Wolfgang Amadeus Mozart: Le nozze di Figaro • Opernhaus Zürich • Vorstellung: 25.09.2022
nachmittags
(2. Vorstellung • Wiederaufnahme am 23.09.2022 • Premiere am 19.06.2022)
«Non so più cosa son, cosa faccio, or di foco, ora sono di ghiaccio»
Jan Philipp Glogers Produktion von «Le nozze di Figaro» hat in der kurzen Sommerpause nichts von ihrem Reiz eingebüsst. Mit weitgehend neuer Besetzung wird sie vom Publikum begeistert gefeiert.
Foto © Herwig Prammer
Markus Werba gibt bei seinem Hausdebut den Conte di Almaviva mit agilem, farbenreichen Bariton
und setzt die Konzeption seiner Rolle als Chef einer superreichen Familie der Gegenwart, die mit Geld
alles zu erreichen glaubt, perfekt um. Man wäre nicht verwundert, würde plötzlich Derrick auftauchen.
Sine Bundgaard ist ihm als Contessa di Almaviva eine stimmprächtige Partnerin. Morgan Pearse singt den Figaro mit balsamisch warmem Bass und Rollendebutantin Sandra Hamaoui mit ihrem klaren, kraftvollen Sopran als Susanna. Lea Desandre ist als Cherubino eine Idealbesetzung. Sie begeistert mit ihrem wunderbar klarem Mezzo und vor allem einer absolut natürlichen Natürlichkeit. Der Vergleich mit ihrem Auftritt in «La clemenza di Tito» beim Lucerne Festival zeigt, das hier nichts einstudiert, nichts gekünstelt ist. Tritt sie dort in der Hosenrolle des Annio als junger, eleganter Mann auf, ist sie hier glaubwürdig der Teenager, der mit den Hormonen kämpft und seine Position nicht gefunden hat («Non so più cosa son, cosa faccio, or di foco, ora sono di ghiaccio» / «Ich weiss nicht mehr, wer ich bin, was ich tue, mal bin ich von Feuer, mal bin ich von Eis»). Yorck Felix Speer ist ein grundsympathischer Bartolo mit prächtiger Stimme und Malin Hartelius singt eine resolute, lebensnahe Marcellina.
Spencer Lang als Basilio, Martin Zysset als Don Curzio, Chelsea Zurflüh als Barbarina und Ruben Droleals Antonio ergänzen das hervorragende Ensemble.
Die Philharmonia Zürich hat einen grossartigen Tag und spielt unter musikalischer Leitung von
Christoph König historisch informiert einen Mozart vom Allerfeinsten. Der von Ernst Raffelsbergereinstudierte Chor der Oper Zürich überzeugt mit präzisem, homogenem Klang und grosser Spielfreude.
Szenisch unterstützt wird der Chor vom Statistenverein am Opernhaus Zürich.
Regisseur Jan Philipp Gloger lässt seine Inszenierung in einer herrschaftlichen Villa der Gegenwart
spielen und ersetzt des Grafen Bestreben das «Ius Primae Noctis» wieder einzuführen durch einen
«Verhaltenskodex neu und verbindlich für alle». Noch vor Beginn der Aufführung wird dieser
Verhaltenskodex am Portal eingeblendet und der Graf und Basilio nehmen erste Änderungen vor. Den
Bock zum Gärtner macht der von Figaro schon am Anfang als Gräflein verspottete Almaviva («Se vuol
ballare Signor Contino» – «Will einst das Gräflein ein Tänzchen wagen»), wenn er, nach der Streichung des Passus «Führungskräfte wahren körperliche Distanz zu allen Untergebenen» sich selbst zur Ansprechperson in Sachen sexueller Belästigung bestimmt. Gloger gelingt es perfekt die schon in
Beaumarchais’ Stück («La folle journée ou Le mariage de Figaro») angelegte Instabilität der
Verhältnisse, die die Figuren permanent in Überforderungszuständen festhält und den Tag, den das
Stück beschreibt so zum tollen, zum verwirrten und verwirrenden, Tag macht, ohne Verlust an
Plausibilität in die Gegenwart zu transferieren. Die Personifizierung dieser Instabilität ist der Page
Cherubino, der zu Beginn noch ausserhalb der gesellschaftlichen Verhältnisse, und damit auch der
Instabilität, steht: «Non so più cosa son, cosa faccio, or di foco, ora sono di ghiaccio» («Ich weiss nicht
mehr, wer ich bin, was ich tue, mal bin ich von Feuer, mal bin ich von Eis»). So wie sich im Laufe des
Stücks die Verhältnisse sich immer mehr angleichen, bis die Triebe im vierten Akt gemeinsam im Estrich ausgelebt werden, wird Cherubino wird dem Grafen immer ähnlicher. Den Ort der Handlung, die herrschaftliche Villa, hat Ben Baur (Bühnenbild) mit viel Liebe zum Detail entworfen, die diskreten Kostüme Karin Jud.
Absolute Empfehlung!
Weitere Aufführungen: 07.10.2022, 13.10.2022, 15.10.2022 und 22.10.2022.
Jan Krobot