Giacomo Puccini: Turandot • Opernhaus Zürich • Premiere: 18.06.2023
Wildes Assoziieren: Es gibt Pfandfinder, Bienen, U-Boote und Vieles mehr
Mit Puccinis Opus ultimum «Turandot» in der Fragment-Fassung schliesst das Opernhaus Zürich die Saison ab. Geprägt ist der Abend von einer grossen Anzahl Debütierender.
Foto © Monika Rittershaus
Zu den Debütanten des Abends gehört auch der Dirigent Marc Albrecht. Sein Dirigat überzeugt durch den Überblick über das Geschehen im Graben und auf der Bühne, frische, rasche Tempi und genau austarierte Lautstärke-Verhältnisse, die die Sänger nie zudecken. Allerdings ist das Dirigat als Ganzes noch immer zu laut. Die Sänger werden, deshalb nicht zugedeckt, weil alle offenbar geübt darin sind, sich durchzusetzen. Und dieser Kampf ums akustische Überleben wird noch seinen Tribut fordern. Die Philharmonia Zürich folgt Albrecht hochkonzentriert und schwelgt in den Forte-Passagen und kann in den wenigen lyrischen Passagen genauso überzeugen. «Turandot» ist eine Chor-Oper und so sind an diesem Abend der Chor der Oper Zürich, der Zusatzchor des Opernhauses Zürich, Chorzuzüger und der Kinderchor des Opernhauses Zürich aufgeboten. Janko Kastelic (Choreinstudierung) hat ganze Arbeit geleistet und so überzeugen die Chöre mit sattem Klang und grosser Textverständlichkeit.
Debütantin Sondra Radvanovsky überzeugt als Turandot mit perfekt fokussierter Stimme und enormer Bühnenpräsenz. Die Kälte und die Hilflosigkeit der Turandot setzt sie mit grosser Glaubwürdigkeit um. Ihre Interpretation gelänge um einiges Eindrucksvoller, müsste sie nicht besorgt sein, nicht unterzugehen. Martin Zysset gibt mit seinem recht hell timbrierten Tenor und grossem schauspielerischen Talent den alten Kaiser Altoum. Nicola Ulivieri gibt den Timur mit sonorem, perfekt geführtem Bass. Piotr Beczała hat für sein Debüt als Der unbekannte Prinz (Calaf) leider nicht den besten Abend erwischt. Auch wenn die Stimme über weite Strecken hält, was sie verspricht, bricht sie ihm zweimal weg. Die Spitzentöne erreicht er nur mit viel Anlauf und Zittern. Rosa Feola singt die Liù mit perfekter geführter Stimme, aber nur verhaltener Emotion. Der Gegensatz zu Turandot könnte ruhig noch deutlicher gezeichnet werden. Xiaomeng Zhang als Ping, Iain Milne als Pang und Nathan Haller als Pong geben das Trio der Minister mit kräftigen Stimmen und viel Spielfreude. Jungrae Noah Kim verkündet als Mandarin die Gesetze seiner Herrin Turandot.
Der Besetzungszettel führt Juliette Rahon, Egon Gerber, Anna Virkkunen, Benjamin Mathis(Pu-Tin-Pao), Safet Mistele, Olivier Ometz, Alison Adnet(Der persische Prinz) und Kilian Haselbeck als Performer auf. Die Bezeichnung «szenische Assistenten des Choreographen» (Choreografie: Sebastian Zuber) wäre wohl passender, da sie hauptsächlich damit beschäftigt sind, den Chor in Robert-Wilson Manier – als Parodie von dessen Arbeitsweise? – zu arrangieren.
Sebastian Baumgarten geht bei seiner Inszenierung vom Gedanken der Überschreibung, also dem Bearbeiten von Stücken aus. Bei der Überschreibung wirft der Autor erst einmal unnötigen Ballast ab und versucht zum Kern des Werks vorzudringen. Bestenfalls kann ein Stück entstehen, das die Klassikerhandlung behutsam in die Gegenwart und dort in ein neues, aber ähnliches Milieu wie das verlegt, in dem der Klassiker spielt. «Man nimmt ein grosses Blatt Papier und beginnt, eine Welt darauf zu zeichnen. Hinter dem Papier liegt die politische Realität der Entstehungszeit, […]. Die drückt sich natürlich durch» Die Bühne (Bühnenbild: Thilo Reuther) ist als ein grosses Blattpapier, auf dem nun Baumgartens Assoziationen stattfinden. Im Hintergrund sind grossformatige Aufnahmen des ersten Weltkriegs (Video: Philipp Haupt) zu sehen. Nun beginnt das wilde Assoziieren… Es gibt Pfandfinder (Kostüme: Christina Schmitt), Bienen, U-Boote und Vieles mehr.
Weitere Aufführungen in der Saison 2022/2022:
Mi. 21. Juni 2023, 20.00; Sa. 24. Juni 2023, 20.00; Di. 27. Juni 2023, 19.00; Fr. 30. Juni 2023, 19.00;
Di. 04. Juli 2023, 19.00; Sa. 08. Juli 2023, 19.00.
Weitere Aufführungen in der Saison 2023/2024:
So. 30. Juni 2024, 19.30; Mi. 03. Juli 2024, 19.00; Sa. 06. Juli 2024, 19.00; Di. 09. Juli 2024, 20.00;
Fr. 12. Juli 2024, 19.00.
19.06.2023, Jan Krobot/Zürich