Piotr Beczala. Copyright: Kurt Pinter
Zürich/ Opernhaus: Liederabend Piotr Beczala – – 11.01.2018
Der lyrische Tenor in dramatischeren Gefilden
Nach seinem Liederabend vom 21.12.2015 hat man Piotr Beczala letzte Saison als Sou.Chong und Lohengrin bewundern können. Seit 2015 hat die lyrisch timbrierte Stimme – eine Stimme wie Samt und Seide – deutlich an Kontur und dramatischer Kraft gewonnen. Sicher kann Beczala, der wirklich eine der schönsten Tenorstimmen der Jetzt-Zeit besitzt, auch Lieder singen. Er tut dies auch auf seine individuelle Weise. Diesmal hat sich er im ersten Teil des Abends auf Lieder aus dem italienischen und in der 2. Hälfte auf solche aus seinem ureigensten polnischen Bereich beschränkt. Vor der Pause also erklangen wohlbekannte Canzoni von Donaudy und Tosti, die Beczala mit geschmackvoller Zurückhaltung und etwas neutral präsentierte. Allerdings hat man das «Ah…Ah!» in der «Ultima canzone» auch schon verführerischer gehört. Nach einer selten gehörten Liedgruppe von Wolf-Ferrari gerieten dem Sänger die sechs Lieder von Respighi zum künstlerischen Höhepunkt. Vom Komponisten der «Fontane und Pini di Roma», wohl als einer der wenigen Impressionisten Italiens bekannt, überraschten diese Liedkompositionen durch eine originelle Klavierbegleitung und durch sowohl melodische als auch harmonisch unerwartete Wendungen. Hier offenbarte sich, mit welch vollendeter Technik Beczala seine Stimme führt: das ist nichts verwischt, die Stimme klingt sowohl im Piano als auch in den Forte-Ausbrüchen und die Höhe kommt so sicher wie das Amen in der Kirche. Es ist einfach mal herrlich, einem Sänger zuzuhören, der absolut keine technischen Probleme hat und der dazu auch über eine quasi natürliche Musikalität verfügt, die nichts etwa zu künstlich erscheinen liesse.
Es sei hier auch auf die exzellente pianistische Begleiterin hingewiesen, nämlich Sarah Tysman, die Beczala eine wahre Duo-Partnerin am Flügel ist. Wie wohltuend mal nicht eine oder einen der heutigen Pianisten zu hören, die das Klavier als Schlagzeug benutzen und jede Melodie zu Tode hämmern. Besonders bei den Kompositionen von Respighi zeigte sich, welche hervorragende Musikerin Sarah Tysman ist: die Klang-Malereien à la Debussy unterstützten die gesangliche Darstellung Beczala’s aufs Optimalste.
Nach der Pause wagte es Beczala, sich nur auf das polnische Lied-Repertoire zu konzentrieren, wobei er für das aufmerksam lauschende Publikum zum Advokaten der Musik seiner Heimat wurde. Es gibt eben neben Chopin noch andere Komponisten dieser Nationalität!…Von Karol Szymanowski kennen wir mittlerweile seine nach-Tristan’sche Oper «Krol Roger», aber kaum Klavier- und Liedkompositionen. Die Sechs Lieder nach Gedichten von Kazimierz Przerwa-Tetmajer op. 2 waren eine Entdeckung. Da gibt es harmonische Wendungen, die fast einem Hug Wolf gleich, dadurch der Melodieführung eine ganz spezielle Farbe und damit einen unmittelbaren Eindruck der Wechselwirkung von Wort und Ton geben. Auch die Liedgruppe von Mieczyslaw Karlowicz und von dem durch die Oper «Straszny dwór» bekannten Komponisten Stanislaw Moniuszko waren eine Repertoire-Bereicherung.
Natürlich gab’s auch Zugaben: Zuerst eine im ziemlichen Forte gesungene Werther-Arie «Pourquoi me réveiller», das entzückende Puccini-Lied mit dem Selbstzitat, eine dramatisch gesungene Cavaradossi-Arie «E lucevan le stelle» und zum Abschluss noch «zum Drüberstreuen» die Arie des Sou-Chong «Dein ist mein ganzes Herz!». Hier gab nun Piotr Beczala den schmetternden Tenor und das Publikum geriet in Verzückung über seine strahlende Höhe und die laute Tongebung. Und das wollte so gar nicht Liederabend passen!
John H. Mueller