Zürich: WOZZECK – Wiederaufnahme 9.2.2020
Nach wie vor eine hinreissende Produktion!
Die Inszenierung von Andreas Homoki in den suggestiven Bühnenbildern von Michael Levine hat schon fünf Jahre auf dem Buckel und doch seine Frische und Eindringlichkeit behalten, wenn nicht sogar noch gesteigert. Die heute weitgehend gleiche Besetzung wie aus dem Jahre 2015 (mit wenigen Änderungen) und die stringente Inszenierung des Teams Homoki/Levine (Einstudierung: Nina Russi) haben zu einer Verdeutlichung der Intentionen wesentlich beigetragen. Dazu kommt das überaus faszinierende Dirigat von Hartmut Haenchen, der die Berg´sche Genial-Partitur in allen Farben aufleuchten lässt und die dramatische Zuspitzung mit zupackenden Tempi (Dauer dieser Aufführung mit weniger als 90 Minuten!) zu einem atemlosen Erlebnis werden lässt. Die Philharmonia nimmt die Zeichen Haenchens auf und setzt sie mit Brillianz und bei aller Klangwucht mit Transparenz und schneidenden Disharmonien um. Dazu kommt einmal mehr der fabelhaft disponierte Chor mitsamt Kinderchor (Einstudierung: Janko Kastelic).
Nach wie vor sind Christian Gerhaher und Gun-Brit Barkmin das tragische Paar, das auch unter der clownesken Schminke viel menschliches Weh auszudrücken vermag. Christian Gerhaher ist in seiner Verkörperung des Wozzeck noch intensiver geworden, steigert die stimmlichen Farben um einiges mehr, spielt mit einer noch stärkeren physischen Präsenz, und singt dabei auch noch wunderschön. Gun-Brit Barkmin ist als Marie im Spiel noch freier geworden und zeigt uns damit das ganze Elend dieser bedauernswerten Frau auf. Neu dabei ist Daniel Brenna als Tambourmajor, als militärischer Popanz eine Karikatur, und singt mit Heldentenorstimme den ewig geilen Soldaten. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke ist nach wie vor eine unglaublich packende Figur als Hauptmann: dumm, anmassend, präpotent. Sein heller Charaktertenor ist für solchen Ausdruck wie geschaffen. Neu ist auch Jens Larsen als Doktor, den akademische Ruhmes-Aussichten, auf Kosten der Menschen, in den Wannsinn treiben. Ein treffendes Bild, das hier Büchner und Berg entworfen haben, und beängstigend zugleich!
In weiteren Rollen waren Cheyne Davidson und Pavel Daniluk als die beiden Handwerksbuschen zu erleben, wobei Daniluk besonders mit seinem profunden Bass und der Charakterisierung als beschränkter, besoffener Kerl beeindruckte. Sehr gut auch wieder Martin Zysset als bereits verpuppter Narr, der schon nicht mehr Mensch ist – wie es die andern auch erleben werden! – . Irène Friedli stellt die dralle Margret mit agressivem Mezzo dar. Mit schönem, lyrischem Tenor war Iain Milne der Kamerad Andres (eine Rolle, die Fritz Wunderlich auf Platte aufnahm), Tae-Jin Park als Ein Bursche und der Knabensopran Braulio Camarena (wohlgemerkt!) als Mariens Knabe komplettierten das hohe Nivrau des Ensembles auf der ganzen Linie!
Wer diese Aufführung noch nicht gesehen hat, der soll sich sputen!
John H. Mueller