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ZÜRICH/ Opernhaus: ORPHÉE ET EURIDICE von Christoph Willibald Gluck. Wiederaufnahme

08.05.2023 | Oper international

Christoph Willibald Gluck / Hector Berlioz: Orphée et Euridice • Opernhaus Zürich • Wiederaufnahme: 07.05.2023

Ein «Orphée» für die Ohren

Nach der virtuellen Premiere vor etwas mehr als zwei Jahren erlebt Glucks «Orphée et Euridice» (uraufgeführt am 2. August 1774) nun ihre reale Premiere am Opernhaus Zürich. Gespielt wird Hector Berlioz Bearbeitung aus dem Jahre 1859 (Théâtre Lyrique, 18. November 1859).

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Foto © Monika Rittershaus

Die Geschichte von Glucks Vertonungen des Orpheus- Mythos beginnt am 5. Oktober 1762 im Wiener Burgtheater mit der Uraufführung von «Orfeo ed Euridice». Neben den bereits erwähnten Fassungen gibt es noch eine Fassung aus dem Jahre 1769 (Uraufführung als «Atto d’Orfeo» am 24. August 1769 in Parma anlässlich der Heirat von Erzherzogin Maria Amalia von Österreich mit Ferdinand von Bourbon Infant von Spanien). Wie damals üblich entstanden rasch zahlreiche mehr oder weniger entstellende «Aufführungs-Fassungen». So wurde in Berlin die Aufführungstradition begründet, den Orpheus mit einer weiblichen Alt-Stimme zu besetzen, während die Uraufführungen von einem Alt-Kastraten bzw. Haute-Contre gesungen wurde.

Bis in die 1820er-Jahre wurden Glucks-Reformopern je noch um die 400 Mal gespielt. Danach kamen in der Regel nur noch einzelne Nummern oder höchstens Akte zur Aufführung. Als junger Student, gerade in Paris angekommen, erlebte Berlioz vermutlich am 26.11.1821 mit «Iphigénie en Tauride» seine erste Vorstellung einer Gluck-Oper, noch als ganze Oper und noch in Orchester-Besetzung in direkter Tradition zu den 1770er-Jahren. Dieses Datum markiert den Entscheid Berlioz das Medizin-Studium zu Gunsten der Musik aufzugeben und den Beginn einer lebenslangen Beschäftigung mit Gluck. Im Rahmen dieser Beschäftigung stellte Berlioz fest, dass sich die Dirigenten immer grössere Freiheiten nahmen und mit dem Aufkommen der Grand-Opéra die Titelrolle des «Orphée» auf Grund des Aussterbens der Haute-contres immer schwieriger zu besetzen war.

Berlioz beschloss, um zu verhindern, dass Glucks «Orphée» der Vergessenheit anheimfällt, eine «angemessene» Aufführungs-Fassung einzurichten. Die Schwierigkeit die Rolle des Orphée mit einem fähigen Tenor zu besetzen, war für ihn die Legitimation zur Umarbeitung. Bei der Einrichtung der Aufführungsfassung beschränkte sich Berlioz aber nicht darauf, die notwendigen Änderungen für die Transposition der Titelrolle vorzunehmen. Er, der an einen linearen Fortschritt in der Musik glaubte, machten sich daran «Fehler» früherer Drucke zu beheben und modifizierte auch noch die Orchester-Besetzung und teilte die Oper in vier Akte ein. Die von Gluck im Vorwort zu «Alceste» formulierten Reformideen, das «Glaubensbekenntnis des Musikdramatikers Gluck», waren für Berlioz dann aber nicht verbindlich. Letztlich handelt es sich, da die Übernahmen aus den Opern Glucks eine neue, authentische Gestalt erhalten, bei Berlioz Aufführungsfassung ein eigenständiges und originales Werk. Letztlich dürfte diese Fassung, dominiert vom «Bearbeiter» statt dem «Bearbeiteten», für das Regietheater, wo der Regisseur statt das Werk im Mittelpunkt steht, die richtige Wahl sein.

Die Inszenierung der Zürcher Produktion stammt von Christoph Marthaler (Regiemitarbeit: Joachim Rathke), die Ausstattung von Anna Viebrock und die Lichtgestaltung von Martin Gebhardt. Marthaler und Viebrock lösen das Problem der in ihrer Sicht fehlenden szenischen Spannung, indem sie den drei Gesangsrollen sieben Schauspielerrollen als «Selige und unselige Geister» hinzufügen. Diese sind während der ganzen Aufführung auf der Bühne präsent, sollen eine nicht weiter bestimmte Macht andeuten, der Orphée und Euridice ausgeliefert sein sollen und eine eigenständige Reflexionsebene eröffnen.

Olga Syniakova gibt den Orphée mit souverän geführtem, schlanken Mezzo und überzeugt auch in den virtuosen Passagen, die Berlioz der legendären Pauline Viardot-García (1821-1910) in die Kehle komponierte. Chiara Skerath legt die Euridice dramatisch und mit viel Vibrato an. Alice Duport-Percier beeindruckt mit frischem, kräftigem Sopran als L’Amour.

Die Philharmonia Zürich unter der musikalischen Leitung von Stefano Montanari ist der strahlende Lichtblick des Abends. Montanari animiert mit seinem fokussierten, spannungsgeladenen Dirigat die Philharmonia zu traumhaften klanglichen Höchstleistungen. Selten klingen die Streicher so samtig, das Holz so warm, das Blech so sicher und das Schlagwerk so herrlich herb. Die Leistung des Chor der Oper Zürich, vorbereitet von Ernst Raffelsberger, lässt sich kaum beurteilen, da er bei dieser unter Pandemie-Bedingungen entstanden Inszenierung (stark verfremdet) eingespielt wird.

Ein «Orphée» für die Ohren.

Weitere Aufführungen:

  1. Mai 2023, 20.00; So. 14. Mai 2023, 14.00: Fr. 19. Mai 2023, 19.00; Di. 23. Mai 2023, 19.00.

08.05.2023, Jan Krobot/Zürich

 

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