Giuseppe Verdi: La Traviata, Opernhaus Zürich, Wiederaufnahme: 26.09.2019
Herzinfarkt statt Schwindsucht
Christoph Hetzer (Bühnenbild und Kostüme) hat David Hermann, der seine Inszenierung der Traviata im Hier und Jetzt – vor Finanzkrise und Digitaler Revolution – ansiedelt, eine «Loungelandschaft» auf die Bühne gestellt, die, ohne Catering, genau so gut der Empfangsbereich eines Bürohauses oder das Wartezimmer eines Spitals sein könnte. Im Verlauf der Oper lösen sich die Formen immer mehr auf, bis das vierte Bild dann in einer Art Notschlafstelle spielt. Deren Einrichtung wirkt dann aber wie aus einer anderen Zeit.
So löblich das Bestreben ist, «La Traviata» zeitgenössisch zu zeigen, trägt diese Inszenierung aber nicht dazu bei, die Geschichte klar und deutlich zu machen. Die Figuren, seien es Violetta oder Flora als Prostituierte oder Giorgio als Autoritätsperson, sind zu wenig deutlich gezeichnet, die Schlüsselstellen wie das «Auszahlen» Violettas im dritten Bild zu schwach konturiert. Weder die grell beleuchtete dunkle Bühne (Licht: Frank Evin) noch die Videoinstallationen (Anna Henckel-Donnersmarck) dienen dem Bestreben einer zeitgenössischen Umsetzung. Zu den beiden «folkloristischen» Szenen des dritten Bildes hat es zu nicht mehr als banalen, schon unzählige Male gesehenen und immer noch unpassenden «Tanzbewegungen» gereicht.
Foto: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf
Lichtblick des Abends ist die noch sommerfrische Philharmonia Zürich unter GMD Fabio Luisi. Er vermag den Musikern einen kompakten, satten Klang zu entlocken und findet für einmal auch angemessene Lautstärken. Ouvertüre und Vorspiel zum dritten Akt gelingen prächtig.
Der von Janko Kastelic einstudierte Chor der Oper Zürich ist mit leidenschaftlicher Spielfreude und grosser Verständlichkeit am Werk.
Kristina Mkhitaryan vermag als Violetta Valéry nicht wirklich zu überzeugen. Ihre Stimme ist, wie schon anlässlich ihrer Hamburger Gilda im März 2019 (https://onlinemerker.com/hanburg-staatsoper-rigoletto/) zu dramatisch, zu schwer. Sie singt mit kaum frei strömender Stimme die Partie in einem, mal mehr, mal weniger gaumigen Dauerforte und erweckt so den Eindruck eher an einem Herzinfarkt (akutes Ereignis) denn an Schwindsucht (längere Krankheit) zu sterben.
Liparit Avetisyan gibt den Alfredo Germont als Testosteron-Bombe mit viel Energie und wenig stilistischem Einfühlungsvermögen. Wie wohltuend wäre ein sparsamer Umgang mit dem Vibrato und die Entdeckung von Farben und Dynamik.
George Peteans Giorgio Germont überzeugt mit warmem Bariton und stilistischem Empfinden. Wäre er geführt und nicht ganz so unvorteilhaft in ein zwei Nummern zu kleines, schäbiges Holzfäller-Flanellhemd gesteckt, wäre die der Rolle zugedachte väterliche Autorität durchaus erreichbar. Aber so…
Die Comprimarii überzeugten mit guten Leistungen, so Sinéad O’Kelly als Flora Bervoix, Justyna Bluj als Annina, Omer Kobiljak als Gastone, Cheyne Davidson Baron Douphol, Valeriy Murga als Marquis D’Obigny und Ildo Song als Doktor Grenvil.
Weitere Aufführungen: 29.09.2019, 06.10.2019 und 11.10.2019
27.09.2019, Jan Krobot/Zürich