicht mir, sondern diesem Jungen.“

Mögen auch die gegebenen Unstände, all die politischen Unruhen, nicht gerade fördernd für sein Fortkommen von Vorteil gewesen sein, so mag dies seinen Fleiß und ein tüchtiger Musiker zu werden wohl weniger beeinflusst haben. Obwohl von schwacher Gesundheit, er unter einer schweren Lungen – und Lymphdrüsentuberkulose litt, wo dieses Leiden ihn ein ganzes Leben begleiten sollte.

1922 stirbt sein Vater, ein schwerer Schlag für die Familie, die in den Wirren nach der Oktoberrevolution bereits ihr gesamtes Familienvermögen verloren hat. Neben dem Konservatorium muss Dmitri in einem Kino als Klavierbegleiter für Stummfilme arbeiten. Trotz der Doppelbelastung gelingt dem Neunzehnjährigen mit der 1.Sinfonie in f-Moll op.10, die er als Diplomarbeit zum Abschluss des Konservatoriums schrieb, 1925 der internationale Durchbruch.

Die Sinfonie wurde am 12.Mai 1926 von den Leningrader Philharmonikern unter dem Dirigat von Nikolai Malko uraufgeführt. Nach dieser Aufführung schrieb Alban Berg Schostakowitsch einen Gratulationsbrief, indem er seine ganze Bewunderung über den Komponisten aussprach.

März 1927 erhält Schostakowitsch den Auftrag für die Feierlichkeiten zum 10.Jahrestag der Oktoberrevolution eine Art Hymne zu schreiben. Es entsteht die 2.Sinfonie „An den Oktober“ in H-Dur. In der Zeit lernt er auch seine große Liebe kennen Nina Warsar, eine junge Mathematik- und Physikstudentin. Wo gegen diese Verbindung die Familie zunächst dagegen ist. Doch die beiden Verliebten setzen sich durch und heiraten am 13.Mai 1932 beim zweiten Anlauf, da beim ersten Termin davor der Bräutigam wegen einer seelischen Krise nicht erschienen und erst einige Tage später völlig deprimiert wieder aufgetaucht ist.

1927 kommt in der Sowjetunion Josef Stalin an die Macht. Seine Regierung fordert von den jungen Künstlern, ausschließlich Werke zu schaffen, die vom Volk leicht verstanden werden können und dem sozialistischen Staat dienen. Künstler, die sich dieser Doktrin nicht unterwerfen und modernen, im Sinne der Regierung „volksfeindlichen“ Tendenzen in ihrer Kunst Raum geben, werden öffentlich angeklagt, verhaftet, deportiert, oder mit einem Berufsverbot belegt. Viele Künstler gehen daraufhin ins Ausland. Da es für Schostakowitsch aber nicht in Frage kommt, seine Heimat zu verlassen, ist er gezwungen sich mit dem stalinistischen Regime zu arrangieren. Er komponiert Werke, die der sozialistischen Politik und der Propaganda dienen, wo er für seine Arbeit mehrfach den Stalinpreis verliehen bekommt. Auch die Parteizeitung Prawda, eine damals unter stalinistischer Führung, finanzierte Zeitung, schreibt zunächst Lobeshymnen über den jungen Komponisten. Dies soll sich aber schlagartig ändern, als man vom Komponisten Werke zuhören bekommt, die keineswegs dem angepasst sind wie vorgegeben. Der vorgegebene Musikstil verbietet jegliche Form von Individualismus und Kreativität. Impressionismus, Futurismus, Expressionismus, Konstruktivismus, Symbolismus und Mystizismus waren unerwünscht. Auch das Element Groteske in der Musik fand aufgrund des fernen Realismusbezuges keinen Platz mehr.

Wiederholt werden einzelne Werke Schostakowitschs durch ein Aufführungsverbot aus dem Verkehr gezogen. Zum ersten Mal war dies 1936 der Fall. Über zwei Jahre lang wurde Schostakowitschs Opernwerk „Lady Macbeth von Mzensk“ von Publikum und Presse gefeiert und fast 200 Mal in Moskau und St.Petersburg aufgeführt. Doch dann besucht Stalin eine Aufführung und verlässt das Theater schon in der Pause. Wenige Tage später erscheint ein Artikel in der Prawda mit dem Titel „Chaos statt Musik“ der Schostakowitschs Musik auf Schärfste verurteilt. Der Artikel war übersät mit Vorwürfen von Formalismus bis über Naturalismus. Ein Auszug der Kritik: „Das Publikum wird von Anfang an mit absichtlich disharmonischen, chaotischen Tönen überschüttet. Melodiefetzen und Ansätze von Musikphrasen erscheinen nur, um sogleich wieder unter Krachen, Knirschen und Gekreisch zu verschwinden. Dieser „Musik“ zufolgen ist schwer, sie sich einzuprägen unmöglich.“ Die Oper wird verboten, wo sein Ballett „Der klare Bach“ jenes Werk ebenso aufs Schärfte kritisiert und vom Spielplan abgesetzt wird. In dieser Zeit entsteht auch seine 4.Sinfonie, die aber nach Vollendung aufgrund der Medienkampagnen und auf Anraten des Dirigenten Fritz Stiedry noch vor ihrer Aufführung von Schostakowitsch selbst zurückgezogen wird. 

Schostakowitsch rechnet täglich mit seiner Verhaftung. Verfällt in tiefste Depressionen, denkt sogar an Selbstmord und zieht sich zwei Jahre aus der Öffentlichkeit zurück. In den Notizen finden wir folgenden Vermerk: In dieser Periode war ich dem Selbstmord nahe. Die Gefahr schreckte mich, und ich sah keinen Ausweg. Ich war ganz und gar von Furcht beherrscht, war nicht mehr Herr meines eigenen Lebens. Meine Vergangenheit war ausgestrichen. Meine Arbeit, meine Fähigkeiten – sie wurden nicht gebraucht. Und die Zukunft bot keinen Hoffnungsschimmer. Ich wollte einfach verschwinden. Das war der einzige mögliche Ausweg. Ich dachte mit Erleichterung daran.“ Ab nun komponiert er nur noch für die Schublade. Erst 1937 scheinen sich wieder die Wogen zu glätten. Mit seiner 5.Sinfonie zeigt sich auch die Staatsführung offenbar zufrieden und er wird zum Professor am Leningrader Konservatorium ernannt. Für die Entstehung dieses Werks 1937 benötigte Schostakowitsch gerade einmal vier Monate, wobei er den 3.Satz in einem Eiltempo von drei Tagen schrieb. Während seiner Kompositionsarbeit, waren diese wenigen Wochen jedoch von erschreckenden Ereignissen geprägt, die in erster Linie Schostakowitschs Familie und Freunde betrafen. Zunächst wurde sein Schwager verhaftet und seine Schwester in ein Lager nach Sibirien deportiert. Seine Großmutter musste zwangsweise umsiedeln, ins heutige Kasachstan. Und schließlich erreichte Schostakowitsch die schockierende Nachricht, dass sein engster Freund und Mentor, Michail Tuchatschewski, hingerichtet worden war.

Schostakowitsch befürchtete nun auch die Gunst des Regimes gänzlich zu verlieren und er lebte in ständiger Angst verhaftet zu werden. Mehrere Künstlerkollegen waren wegen weitaus harmloseren Vorwürfen verhaftet, gefoltert, deportiert und hingerichtet worden. Sollte ihm Ähnliches blühen? Dadurch dass er seit dem Erscheinen niederschmetternder Kritiken als sogenannter Volksfeind gehandelt wurde, beschloss der Leningrader Komponistenverband, die 5.Sinfonie erst intern zu prüfen, um dann zu entscheiden, ob es sich für eine öffentliche Aufführung eigne. Das Urteil war zum Glück positiv sodass die 5.Sinfonie zur Aufführung gelangen konnte. Die Uraufführung der 5.Sinfonie fand am 21.November 1937 im großen Saal der Leningrader Philharmonie unter der musikalischen Leitung Jewgeni Mrawinskis statt. Es wurde ein sensationeller Erfolg, wo während des Finales viele Hörer sich von den Plätzen erhoben und ein Beifallssturm die Säulen des Philharmoniesaals erzittern ließ. Die vielen Ovationen galten nicht nur allein dem Dirigenten und dem Orchester, sondern in erster Linie dem Schöpfer dieses unvergleichbaren Werkes. Zu einem Zeitungsartikel und den unvergleichbaren Jubel seitens des Publikums, äußert sich Schostakowitsch später in seinen Memoiren: „Was in der Fünften vorgeht, sollte meiner Meinung nach jedem klar sein. Der Jubel ist unter Drohungen erzwungen. (…) So als schlage man uns mit einem Knüppel und verlange dazu: Jubeln sollt ihr! Jubeln sollt ihr! Und der erschlagene Mensch erhebt sich, kann sich kaum auf den Beinen halten. Geht, marschiert, murmelt vor sich hin: Jubeln sollen wir, jubeln sollen wir! Man muss schon ein kompletter Trottel sein, um das nicht zu hören.“ Mit dieser Kritik ging Schostakowitsch mit sich selbst, dem Volk und dem Staat streng ins Gericht, und mag er zwar dem Regime das gegeben zu haben was es wollte, aber er selbst wollte es nicht. Einen bombastischen Triumphmarsch, der von der Kulturpolitik als Verherrlichung der Sowjetunion verstanden wurde. Dass es hier aber später zwischen Musikkritikern und Kulturpolitik im Westen immer wieder zu Diskussionen und Missverständnissen kam, indem einige von ihnen die fünfte Sinfonie als reines sozialistisches Werk verurteilten, führte ebenso zu Unverständnis bei einigen russischen Musikschaffenden und einer späteren Kulturpolitik, denn Schostakowitsch beabsichtigte keineswegs ein Staats­verherrlichtes Werk zu schreiben.

Nach diesem unerwarteten Erfolg wurde Schostakowitsch zwar von der sowjetischen Staatregierung als Künstler wieder rehabilitiert, aber ein freier Künstler wurde er zeit seines Lebens nicht. Kaum lässt sich aber erklären, wie in Zeiten der ganzen politischen Unruhen die über dieses Land herrschten, Schostakowitsch als Komponist der ständig unter Beobachtung stand, warum er nicht wie viele seiner Kollegen das Land verlassen hat, wo er doch selbst ständig in Angst lebte? War er so nationalbewusst indem er seinem Land treu zu dienen vermochte, oder war es einfach nur die Angst vor einer ungewissen Zukunft, im Falle wenn er sein Land verlassen würde?

Doch eines ist klarzustellen, obwohl vieler Diskussionen, dass Künstler, auch unter dem späteren sozialistischen System in jeder Weise unterstützt und gefördert wurden. Jeder der sich des politischen Regimes unterzuordnen vermochte, fehlte es an nichts. Das galt ebenso für Sportler, Dirigenten, Musiker, Tänzer, Sänger und Schauspieler, aber auch für Schriftsteller, Wissenschaftler, Ingenieure und Ärzte.

Selbst bezüglich des großen vaterländischen Kriegs von 1939-1945 verließen viele Künstler ihre Heimat nicht. Offenbar hatte auch niemand mit den Auswirkungen und den darauffolgenden schweren Angriffen unter der Führung Hitlers gegenüber Russland gerechnet. Doch in der Sowjetunion herrschten bereits schon vor dem Einmarsch der deutschen Truppen desaströse Zustände. Der Historiker Stéphane Courtois weist daraufhin, dass allein die Zahl der liquidierten Sowjet-Bürger in den Jahren 1937 – 1938 ca. 690.000 betrug, wo sich unter den Opfern auch einige der fähigsten Kommandeure und Generäle befanden, die sicherlich für den bevorstehenden Weltkrieg für Stalin zum Vorteil gewesen wären. Stalins Parteiapparat schien die Warnungen, obwohl Hitler den Angriff gegenüber Russland einige Tage vorher angekündigt hatte, nicht ernst zunehmen. Und Stalin wartete mit dem Befehl zur Abwehr entschieden zulange. Erst nach dem deutschen Einmarsch Juni 1941 in Leningrad und dessen Belagerung, und durch die Verdrängung der Roten Armee, forderte man Hilfe aus England und den USA an, um Dezember 1941 einen Gegenangriff zustarten.

Achtzehn Monate lang wurde die Stadt Leningrad von den Deutschen belagert, und obwohl des grausamen und blutigen Gemetzels, wo außerdem besonders in den Wintermonaten Zivilisten mit dem Hungertod zu kämpfen hatten, wurde der sowjetische Kulturbetrieb weitergeführt. Es war ein wichtiges Belangen mit Unterhaltung das Volk vom Krieg ein wenig abzulenken. Die Essenrationen waren zwar knapp aber dafür gab es genug kulturelle Nahrung in den Theatern und Konzertsälen. Die Künstler, egal ob Orchestermitglieder, Dirigenten, Schauspieler, Sänger, spielten, da es keine Heizung gab, oft bei eisigen Temperaturen, eingehüllt in Decken, mit dicken Jacken oder im Pelz, saßen sie im Orchestergraben oder auf der Bühne. Und doch waren die Konzertsäle von Besuchern überfüllt und das kulturelle Angebot breit gefächert. Außerdem war Stalin zu Kriegszeiten um den Schutz nationaler Künstler sehr bemüht und sorgte dafür, dass sie nicht an die Front kamen. Er setzte viel daran, dass die Künstler die ihm wichtig waren, außer Gefahr gebracht wurden.

So wurden Schostakowitsch und seine Familie, mitunter auch einige seiner Künstlerfreunde wie Soschtschenko und Achmatowa, im Herbst 1941 weit in den Osten des Landes nach Kuibyschew evakuiert. Sämtliche Künstler der Bolschoi Oper, des Moskauer Konservatorium, des Symphonieorchesters der UdSSR und viele einzelne Künstler mehr wurden ebenso ins Exil in Sicherheit gebracht. Dort konnten sie trotz der gespannten Lage beruhigt ihrer künstlerischen Arbeit nachgehen. Schostakowitsch konzentriert sich auf die Fertigstellung seiner ersten Kriegssymphonie, der „Siebten“. Während der Entstehung dieses Werks schreibt er in seinen Memoiren: „Ich empfinde unstillbaren Schmerz um alle, die Hitler umgebracht hat. Aber nicht weniger bereitet mir der Gedanke, an die auf Befehl Stalins Ermordeten…

Die Tatsache, dass er die 7.Sinfonie im Exil fernab jeglicher Gefahren fertig komponierte, wurde zunächst nicht groß verbreitet. Und doch, bevor das Werk überhaupt existierte, wurde es gehuldigt als Symbol des „Kampfes“ des „Heroismus“ und des „Sieges“. Die Propaganda, samt der Bevölkerung versprach sich viel von dem Werk und wurde von Dmitri Schostakowitsch auch nicht enttäuscht. Nach der endgültigen Fertigstellung wurde in Moskau 1942 dieses Monumentalwerk uraufgeführt. Der Saal war brechend voll. Vor Beginn des 4.Satzes erschien plötzlich neben dem Dirigenten ein Diensthabender des Luftschutzes. Er hob die Hand, und ruhig, um keine Panik aufkommen zulassen, verkündigte er den Beginn eines Fliegeralarms. Hitlers Bombenflugzeuge versuchten in diesen Tagen des Öfteren, auch nach Moskau vorzudringen. Doch trotz der Ankündigung des Fliegeralarms verließ niemand seinen Platz und die Sinfonie wurde zu Ende gespielt. Ihr gewaltiges Finale, das den Sieg über den Feind verkündete, schuf eine unvergessliche, erschütternde Stimmung.

Die stürmischen Ovationen verwandelten sich in eine spontane Manifestation patriotischer Gefühle und der Bewunderung über das Talent des musikalischen Schöpfers, der zwar als Komponist später selbst behauptete, es sei niemals seine Absicht gewesen, Kriegsgeräusche musikalisch nachzuahmen, und das es ihm einzigallein darum gegangen ist „den grausamen Inhalt des Krieges wiederzugeben.“. Obwohl die 7.Sinfonie bei vielen Musikwissenschaftlern und Rezensenten immer wieder auf Kritik stieß und zu Diskussionen führte, so wurde Schostakowitsch mit dieser Kriegssinfonie zum Komponist der Nation ernannt. Auch im Ausland wurde seine Musik verbreitet und bewundert. Mit der 8.Sinfonie erreichte er im Vergleich zu der Siebten nicht die große Popularität. Doch rechtzeitig zum Kriegsende im Jahre 1945 kündigt Schostakowitsch sein neuestes Werk an die „9.Sinfonie“.

Es entstehen bereits die ersten musikalischen Skizzen. Üblicherweise hatte Schostakowitsch die Angewohnheit, sich zuerst lange über Form und Gestalt des künftigen Werkes Gedanken zu machen, sodass er dann anhand der Skizzen seine Werke meist sehr rasch ausarbeiten und fertig komponieren konnte. Den ersten Satz von der Neunten schrieb Schostakowitsch in Moskau und alle weiteren in Iwanowo, einem Erholungsort für Mitglieder des sowjetischen Komponistenverbandes. In dieser Idylle trafen auch Sergej Prokofjew, Dmitri Borissowitsch Kabalewski und Daniel Schitomirski (russischer Musikwissenschaftler, Musikkritiker, bekannter Schuhmann Forscher) zusammen.

Schostakowitsch komponiert den 2.Satz bis zum 12.August, den 3.Satz am 20.August, den 4.Satz am 21.August und den letzten Satz stellte er am 30.August fertig. Schitomirski der den Komponisten bei der Arbeit beobachtete weiß Folgendes zu berichten: „Ständig traf ich in dieser Zeit neben Prokofjew, Glier und Kabalewski auch Schostakowitsch. Der August war ausgesprochen freundlich und jeder Form von Erholung förderlich. Schostakowitsch nutzte dies aber kaum. Er ertrug keinerlei Passivität, er verabscheute es, wenn die Zeit ungenutzt in Untätigkeit verstrich. Deshalb mochte er keine langsamen Spazier-gänge und keine Betrachtung der am Himmel dahinsegelnden Wolken und schon gar nicht zufällige Begegnungen, die nichts als leeres Gerede mit sich brachten. Aktivität war die einzige für ihn vorstellbare Existenzform. In Gesprächen war er ungemein knapp, seine Antworten waren abgerissen, aphoristisch und hatten oft einen ironischen Unterton. Er erweckte den Eindruck er sei in Eile, um zu seinen Dingen zurückzukehren. Manchmal war er bereit, gemeinsam zu musizieren und vierhändig Klavier zu spielen. Dabei war Kabalewski der beste Partner für ihn. In deren hervorragender Interpretation konnte ich einige Symphonien von Haydn, Beethoven und Bruckner hören. Für den unbeteiligten Beobachter schien die Arbeit an der Symphonie Nr.9 gleichsam, unter anderem zu laufen. Bei ihrem Schöpfer konnte man weder eine besondere Geschäftigkeit noch Konzentration bemerken, obwohl der Schaffensprozess äußerst intensiv lief…“

An Schostakowitschs neununddreißigsten Geburtstag, somit am 25. September 1945, spielte er dem Komponistenverband in Leningrad die 9.Sinfonie am Klavier vor. Unter den Zuhörern befand sich auch der russische Musikwissenschaftler und Komponist Boris Wladimirowitsch Assafjew, welcher nicht als einziger, maßlos enttäuscht war über das angekündigte Siegeswerk, indem er die neue Sinfonie „als persönliche Beleidigung“ beurteilte. Auch die öffentlichen Reaktionen nach der Uraufführung am 3.November 1945, gespielt von den Leningrader Philharmonikern, wieder unter der Leitung von Jewgeni Mrawinski fielen nicht besonders gut aus.

Wir waren alle auf ein neues, monumentales symphonisches Fresko vorbereitet und lernten etwas völlig anderes kennen, etwas, das vom ersten Augenblick an durch seine Einzigartigkeit schockierte“ so die Aussage von Alexandre Rabinowitsch, Musiker und Dirigent.

Vom versprochenen „kraftvoll und siegreich“ also keine Spur. Unter den zahlreichen negativen Kritiken, ziehen hier Rezensenten wiederum andere Vergleiche wie z.B. Lothar Seehaus: „(…) ein eher an Haydn, an Mozart orientiertes kammermusikalisches Werk, heiter, einfach, verspielt, klassisch anmutend“. Auch Michael Koball ist überzeugt „eine Miniatursymphonie Haydnschen Zuschnitts“. Noch kurioser ist seine Aussage „verspielt – spritzig anmutendes Werk mit unüberhörbaren Operettenanspielungen. Natalja Walerewa Lukjanowa erinnert sich in Schostakowitschs „Neunter“ ebenso an die Musik von Haydn, Mozart und Rossini, allerdings auch an seine früheren Werke, speziell an seine Ballette und Filmmusik. Diese Sinfonie als reine ironische groteske Clownerie, und als oberflächlich zu bezeichnen, stand keineswegs im Sinne des Erfinders. Das dieses Werk als eine Art musikalische Komödie bezeichnet wird, so zeigt es doch nur auf, dass Schostakowitsch seine „Neunte“ mit einem Hauch „Witz“ zwar versehen hatte, aber darin liegt, wenn man genau hinhört, doch die eigentliche Groteske, die aber ebenso auch Schmerz und Leid bedeuten kann. Denn was wollte der musikalische Schöpfer uns hier in seinem Werk in Wahrheit verdeutlichen? Seine Mitteilung an das Publikum war, aufzuzeigen, „Die Unterdrückung des Volkes, den grauenvollen Krieg zu verdeutlichen, und die dadurch zu Millionen beklagenden Opfer, so als auch dass gesamte stalinistische System“ deren Regime er im Innern seines Herzens immer wieder verabscheute. Interessant ist dieses Werk allemal, wenn am Schluss im Presto-Largo-Allegretto, die tiefen, dunklen, wie von grauen Wolken behangen, dumpfen Töne erklingen, dann versteht man sowohl den Inhalt und die musikalische Deutung des Komponisten. Obwohl diese Sinfonie keineswegs in die gigantischen Fußstapfen eines Beethovens tritt, so hat sie zumindest eine starke musikalische Aussage und man kann sie wollen oder nicht. Wo sich am Ende immer noch die Frage stellt: Ist es ein Werk des Krieges oder der Groteske?

Erst nach genauerem Hinhören und auch Hinweisen, verstand es auch Stalin, was hinter den geheimen Botschaften steckte, und was in der Instrumentation einzelner Figuren, Schostakowitsch hier eigentlich zum Ausdruck bringen wollte. Schostakowitsch war einer der Wenigen, die neben Beethoven und Tschaikowsky, alles Leid und Elend dieser Welt, nicht in Worte, sondern in Musik ausdrücken konnten.

Die Kunst gehört dem Volk“, so hat es zumindest in der Sowjetzeit immer geheißen, und obwohl die 9.Sinfonie den Sowjetbürgern gewidmet war, wo außerdem von Musikexperten man Stalin gegenüber versprach, dass es sich hier um ein ehrenvolles und würdiges Werk handeln werde, und Stalin voll den Aussagen seiner Musikexperten vertraute, so wurde ihm erst durch die überraschende Umgestaltung des Werks bewusst, dass es in dieser Sinfonie, Schostakowitsch keineswegs um eine heroische und siegreiche Verherrlichung Russlands ging, sondern eher um eine groteske Kritik, wo Stalin sich massiv gekränkt und gleichermaßen genarrt fühlte. Er empfand die Sinfonie daher als „volksfeindlich“ und sie wurde abgesetzt und nicht mehr aufgeführt. Eine weitere Demütigung Schostakowitsch gegenüber der wie so oft schon vom Zentralkomitee angeprangert wurde. Nach dem Krieg formuliert die Regierung Richtlinien gegen komplizierte Formen und Harmonien in der Musik. 1948 wird Schostakowitsch, zusammen mit anderen Komponisten wie Prokofjew und Khachaturian, öffentlich beschuldigt, diese Richtlinien zu missachten und volksfeindlich und formalistisch (also modern) zu komponieren. Daraufhin darf Schostakowitsch nicht mehr als Professor unterrichten. Die Mehrzahl seiner Werke, die in den Jahren davor noch hoch gelobt wurden, wurde zum Großteil aus dem öffentlichen Musikleben verbannt. In der Entstehung seiner nächsten Werke, versucht nun Schostakowitsch, nach den Vorgaben des Staates sich an die Richtlinien zuhalten und komponiert liniengetreu einige Streichquartette, einen Liederzyklus und sein 1.Violinkonzert, aber auch hier schreibt er mehr oder weniger für die Schublade. In der Zeit 1950/51 entstehen noch 24 Präludien und Fugen op.87, inspiriert durch die Teilnahme an den Feierlichkeiten in Leipzig anlässlich des 200. Todestages von Johann Sebastian Bach.

1953 stirbt Stalin, und Schostakowitsch arbeitet an seiner 10.Sinfonie, es ist seine persönliche Abrechnung mit dem Diktator. Im Ausland werden stattdessen seine Werke überall mit Erfolg aufgeführt, wofür er mit zahlreichen Preisen geehrt wird. Nach diesen internationalen Erfolgen, steigt auch wieder sein Ansehen in der Sowjetunion. Einige seiner unter Stalins verbotenen Werke dürfen nun wieder aufgeführt werden. Im Dezember 1953 wird auch seine 10.Sinfonie e-Moll op.93 in Leningrad uraufgeführt. Die Musik beginnt düster. Oft wird dieser Beginn als musikalische Verkörperung von Schostakowitschs Angst vor dem Regime gedeutet. Dunkle Klangfarben sorgen jedenfalls für eine beklemmende, bedrohliche Wirkung. Es erhitzt die Gemüter wenn man sich mit Schostakowitschs Leben intensiver auseinandergesetzt.

Fakt ist: Die 10. Sinfonie ist alles andere als eine fröhliche Feier in C-Dur. So wie all seine vorherigen Sinfonien. Seine letzten Werke sind eher eine Tragödie und keineswegs für sensible Nerven. Und sie sind auch nicht gerade unterhalt-sam, angesichts aller verbalen Kämpfe und politischen Instrumentalisierungen wenn man hinter die Kulissen Schostakowitschs schaut. Er konnte sich nach dem Stalinismus zwar inzwischen freier bewegen, ebenso auch ins Ausland fahren, und erhielt aufgrund der erfolgreichen Aufführungen und Ehrungen im Ausland, sogar die Ehrendoktorwürde der Universität of Oxford. Doch wirklich frei war Schostakowitsch nie. Nach der Uraufführung der 12.Sinfonie in d-Moll erfolgte die Aufnahme in die KPdSU. Einige Augenzeugen wissen zu berichten, dass der Eintritt in die kommunistische Partei nicht freiwillig geschah, und dies Schostakowitsch stark belastet habe. Obwohl vom Zentralkomitee er, als auch andere Komponisten, sowie der inzwischen verstorbene Prokofjew rehabilitiert wurden, so hinkt doch die Vergangenheit immer noch nach, denn auch unter der neuen Regierung Nikita Chruschtschows ist nicht alles Gold was glänzt. Obwohl die Wirtschaft blüht und die Lebensbedingungen des Volkes sich verbessert haben.

Trotz der vielen Widersprüchlichkeiten in Schostakowitschs Leben, indem der sich im Laufe der Jahrzehnte immer wieder gegen den Staat auflehnte, so verhielt er sich gegenüber der Sowjetunion loyal, und war unter der neuen Regierung auch lange Zeit als Sekretär des Komponistenverbandes der UdSSR tätig. Nach und nach wurde sein früheres CEuvre rehabilitiert und seine einst verbotenen Werke wurden wiederaufgeführt. Einladungen seitens der DDR erlaubten ihm für kurze Zeit die UdSSR zu verlassen, wo er nach seiner Rückkehr in die Heimat auch wieder den Unterricht am Konservatorium aufnahm. Von 1962 bis zu seinem Tod war Schostakowitsch als Professor am Leningrader und Moskauer Konservatorium beschäftigt.

Im Sinne der sowjetischen Kulturpolitik hat Schostakowitsch offenbar alles richtig gemacht, und die Fehler die er einst begangen, wurden ihm längst verziehen. In Zeiten des Friedens konnte auch Schostakowitsch endlich aufatmen – doch die Wunden sind geblieben.

1968 erhält er noch den Staatspreis der UdSSR. 1974 den Glinka-Staatspreis. Danach folgen noch viele andere Auszeichnungen im In-und Ausland, unter anderem das österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst 1974.

Doch die letzten Jahre seines Lebens sind bereits von schwerer Krankheit geprägt. Er leidet unter einer schweren Rückenmarksentzündung, die zu einer Lähmung seiner rechten Hand führt.

Am 9.August 1975 verstirbt Schostakowitsch an einem Herzinfarkt. In Anwesenheit der Familie, vielen Freunden, Kollegen und anderen Wegbegleitern, begleiten Schostakowitsch auf seinen letzten Weg. Viele Kränze schmückten sein Grab, auch ein Kranz darunter vom KGB. Auf dem Nowodewitschi Friedhof in Moskau wurde er beigesetzt wo er seine ewige Ruhe fand. Es war ein Komponistenleben voller Höhen und Tiefen – zwischen Krieg und Frieden. Umsomehr verdient er alle Anerkennung! Er der von einer wahren menschlichen Größe, er der keinen Müßiggang kannte, ein Getriebener, ein stets unruhiger Geist, der durch sein außergewöhnliches Talent, durch Fleiß und Ergeiz, trotz der Demütigungen und Kriegsgefahren, denen er ständig ausgesetzt war, doch am End wie Phönix aus der Asche stieg. Sein musikalisches Erbe das er der Nachwelt hinterlassen hat, beweist, das Musik weit über dem Horizont allem Irdischem steht. Seine Werke sollen uns immer daran erinnern, dass selbst wenn Länder und Völker gespalten sind, die einzige Sprache, nicht nur allein das Wort, sondern die Musik ist. Auch wenn wir noch so verzweifelt sind, so oft wie es auch Schostakowitsch war – Musik ist die einzige Formel des Überlebens und die Sprache aller Völker!

 

Manuela Miebach (Auszug aus meinem Buch „Die Hochkultur Russlands zwischen den Fronten des Westens“ Musik und Literatur aus kulturgeschichtlicher Perspektive)

 

 

 

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