Stream: „Königskinder“ von Engelbert Humperdinck am 23.4.2021 im Opernhaus/ZÜRICH
Premiere war 2007
Ein ergreifendes Ende
Foto: Oper Zürich/ Suzanna Schwiertz
Es ist wirklich erstaunlich, welche hohen musikalischen Qualitäten die Oper „Königskinder“ von Engelbert Humperdinck besitzt, die im Jahre 1910 an der Metropolitan Opera New York uraufgeführt wurde. Sie führt im Vergleich zu „Hänsel und Gretel“ immer noch ein Schattendasein, obwohl sie wahrscheinlich das bedeutendere Werk ist. Die Geschichte handelt vom Schicksal zweier entwurzelter Königskinder, deren Liebe an einer harten gesellschaftlichen Realität scheitert. Der gemeinsame Tod unter der Schneedecke besitzt zuletzt „Tristan“-Atmosphäre, obwohl Richard Wagner nicht direkt spürbar ist.
Die Inszenierung von Jens-Daniel Herzog (Ausstattung: Mathis Neidhardt) versetzt die Handlung in die heutige Zeit. Man befindet sich in einer großen Halle, die das märchenhafte Geschehen nur bedingt andeutet. Allmählich begreift man allerdings, dass es sich hier um die Hexenhütte handelt, in der die Gänsemagd aufwächst. Als sie den Königssohn kennenlernt, ändert sich ihre Lebensweise. Er schenkt ihr seine Krone, doch der Zauberbann der Hexe hält das arme Mädchen zurück. Allein zieht der Königssohn weiter. Der Spielmann schlägt der Gänsemagd allerdings vor, dem Geliebten zu folgen. In der Stadt muss er eine Stelle als Schweinehirt annehmen – und als die Gänsemagd mit der Krone naht und sich als seine Frau zu erkennen gibt, werden beide von der Menge davongejagt.
Dies kommt in der Inszenierung mit packender Schlagkraft zum Vorschein. Vom Holzhacker und Besenbinder erhalten die verschollenen und sich auf der Flucht befindlichen Königskinder um den Preis der Krone ein Stück Brot. Das reicht aber nicht aus, um sie vor dem Hungertod zu retten. Zuvor war auch die Hexe den Feuertod gestorben. Herzog gelingt es, den dramaturgischen Spannungsbogen gerade im letzten Akt in enormer Weise zu steigern. Bühnenbild und musikalische Entwicklung ergänzen sich in bemerkenswerter Weise. Zuweilen hätte das Bühnenbild auch noch fantasiereicher und „märchenhafter“ sein können. Doch dafür entschädigt die überzeugende Personenführung, die dem Geschehen eine bemerkenswerte Intensität verleiht. Das Schlussbild zeigt den blinden Spielmann mit der zerbrochenen Königskrone, der um die Königskinder trauert: „Verdorben, gestorben!“ Eine blühende melodische Entfaltung führt hier zu einer sphärenhaften Aura, die der Dirigent Ingo Metzmacher mit dem Orchester des Opernhauses Zürich einfühlsam verdeutlicht. Vor allem die wechselhafte Harmonik kommt in ihrer ganzen Vielschichtigkeit und klanglichen Opulenz ausgezeichnet zum Vorschein. Das kommt der Feingliedrigkeit der Leitmotive zugute, die wie in „Hänsel und Gretel“ einen starken Bezug zum Volkslied haben. Das Hexenmotiv verbindet beide Opern mit verblüffender Präzision. Gerade das Orchestervorspiel zum dritten Akt erreicht bei dieser Aufführung eine glühende Intensität und einen betörenden klanglichen Zauber, der sich auf die Sänger nahtlos überträgt. Gelegentlich blitzt der Geist Siegfried Wagners auf, dessen Opern ja zu Unrecht vergessen sind. Die Winterelegie des Schlussaktes kommt bei dieser gelungenen Inszenierung von Jens-Daniel Herzog in hervorragender Weise zur Geltung. Das Liebessterben der Königskinder erreicht hier eine bewegende Dimension, wobei die Natur- und Seelenstimmung nicht vernachlässigt wird.
Jonas Kaufmann (Tenor) ist ein stimmlich beeindruckender Königssohn, dessen darstellerische Präsenz bei vielen Szenen verblüfft. Isabel Rey (Sopran) begeistert als Gänsemagd mit einem weichen und berührenden gesanglichen Timbre, das sich den seelischen Regungen dieser Figur mühelos anpasst. Oliver Widmer (Bariton) beeindruckt vor allem im dritten Akt als ein Spielmann mit sonorer Ausdruckskraft. Als Hexe (Alt) fasziniert ferner Liliana Nikiteanu, deren Fluch für das Liebespaar ja von überragender Bedeutung ist. In weiteren Rollen gefallen Reinhard Mayr als Holzhacker, Boguslaw Bidzinski als Besenbinder, Marie-Terese Albert als sein Töchterchen, Kai Florian Bischoff als Ratsältester, Tomasz Slawinski als Wirt, Anja Schlosser als Wirtstochter, Miroslav Christoff als Schneider, Wiebke Lehmkuhl als Stallmagd, Pablo Ricardo Bemsch, George Humphreys als Torwächter sowie Susanne Grobholz als eine Frau. Auch der Chor leistet bei dieser packenden Aufführung Vorbildliches (Einstudierung: Ernst Raffelsberger). Der leise Gesang „Königskinder, Königskinder!“ entschwebt mit den Streichern in höhere Sphären, die sich ganz allmählich auflösen. Das hinterlässt einen tiefen Eindruck.
Alexander Walther