Wolfgang Amadeus Mozart: Le nozze di Figaro • Opernhaus Zürich • Wiederaufnahme 15.12.2024 und Vorstellung: 20.12.2024
(Premiere am 19.06.2022)
Ein toller Abend!
Foto © Herwig Prammer
Regisseur Jan Philipp Gloger lässt seine Inszenierung in einer herrschaftlichen Villa der Gegenwart spielen und ersetzt des Grafen Bestreben das «Ius Primae Noctis» wieder einzuführen durch einen «Verhaltenskodex neu und verbindlich für alle». Noch vor Beginn der Aufführung wird dieser Verhaltenskodex am Portal eingeblendet und der Graf und Basilio nehmen erste Änderungen vor. Ausgangspunkt der Inszenierung von Regisseur Jan Philipp Gloger ist die schon in Beaumarchais’ Stück («La folle journée ou Le mariage de Figaro») angelegte Instabilität der Verhältnisse, die die Figuren permanent in Überforderungszuständen festhält und den Tag, den das Stück beschreibt so zum tollen, zum verwirrten und verwirrenden, Tag macht. Diese Instabilität der Handlung spiegelt einerseits die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse der Entstehungszeit, andererseits ist individuelle und gesellschaftliche Überforderung genauso ein Thema der Gegenwart. Figuren wie den Grafen gibt es heute noch genauso: Ein subtiler Fingerzeig ist der Auftritt des Grafen als Polo-Spieler. Den Bock zum Gärtner macht der von Figaro schon am Anfang als Gräflein verspottete Almaviva («Se vuol ballare Signor Contino» – «Will einst das Gräflein ein Tänzchen wagen»), wenn er, nach der Streichung des Passus «Führungskräfte wahren körperliche Distanz zu allen Untergebenen» sich selbst zur Ansprechperson in Sachen sexueller Belästigung bestimmt. Gloger gelingt es perfekt die schon in Beaumarchais’ Stück («La folle journée ou Le mariage de Figaro») angelegte Instabilität der Verhältnisse, die die Figuren permanent in Überforderungszuständen festhält und den Tag, den das Stück beschreibt so zum tollen, zum verwirrten und verwirrenden, Tag macht, ohne Verlust an Plausibilität in die Gegenwart zu transferieren. Die Personifizierung der Instabilität ist der Page Cherubino, der zu Beginn noch ausserhalb der gesellschaftlichen Verhältnisse, und damit auch der Stabilität, steht: «Non so più cosa son, cosa faccio, or di foco, ora sono di ghiaccio» («Ich weiss nicht mehr, wer ich bin, was ich tue, mal bin ich von Feuer, mal bin ich von Eis») So wie sich im Laufe des Stücks die Verhältnisse sich immer mehr angleichen, wird Cherubino wird dem Grafen immer ähnlicher. Den Ort der Handlung, die herrschaftliche Villa, hat Ben Baur (Bühnenbild) mit viel Liebe zum Detail entworfen, die diskreten Kostüme Karin Jud. Der erste Akt spielt im Innenhof, der zweite in den Räumen des Personals, der dritte im Salon der Herrschaft und der vierte, wo es dann zur Sache geht und alle gleich sind, auf dem Estrich. Die gleichermassen ästhetischen, wie zurückhaltenden Kostüme stammen von Karin Jud. Die routinierte Lichtgestaltung verantwortet Martin Gebhardt, die Video-Einblendungen mit dem neuen Verhaltenskodex (mit dem Gloger die Wiederinanspruchnahme des Ius prima noctis durch den Grafen stimmig ersetzt) kommen von Tieni Burkhalter.
Mit Antonello Manacorda hat ein Dirigent die musikalische Leitung des Abends inne, der straffe Tempi wählt und damit wunderbare Spannungsbögen baut. Die Philharmonia Zürich im hochgefahrenen Orchestergraben folgt jeder seiner exakten Gesten und so kommt ein Mozart zu Gehör, der mit kernigem Wohlklang und prägnant herausgearbeiteten Registern begeistert. Zum packenden Klang tragen an diesem Abend besonders die Pauken und die Hörner bei. Der von Ernst Raffelsberger einstudierte Chor der Oper Zürich absolvierte seine Einsätze ohne Fehl und Tadel mit sichtbarer Spielfreude.
Andrè Schuen gibt mit souverän geführtem Bariton den Conte di Almaviva. Sein kerniger Bariton füllt mühelos das Haus und gibt ihm dank seiner überragenden Bühnenpräsenz die Möglichkeit die Figur des Grafen mustergültig profiliert darzustellen. Elbenita Kajtazi (15.12.2024) und Olga Bezsmertna (20.12.2024) legen die Gräfin (La Contessa di Almaviva) jeweils recht dramatisch an, was sie stimmlich deutlich älter klingen lässt als den Grafen Schuens. Dementsprechend kommt die Spielfreude nur verhalten zur Geltung. Bass-Bariton Andrew Moore (von 2020 bis 2022 war er Mitglied des Internationalen Opernstudios) ist im Moment eine Idealbesetzung des Figaro. Stimmlich wie darstellerisch gelingt es ihm jede Facette der Figur auszufüllen und auszuleuchten. Entsprechend begeistert zeigt sich das Publikum. Nikola Hillebrand als Susanna überzeugt vor allem mit ihrer Bühnenpräsenz. Die Stimme spricht in der tiefen und mittleren Lage tadellos an, neigt aber in der hohen Lage schnell dazu scharf zu werden. Der Cherubino von Kady Evanyshyn überzeugt nur szenisch. Mit ganz wenigen, kurzen Abschnitten singt sie mit zuviel Druck und vor allem völlig undosiertem Vibrato. Zwei Stützen des Zürcher Ensembles sind ebenfalls auf dem Besetzungszettel vertreten: Irène Friedli gibt die Marcellina und Martin Zysset einen herrlich stotternden Don Curzio. Jens-Erik Aasbø als Bartolo, Christopher Willoughby als Basilio, Marie Lombard als Barbarina, Ruben Drole als Antonio sowie Rosa Maria Hernandez und Hélène Couture (15.12.2024) und Rosa Maria Hernandez und Julie Bartholomew (20.12.2024) als zwei Frauen ergänzen das Ensemble.
Ein im Ganzen toller Abend!
Weitere Aufführungen: So. 22. Dez. 2024, 19.30 und Do. 02. Jan. 2025, 19.00.
20.12.2024, Jan Krobot/Zürich