Giuseppe Tomasi di Lampedusa: Il Gattopardo • Schauspielhaus Zürich • Vorstellung: 19.12.2025
SCHWEIZER ERSTAUFFÜHRUNG
(11. Vorstellung • Premiere am 29.11.2025)
«Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, muss sich alles ändern»
Mit der Bühnenfassung von Giuseppe Tomasi di Lampedusas «Il Gattopardo» von Pınar Karabulut und Hannah Schünemann hat das Schauspielhaus eine Produktion im Fundus, die in kürzester Zeit Kultstatus erlangt hat und entsprechen gut ausgelastet ist.

Foto © Krafft Angerer
In seinem einzigen Roman «Il Gattopardo» beschreibt Don Giuseppe Maria Fabrizio Salvatore Stefano Vittorio Tomasi, Principe di Lampedusa, Duca di Palma, Barone di Montechiaro, Barone di Torretta (23.12.1896 – 23.07.1957), letzter Nachkomme einer der ältesten sizilianischen Adelsfamilien, die Geschichte seiner Urgrosseltern als Geschichte des Machtverlusts der Aristokratie und des Aufstiegs des Bürgertums während der italienischen «Einigung». Trotz des immensen historischen Gehalts steht ein akkurater oder gar wissenschaftlicher Blick auf die Vergangenheit nicht im Zentrum des Romans: Für Lampedusa sind historische Romane Werke, «die für uns historisch geworden sind, das heisst als vollkommene Objektivierung einer Epoche, die für den Autor die seiner eigenen Zeit war, für uns aber in solche Ferne gerückt ist, dass wir sie nur noch mit Hilfe der Kunst wahrzunehmen vermögen» (Zitat nach dem Programmheft der Produktion). Als Tomasi di Lampedusa im Herbst 1954 mit der Niederschrift des Romans begann, befand er sich in einer schwierigen persönlichen Situation: Die Vergänglichkeit in all ihren Facetten wurde ihm immer deutlicher. Er war Ende 50, schwer krank, hatte keine Nachfahren und hatte im Zweiten Weltkrieg miterleben müssen, wie der Palast der Familie, der Palazzo Tomasi di Lampedusa in Palermo, wie auch das darin befindliche Familien-Archiv durch ein Bombardement der Alliierten zerstört wurden. Im Roman suchte er den literarischen Ersatz für die verlorene reale Geschichte. Den Welterfolg seines Romans sollte Tomasi di Lampedusa nicht mehr erleben: Das Werk wurde 1958 posthum im Verlag Feltrinelli veröffentlicht. 1963 gab der Roman die Grundlage für das Drehbuch eines Meisterwerks der Filmgeschichte: die Verfilmung durch Luchino Visconti (Nachkomme einer der grossen Adelsfamilien Italiens) mit Claudia Cardinale, Burt Lancaster und Alain Delon in den Hauptrollen.
«Lampedusa weiss Atmosphären und Mentalitäten auf so plastische Art und Weise einzufangen, dass das Sizilien des 19. Jahrhunderts greifbar nahe erscheint und sich über Raum und Zeit hinweg transportiert» (Zitat nach dem Programmheft der Produktion). Diese Qualitäten hat der Film unverändert übernommen: hinzukommt, dass der Opernliebhaber und gefeierte Opernregisseur Visconti (Arturo Toscanini gehörte zu den Freunden des Hauses) und Nino Rota die für die Zeit und Handlung (Abstimmung über die Auflösung des Königreich Siziliens und Anschluss an das neue italienische Königreich) korrekte Musik verwenden und nicht dem erst zwanzig Jahre nach der Entstehung des Königreichs Italien geschaffenen Narrativ von Giuseppe Verdi als patriotischem Komponisten und dem Gefangenchor als heimlicher Nationalhymne Italiens folgen.
Tomasi di Lampedusa war zeitlebens Literaturwissenschaftler und verehrte besonders den Franzosen Stendhal (eigentlich: Marie-Henri Beyle). In «Lezioni su Stendhal» («Stendhal. Reflexionen eines Bewunderers») hebt er dessen Übertragung der Theatertechnik auf die Erzählliteratur hervor: «Dieses System besitzt vor allem den Vorzug, das Ambiente […] mit der Erzählung zu verschmelzen, es so ständig präsent zu halten». Ganz so, wie die Handlung im Theater in Bühnenbild und Kostüme eingebettet sein sollte (und im vorliegenden Fall auch ist). Pınar Karabulut und Hannah Schünemann übertragen diese Erzählweise direkt und unverändert in ihre Bühnenfassung und so bleiben die Faszination und Thematik des Romans makellos erhalten: Die Bühne von Michaela Flück (mit der genialen Idee eines Zeittunnels, der den Zuschauer über die Bühne die Plätze erreichen lässt) und die Kostüme Sara Valentina Giancane tragen ganz wesentlich dazu bei.
Die Umsetzung des Romans für die Theaterbühne bringt es mit sich, dass die Schauspieler hier vor allem vorgegebene Figuren verkörpern und so weniger Raum für Individualisierung bleibt. Markus Scheumann trägt den Abend in der Rolle des vom Untergang seiner Familie erzählenden Don Fabrizio Corbera, Fürst von Salina. Spielt die Handlung der ersten zweieinviertel Stunden in den Jahren um 1860, so spielt die Handlung der letzten knappen Stunde, die Scheumann in einem grossen Monolog quasi allein bewältigt, um 1910. Mouataz Alshaltouh als Tancredi Falconieri konfrontiert seinen Onkel und Vormund Don Fabrizio mit dem grossen Thema des Romans, der Veränderung als Vergeblichkeit der Suche nach Dauer und Glück, die Vorherrschaft der Zeit über alle Anstrengungen der Einzelnen, ihrem Leben einen bleibenden Sinn zu geben, komprimiert im Paradoxon «Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, muss sich alles ändern». Die Handlung beginnt damit, dass sich Tancredi den Truppen Garibaldis anschliesst und kurze Zeit später kein Problem damit hat, Offizier der italienischen Armee zu werden (gleichbedeutend mit einer Distanzierung von Garibaldi), und damit Don Fabrizios von Tomasi di Lampedusa so grandios beschriebene Welt durch äussere Einflüsse in Gang gesetzt von innen her ins Wanken gerät. Das Bürgertum gewinnt an Macht und Geld, symbolisiert in der Tatsache, dass sich Tancredi von Don Fabrizios Tochter Concetta Corbera di Salina (Sophia Mercedes Burtscher) ab- und, er hat die Zeichen der Zeit und die Möglichkeiten, die sich ihm bieten erkannt, Angelica Sedàra (Mirjam Rast), der Tochter des durch Korruption zu viel Geld gekommenen Don Calogero Sedàra (Alexander Angeletta) zuwendet. Der traditionsbewusste Adel unterliegt: Maria Stella Corbera, Fürstin von Salina (Nicola Gründel) hat umsonst für ihre Tochter gekämpft. Die Veränderungen machen auch vor der Kirche nicht halt: Pater Saverio Pirrone (Peter Knaack) fürchtet kurzzeitig ganz weltlich um die Güter der Kirche und geniesst dann wieder die durchaus auch weltlichen Vorteile, die ihm das Leben in einem adligen Haus bietet. Florian Voigt als Don Fabrizios Jagdpartner Don Ciccio Tumeo und David Rothe als Don Fabrizios Sohn Paolo Corbera di Salina, Herzog von Querceta und Carlo Cavriaghi, Graf aus Mailand.
Das Ambiente spielt die Hauptrolle. Das muss man erlebt haben!
Weitere Aufführungen:
Di. 30.12.2025, 19:00; Fr. 02.01.2026, 19:00; Mo. 05.01.2026, 19:00; Di. 06.01.2026, 19:00;
Mi. 07.01.2026, 19:00; Sa. 10.01.2026, 19:00; So. 01.02.2026, 18:00; Di. 03.02.2026, 19:00;
Sa. 07.02.2026, 19:00; Di. 10.02.2026, 19:00; Do. 12.02.2026, 19:00; Sa. 14.02.2026, 19:00;
Sa. 21.02.2026, 19:00; Mi. 25.02.2026, 19:00.
28.12.2025, Jan Krobot/Zürich

