Premiere „Salome“ von Richard Strauss am 12.9.2021 im Opernhaus/ZÜRICH
Verdorbene Früchte
Michaela Schuster, Elena Stikhina, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke. Foto: Paul Leclaire
Die Schockwirkung, die Richard Strauss‘ Oper „Salome“ bei ihrer Uraufführung im Jahre 1905 in Dresden auslöste, hat merklich nachgelassen. Doch auch in Zürich lehren den Zuschauer manche Sequenzen immer noch das Gruseln. Die Inszenierung von Andreas Homoki (Bühnenbild: Hartmut Meyer; Kostüme; Mechthild Seipel) zeigt einen weithin abstrakten Bühnenraum, in dessen Mittepunkt sich ein Halbmond befindet. Doch die mystischen und mythologischen Elemente werden leider ausgeblendet. Auf der drehbaren Bühne befindet sich ein Rondell, auf dem man einen Früchteteller erkennt. Doch es sind verdorbene Früchte, die das Geschehen dabei kennzeichnen. Zwar versucht Salome den Propheten Joachanaan immer wieder zu verführen, doch es gelingt ihr nicht.
Dieser psychologisch recht wichtige Moment kommt in der Inszenierung besser zum Ausdruck wie das eigentliche Bühnengeschehen, das sich in einer allzu abstrakten Welt befindet. Und der unheimliche Abstieg in die Zisterne lässt sich nur erahnen. Als sich Narraboth wegen Salome tötet, hilft Jochanaan noch nach. Später wird er Salome sogar vergewaltigen. Doch sind diese Einfälle nicht unbedingt logisch. Es kommt zu seltsamen Veränderungen im Bühnenbild, die aber mit der eigentlichen Personenführung nicht übereinstimmen. Bei der Inszenierung fehlt insgesamt gesehen ein übergeordnetes Konzept, das die einzelnen Handlungsfäden zusammenhält. Packende Schlagkraft vermisst man ebenso bei der Judenszene, die wie der Ausschnitt aus einer Büroszene wirkt. Salomes Tanz könnte auch noch erotischer sein – doch immerhin werden die ständig herabfallenden Schleier durch Kleiderwechsel angedeutet. Während Salomes Tanz kommt es zu einer alptraumhaften Konfrontation zwischen Herodias und Jochanaan, der sie zu überwältigen versucht, was ihm nicht wirklich gelingt. Und bei der Schlussszene fragt man sich, warum der abgeschlagene Kopf des Jochanaan so plakativ zur Schau gestellt werden muss. Noch problematischer ist das plötzliche Erscheinen des eigentlichen toten Propheten Jochanaan, denn der Regisseur bietet für diese Idee keine plausible Lösung an.
Musikalisch ist die Aufführung überzeugender, auch wenn man die Durchsichtigkeit des kontrapunktischen Gerüsts manchmal vermisst. Simone Young vermag als Dirigentin der Philharmonia Zürich die Farbenpracht der Tonsprache gut herauszuarbeiten. Von den sinfonisch verdichteten Linien werden die Singstimmen in recht überzeugender Weise getragen – vor allem bei der hervorragenden Sopranistin Elena Stikhina als Salome, die der vitalen Tonsprache ihrer Partie einen leidenschaftlichen und höchst emotionalen Impetus verleiht. Auch Michaela Schuster (Mezzosopran) bietet als Herodias ein packendes Rollenporträt. Etwas markanter könnte Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Herodes (Tenor) sein. In weiteren Rollen fesseln ferner Kostas Smoriginas als Joachanaan, dessen Bariton allerdings ein gewisses fulminantes Volumen vermissen lässt sowie Mauro Peter als Narraboth und Siena Licht Miller als Page der Herodias und Sklave. Starke Bühnenwirksamkeit besitzt die Judengruppe mit Iain Milne, Riccardo Botta, Diego Silva, Alejandro Del Angel, Xuenan Liu, Fabio Dorizzi, Martin Zysset, Savelii Andreev, Andrejs Krutojs, Andrew Owens, Remy Burnens, Luis Magallanes, Stanislav Vorobyov, Oleg Davydov sowie Flurin Caduff. In weiteren Rollen gefallen noch Wilhelm Schwinghammer, Cheyne Davidson (zwei Nazarener), Valeriy Murga, Alexander Fritze (zwei Soldaten) sowie Henric Bernard (ein Kappadozier). Leider kommt das dichte Geflecht der Leimotive bei der Aufführung nicht immer plastisch zum Vorschein. Das gleiche gilt für die äussere Dynamik als Ausgeburt der inneren, wobei die komplexe Psyche der Titelheldin auch noch nuancenreicher ausgeleuchtet werden könnte. Elena Stikhina bietet hier immer wieder eindrucksvolle darstellerische Passagen, die jedoch oft im Ansatz stecken bleiben. Dies gilt zudem für die unheilvolle Begegnung von Salome mit Jochanaan. Die beiden Sphären der Motive und der nervösen Gesangslinie gewinnen zwar eine gewisse Intensität, doch zeigt sich dieser Aspekt auch hier oftmals nur bruchstückhaft. Dass diese Oper ein streng geformtes Kunstwerk ist, lässt sich bei Simone Youngs Interpretation immer wieder ahnen. Die hymnische Feierlichkeit und Hochstimmung wird aber nicht bis zur letzten Konsequenz ausgeleuchtet. Dies gilt ebenso für Salomes Leidenschaftsmotiv. Insbesondere vermisst man oftmals die Durchsichtigkeit des Klangapparats, die auch bei dieser komplexen Partitur wichtig ist. Doch die elektrisierende Stretta-Form des Finales besitzt bei dieser Wiedergabe durchaus Feuer. Und Elena Stikhina kann sich bei Salomes Schlussgesang zwischen As-Dur und Cis-Dur mit stählerner, aber glutvoller gesanglicher Kraft gegen die Klangmassen durchsetzen. Schwelgerische Walzerklänge und unruhige Rhythmik geraten bei Salomes Tanz immer mehr außer Kontrolle – und es gelingt Simone Young, das Tempo am Ende nochmals fulminant zu steigern.
Starker Schlussapplaus und „Bravo“-Rufe.
Alexander Walther