06.06.2022 Zürich/Oper „Il Pirata“
Das Wagnis der Zürcher Oper, ein Frühwerk Vincenzo Bellinis zumindest konzertant aufzuführen, hat sich gelohnt. Die Vorgeschichte ist interessant: Javier Camarena, der für die Rolle des Gualtiero angesetzt war, musste absagen. Eine Woche vor der Premiere einen adäquaten Ersatz zu finden, schien aussichtslos. Ein Ensemblemitglied der Oper erklärte sich bereit, das Himmelfahrtskommando zu übernehmen. Dieser, Andrew Owens, war eigentlich für die kleine Rolle des Itulbo vorgesehen. Der Einspringer in dieser Partie erkrankte und musste ebenfalls ersetzt werden. Zu guter Letzt musste auch die Sängerin der Adele krankheitshalber absagen, auch hier fand man Ersatz im eigenen Haus. Diese Vorkommnisse waren also kein optimaler Star ins Abenteuer.
Ein weiterer, wenn auch nur kleiner Schwachpunkt war das Werk selbst. Die Ouvertüre klang deutlich nach Rossini, erst allmählich vernahm man den werdenden Meister der Belcantooper. Freilich fehlte es auch, man möge mir den Wunsch nach eingängigen Melodien verzeihen, an markanten Arien, bis im Finale endlich DER Bellini zu hören war, in der Wahnsinnsszene, der ersten von drei bekannten. Der Kürzestinhalt der Dreiecksgeschichte: Gualtiero muss Heimat und Geliebte (Imogene) aus politischen Gründen verlassen. Er kehrt zurück, aber Imogene hat inzwischen Ernesto geheiratet. Es kommt zum finalen Duell, dass Gualtiero zwar gewinnt, aber zum Toder verurteilt wird. Imogene verfällt dem Wahnsinn. Die Handlung verdiente wohl entsprechende Darstellung auf einer Bühne, aber dafür eine komplette Inszenierung samt Kostümen und Bühnenbild aufzuwenden, war den Zürchern doch zu teuer. In Folge der oben geschilderten Ereignisse, waren die Sänger unter ungleichen Voraussetzungen am Werk. Natascha Ursuliak, die stellvertretende Operndirektorin des Hauses zeichnete für eine dezente szenische Gestaltung verantwortlich, man verzichtete auf Statik am Pult und ließ die Protagonisten auf- und abtreten, einmal vorne links, dann durch Chor und Orchester, möglichst ohne diese beiden Gruppen zu stören.
Der ruhender Pol der Aufführung war Iván López-Reynoso, der am Pult die Philharmonia Zürich zu großartigen Klängen, zart lyrisch aber auch dramatisch kompakt anspornte. Besonders ergreifend die Einleitung der Wahnsinnsszene durch den Solisten Clement Noel am Englischhorn. Auch die Leistung des Chores war eindrucksvoll, man merkte die intensive Probenarbeit. Star des Abends war Irina Lungu, die auch hierorts schon erfolgreich aufgetreten ist, etwa als Traviata, als Imogene. Nach anfänglichen leichte Härten in der Höhe erfüllte sie aber bald die gewaltigen Anforderungen, die diese Rolle an eine Sängerin stellt. Kräftige, sichere Höhe, auch berührende Piani wusste sie eindrucksvoll einzusetzen. Die größte Überraschung war aber Andrew Owens als Gualtiero. Wenn man die kurze Einarbeitungszeit bedenkt, muss man einfach den Hut ziehen vor dem Mut des Sängers. Sein Stimmmaterial ist ideal für diese Rolle, die Spitzentöne (bis auf den vorletzten) kamen bombensicher, klar und kraftvoll. Auch die Mittellage war sehr ansprechend. Eine kleine heitere Szene: Im Duett mit Imogene am Ende des ersten Aktes stand er am Pult und Imogene versuchte neben ihm stehend, zu agieren. Sie schien ihn vor die Wahl zu stellen „Was ist dir wichtiger, das Pult oder ich?“, die Wahl fiel auf Ersteres, um den Ablauf der Oper nicht zu gefährden… Konstatin Shushakov sang den Ernesto mit zu „östlich“ klingendem Bariton laut und rau, Belcanto klingt anders.
Die übrigen Rollen waren mit guten Kräften besetzt: Thomas Erlank mit schlankem Tenor als Itulbo (Einspringer Nummer zwei), Irene Friedli, als Adele (Einspringerin Nummer drei) und Stanislav Vorobyov, mit eindrucksvollem dunkem Bass als Goffredo.Was wäre, wenn alles optimal gelaufe wäre?
Trotz allem war Zürich eine Reise wert.
Johannes Marksteiner