Giuseppe Verdi: La forza del destino • Opernhaus Zürich • Vorstellung: 12.11.2025
(2. Vorstellung • Premiere am 02.11.2025)
Ja, man muss ihr ein Sturmgewehr in die Hand drücken! Ausgerechnet beim Eintritt ins Kloster!
Ja, man muss Leonora di Vargas ein Sturmgewehr in die Hand drücken! Ausgerechnet beim Eintritt ins Kloster! Warum? Dazu gleich mehr.
Auch vor der dritten Vorstellung von «La forza del destino» protestiert ein kleines Grüppchen von Aktivisten vor dem Opernhaus Zürich und verteilt Handzettel.

Handzettel der Aktivisten
Mit den Aktivisten lässt es sich ruhig unterhalten. Die Frage, ob sich Netrebko genügend distanziert habe, wird immer umstritten bleiben und bildet daher den Endpunkt jeder Unterhaltung.

Foto © Monika Rittershaus
Das Konzept der Inszenierung von Valentina Carrasco funktioniert auch beim zweiten Besuch tadellos und vor allem überzeugend. Für Carrasco ist der Krieg das Hauptthema des Stücks und um die Geschichte näher ans Publikum zu rücken, hat sie, da der Schweiz die «Kriegserfahrung» andrer Länder fehlt, eine fiktive Schweiz im Kriegszustand erschaffen. Ganz im Sinne von Brechts «Glotzt doch nicht so romantisch» bewegt ihre Arbeit mit starken, eindringlichen Bildern, die sich so deutlich auf die Gegenwart beziehen, dass sie diese nicht direkt benennen muss. Und dieser Bezug funktioniert, das steht für ihr perfektes Handwerk, unabhängig von der konkreten Besetzung der Hauptrollen. Der Bezug zur Gegenwart funktioniert so perfekt, dass ihre Arbeit letztlich zu einem «Sittengemälde» der Gegenwart wird. Und dieses Sittengemälde geht der Dominanz des Krieges in der Oper entsprechend weit über Liebe und Hass, Standes- und Familienehre, Schuld und Sühne hinaus und bietet zahlreiche Möglichkeiten zu assoziieren. Carrasco hält sich dabei immer eng an den Text, was sich (noch ?) anhand der Übertitel nachvollziehen lässt, nach dem unverständlicherweise die Libretti im Programmheft nicht mehr abgedruckt werden (was die Beschäftigung mit veränderten Libretti wie bei «Macbeth» oder Raritäten wie «Cardillac» deutlich erschwert). Um nun auf eine vielfach kritisierte Szene der Inszenierung zurückzukommen: Ja, man muss Leonora di Vargas ein Sturmgewehr in die Hand drücken! Ausgerechnet beim Eintritt ins Kloster! Warum? Entscheidend für die Antwort ist, dass Leonora di Vargas das Sturmgewehr in die Hand gedrückt erhält. Und nicht Anna Netrebko oder eine spätere Interpretin der Partie. Carrasco zeigt in ihrer Arbeit die Kirche kritisch: Padre Guardiano ist Feldprediger (der als Optimist immer wieder die Merkel-Raute zeigt), die Klosterbrüder sind «Krieger Gottes» (sie tragen Tarnfleck). Und in dieser Umgebung, ja in der Gesellschaft heute, braucht eine Frau, um sich zu schützen, eine Sicherheitsweste und eine Waffe, gerade wenn sie in die «Einsamkeit» geht. Ganz im Sinne von Fra Melitone, der später sagen wird: «Die Welt spielt verrückt! Was sind das für Zeiten?». Fra Melitone wird dann später gezeigt, wie er den Flüchtlingen altes Brot vor die Füsse schmeisst, die Frauen, als ob sie alleine dafür verantwortlich wären, für die Zahl ihrer Kinder kritisiert und rüde mit Kondomen um sich wirft. Die Kirche ist sichtbar auch im zweiten Akt vertreten, als Preziosilla vor dem bombengeschädigten Hauptsitz in Genf den Krieg preist. Das macht sie, ganz dem Konzept entsprechend, als Kriegstreiberin und -profiteurin, als Waffenhändlerin. Die ganze Welt kauft munter ein, während Trabuccos Dosenbier und «Hot War Dogs» reissenden Absatz finden. Am Ende der Oper wird Alvaro Carrascos Sicht auf die Dinge stimmig zusammenfassen: «Die Hölle darf nicht siegen!». Carles Berga hat für das Bühnenbild hochauflösende Fotos «ikonischer» Schweizer Orte auf bühnenhohe Stellwände aufziehen lassen und diese dann zerstört. So lässt sich in Kombination mit den einleitenden Videos (Massimiliano Volpini) ein vernünftiges Mass an Realismus erreichen. Ein besonders grosses Lob verdient die Ausstattung mit zahlreichen Details wie dem «Wimmelbild» des zweiten Akts vor der UN oder dem Drohnenflug quer über die Bühne, einer Erfahrung, die wir alle nur aus der Berichterstattung kennen dürften. Genauso überzeugen die Kostüme von Silvia Aymonino: es wird nicht nur Uniform getragen.
Fazit der szenischen Seite: Auch wenn die Friedensbotin Leonora mit ihrem Engagement für Versöhnung und Vernunft in unserer Gesellschaft vollständig scheitert, darf die Hölle nicht siegen!
Das Orchester der Oper Zürich zeigt sich unter GMD Gianandrea Noseda einmal mehr in Bestform und bleibt Verdis Meisterwerk nichts schuldig. Noseda dirigiert mit überwältigender Leidenschaft, wählt schlüssige Tempi, setzt stimmige Akzente und erweist sich als idealer Sängerbegleiter.
Stanislav Vorobyov gibt den Marchese di Calatrava mit gut fokussiertem, frei klingendem Bass. Das Ereignis des Abends ist die Donna Leonora von Anna Netrebko. Mit ihrem Auftritt bestätigt sie das Festhalten des Intendanten szenisch wie musikalisch auf ganzer Linie. Szenisch gibt sie überzeugend die Friedensbotin: Wenn sie das Gewehr in die Hand gedrückt bekommt, knickt sie unter dem Gewicht, real wie im übertragenen Sinne, kurz ein. Stimmlich zeigt sie sich im Vollbesitz ihrer Kräfte und gestaltet die Partie mit ihrem verführerisch dunkel timbrierten Sopran schlicht überragend. Nicht minder überragend gelingt der Don Carlo di Vargas des George Petean. Sein perfekt fokussierter, herrlicher Bariton strömt frei und eröffnet ihm alle Möglichkeiten der Gestaltung. Yusif Eyvazov gestaltet den Don Alvaro an diesem Abend eher rustikal und beeindruckt hauptsächlich mit Kraft und Lautstärke. Annalisa Stroppa gibt die Preziosilla als Powerfrau mit hellem, höhensicheren, charakteristischen Mezzo. Die Rollen des Padre Guardiano und Fra Melitone sind mit Michele Pertusi und Roberto Frontali, zwei «Haudegen» der italienischen Oper, schlicht perfekt besetzt. Natália Tuznik als Curra, Lobel Barun als Alcade, Tomislav Jukic als Mastro Trabuco und Max Bell als Chirurgo ergänzen das formidable Ensemble perfekt.
Die Chöre (Chor der Oper Zürich, Chorzuzüger, SoprAlti und Kinderchor der Oper Zürich), mit der parallelen Serie von Verdis «Macbeth» stark engagiert, werden für ihren wunderbar homogenen und satten Klang zu Recht begeistert gefeiert (Choreinstudierung: Klaas-Jan de Groot).
Grosse Oper!
Weitere Aufführungen: Sa. 15. Nov. 2025, 19.00; Di. 18. Nov. 2025, 19.00; Fr. 21. Nov. 2025, 19.00; Mi. 26. Nov. 2025, 19.00; Sa. 29. Nov. 2025, 19.00; Mi. 17. Dez. 2025, 19.00; So. 21. Dez. 2025, 19.00.
13.11.2025, Jan Krobot/Zürich

