Zürich: IL TURCO IN ITALIA von g. Rossini – Premiere am 28.4.2019
Che imbroglio!
Nach dem durchschlagenden Erfolg von „L’italiana in Algeri“ in Venedig forderte die Mailänder Scala das ein, was man heutzutage einen Sequel nennt. Mit „Il turco in Italia“ landete Rossini aber einen Flop, sodass diese Oper mit Nichtbeachtung abgestraft wurde und jahrelang quasi der Vergessenheit anheimfiel. Erst 1955 wurde sie wieder ins Bewusstsein gehoben und zwar durch eine Aufführung mit Maria Callas an der Mailänder Scala, mit Gianandrea Gavazzeni am Pult und in der Inszenierung von Luchino Visconti. Davon gibt’s auch eine respektable Studio-Aufnahme. Inzwischen hat die Rossini-Forschung grosse Fortschritte in Richtung Originalfassung gemacht und das Opernhaus Zürich konnte nun eine auf den neusten Stand gebrachte Version des in unberechtigter Weise unterschätzten Werkes auf die Bühne bringen.
Julie Fuchs, Nahuel Di Pierro, Renato Girolami. Foto: Hans-Jörg Michel
Dirigent Enrique Mazzola und Regisseur Jan Philipp Gloger mit ihrem Team (Bühnenbild: Ben Baur, Kostüme: Karin Jud,Lichtgestaltung: Martin Gebhardt, Video-Design: Sami Bill,Dramaturgie: Claus Spahn) fanden nun für die witzige Handlung einen aktuellen Rahmen. Auf der Drehbühne ist ein Mietshaus mit drei Wohnungen aufgebaut, in deren eine nun neu ein Türke einzieht. Dass es in diesem Umfeld zu Spannungen und komischen Situationen kommt, zumal sich Fiorilla zum attraktiven Türken Selim hingezogen fühlt und was ihr Ehemann Geronio gar nicht schätzt, macht dann die ganze Story aus. Rossini versieht diese etwas gar banale Handlung mit einer äusserst witzigen und intelligenten Musik, sodass daraus ein Juwel wurde. Der Komponist weitet zudem die Commedia dell`Arte-Figuren zu richtigen Charakteren aus – nicht umsonst lief zur Zeit der Uraufführung der Rossini-Oper an der Mailänder Scala Mozarts „Così fan tutte“ – und das hat – für feine Ohren – seine Spuren bei Rossini hinterlassen. Nicht zuletzt erinnert daran der ausserhalb der Handlung stehende Poeta an Don Alfonso bei Mozarts Meisteroper. Allerdings verfügt dieser Poeta nicht über den Alters-Zynismus eines Alfonso, sondern kommentiert mehr die Geschehnisse „seiner“ Handlung, als dass er sie vorantreibt.
Beeindruckend ist die Bewegungs-Choreographie in dieser Inszenierung von Jan Philipp Gloger, die sowohl überdreht als auch gleichzeitig natürlich wirkt. Sicher wirkt der eine oder andere Gag aufgesetzt und scheint um des Effektes willen eingefügt. Das schadet aber überhaupt nicht, sondern hält die Story am Laufen. Dies zumindest im ersten Akt. Im zweiten Akt, wenn sich der dramaturgische Knoten löst und sich die Paare finden, gibt’s manchmal ein paar Durchhänger, vor allem bei den Arien. So will man Fiorilla die in ihrer Arie mit zahlreichen Koloraturen geschmückte Reue nicht so recht abnehmen und das Happy End ist dann doch „a bissl trivial“. Aber das ist letztlich auch wahrer Rossini: Er zeichnet immer ein realistisches Bild seiner Figuren, schwadroniert nicht in romantischer Gefühlsduselei und bringt in der Tat echte Menschen mit ihren Stärken und Schwächen auf die Bühne.
Rebeca Olvera, Nahuel Di Pierro. Foto: Hans-Jörg Michel
Als Fiorilla brilliert Julie Fuchs mit ungeahntem Spielwitz und virtuos geführter Stimme. Bewundernswert wie die Sängerin mit einer Leichtigkeit sondergleichen die schwierigsten gesanglichen Hürden nimmt, in der Höhe locker und glockig singt, rein intoniert und überhaupt ein grosser Gewinn für jede Aufführung ist. Als ihre Gegenspielerin Zaida, der verlassenen Frau des Türken Selim, spielt Rebeca Olvera eine charmante Türkin (mit Kopftuch!) und singt mit flexiblem Sopran. Nahuel Di Pierro war, auch von der Erscheinung her, der ideale Latin-Lover und sang mit seiner etwas begrenzt klingenden Bassstimme einen überzeugenden Selim. Wahre Triumphe konnte der – fast – gehörnte Ehemann Fiorillas, Renato Girolami als Geronio einfahren. Sowohl von der farbenreichen Stimme als auch in seiner Darstellung als doch mitleiderregender Ehemann konnte er deutlich punkten. Als erfolglosem Verehrer Fiorillas war Don Narciso hier die Hauswartstelle zugedacht: mit seiner grossen Arie zeigte Edgardo Rocha, dass er in die erste Reihe der derzeitigen Rossini-Tenöre gehört. Als Albazar, Gefährte Zaidas, überzeugte Nathan Haller. Als Poeta war Pietro Spagnoli stimmlich tadellos zugange, der hier die Begebenheiten filmt, diese am Bildschirm anschaut und danach wohl sein Drama schreibt. Hübsch der Effekt, wenn er nach dem fulminanten Finale des ersten Aktes seine Filmkamera triumphierend hochhält, mit dem Ausdruck. „Ich hab’s im Kasten!“
Sehr gut auch der Herrenchor (Choreinstudierung: Ernst Raffelsberger), der, verstärkt durch die Damen-Statisterie, spielfreudig die Bewohner des Mietshauses, Italiener und Türken, darstellte.
Sehr vif und quasi auf der Stuhlkante sitzend, kitzelte die Philharmonia unter dem quicklebendigen Dirigat von Enrique Mazzola alle Feinheiten der Rossini-Partitur heraus, nachdem die Ouvertüre zu Beginn etwas hölzern klang. Das war aber schnell überwunden und des Entzückens war kein Ende. Ja, es war ein reines Vergnügen! Bravo Opernhaus!
John H. Mueller