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ZÜRICH: PARSIFAL – Wiederaufnahme. Siegt die Musik über das Szenische?

26.02.2018 | Oper

 

Zürich: PARSIFAL – Wiederaufnahme am 25.2.2018

Siegt die Musik über das Szenische?

Die aus dem Jahr 2011 stammende kontroverse Inszenierung von Claus Guth – zugegebenermassen wahrlich eines ebenso kontroversen Werkes – wurde jetzt von Aglaja Nicolet für die Wiederaufnahme mit einer bis auf wenige Sänger neuen Besetzung aufbereitet. Dass es dabei in der Personenführung zu einigen Überzeichnungen kam (Amfortas, der wie in einem Stummfilm agierte) wie auch bis zu recht braven Rollenporträts (Kundry, Parsifal), soll dabei nicht verschwiegen werden. Das faszinierende Bühnenbild (Christian Schmidt) – eine verfallende Renaissance-Villa auf der Drehbühne – liess immer wieder durch neue Einblicke in ungeahnte Perspektiven schöne Effekte zu. Das Licht (Jürgen Hoffmann) war raffiniert gesetzt und die Video-Projektionen (Andi A. Müller) des schreitenden Parsifal kinematographisch akkurat, aber total überflüssig ins Bild gesetzt.

Diesmal übernahm nun Simone Young die musikalische Leitung und zeichnete sich vor allem durch eine zugriffige Art der Umsetzung aus: Da waren keine atmosphärisch impressionistischen Klangfarben-Spielereien zu hören, sondern handfestes, mitunter auch flottes Musizieren zu vernehmen. Nach einem ausgewogen musizierten Vorspiel ging es schon einige Zeit, bis sich die Philharmonia im 1. Akt zu einem Ganzen fand. Im 2. Akt dann formierte sie sich folglich zu einem Klangbild, das dann erst im 3. Akt voll zufriedenstellend eingelöst wurde. Aber die Klangeruptionen bei der Verwandlung im 1. Akt wirkten einfach zu gewalttätig im kleinen Opernhaus Zürich. Sonst war die Dirigentin den Sängerinnen und Sängern eine mitatmende, unterstützende Leiterin aus dem Orchestergraben. Dass die letzten 10 Minuten des 2. Aktes die Sänger, befeuert durch das zu laut spielende Orchester, das Gaspedal durchtreten liessen, verleitete einmal mehr zum Eindruck, dass Wagner vor allem laut zu singen sei – was sicher nicht den Tatsachen entspricht! –

Der als Parsifal für Brandon Jovanovic einspringende Stefan Vincke und die renommierte Nina Stemme bewältigten diese Lautstärke ohne grosse Mühen. Erstaunlich dass dann Stefan Vincke in der Karfreitagsaue zu berückenden Tönen fand und ganz fabelhaft „Nur eine Waffe taugt…“ sang. Nina Stemme wirkte vor allem durch ihre beeindruckende stimmliche Leistung. Da war alles da, die Mezzotiefe und Mittellage ebenso wie die Spitzentöne. Wenn man ganz kritisch sein möchte, dann werden diese nun doch mit einiger Kraft attackiert und in der Mittellage ist die Schwingung der Stimme nicht zu überhören. Die schauspielerische Umsetzung der Partie hatte sich die Künstlerin wohl angeeignet, es fehlt ihr aber für die Verführerin letztlich doch die existenzielle Hingabe an diese Partie. Vielleicht mag sie sich auch mit dieser Partie nicht ganz zu identifizieren. Einige Aktionen im 2. Akt hätte man zudem Parsifal und Kundry durchaus ersparen dürfen, wie das sich Lagern auf dem Umhang Kundrys wie auf einer Partywolldecke und das Überrollen in der Liebesszene, das so nur lächerlich wirken konnte – es waren zudem auch ein paar Kicherer aus dem Publikum zu vernehmen. Als Amfortas war Lauri Vasar ein theatralisch leidender Gralskönig, sang dabei tonschön und ausdrucksvoll. Als sein Vater Titurel war Pavel Daniluk von der Premierenbesetzung übriggeblieben – und das zu Recht! Welch grossartig tönende  Bassstimme erklang da, die zur Unerbittlichkeit des unbarmherzigen, schrecklichen Vaters passt, der seinen Sohn quält und sich zudem von dessen Blut ernährt! Dazu im Gedächtnis bleibt eine stumme Szene, nämlich wenn Daniluk-Titurel am Schluss des 1. Akt über die Bühne geht und mit dem Stock ein Wasserglas auf einem Tischchen zurechtrückt, in dem Sinne: So, die Ordnung ist nun wiederhergestellt! – Christof Fischesser stellte einen wenig persönlichkeitsstarken Gurnemanz dar, der die Erzählung vor allem im deutlich artikulierten Sprechgesang absolvierte. Die wenigen Piano-Stellen in den höheren Lagen hatten leider keinen Klang. Es scheint, dass der Sänger erkältet war, da er sich dauernd an die Nase griff. Im 3. Akt war er dann ganz da, sang schöne Legato-Phrasen und entschädigte für den 1. Akt. Als Klingsor hörte man die eindrucksvolle Bassstimme von Wenwei Zhang, dies jedoch ohne Differenzierung und Variierung im Ausdruck, in Stimme und Darstellung. Bei den Blumenmädchen stachen vor allem Hamida Kristofferson und Flore Valiquette als jeweils erste Blumen der beiden Gruppen heraus. In der Personenführung hätte man den „Zickenstreit“ der Zaubermädchen durchaus etwas zurücknehmen dürfen. Omer Kobiljak und Alexander Kiechle (beide vom Opernstudio IOS) waren die beiden Gralsritter (hier Chefärzte im Sanatorium für Kriegsgeschädigte!) und bei den Knappen empfahl sich einmal mehr Spencer Lang (3. Knappe) für seine gesangliche Qualität. Der Chor mit Zusatzchor und SoprAlti (Einstudierung: Janko Kastelic) war gut vorbereitet und sang diszipliniert. Besonders schön klangen die Chöre aus der mittleren und höchsten Höhe in grosser Reinheit und hier nun wirklich von oben herab klingend.

Alles in allem eine sehr ordentliche Aufführung mit einer guten bis exzellenten Besetzung. Leider traten die Ärgerlichkeiten der Inszenierung – auch nach sieben Jahren seit der Première 2011 – wieder vermehrt zu Tage, so der unmögliche Schluss, wenn Parsifal als Mussolini oder Goering – je nachdem – auf den Balkon tritt und die Huldigungen der emporgereckten Arme entgegennimmt. Naja…

John H. Mueller                     

 

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