Giuseppe Verdi: I vespri siciliani • Opernhaus Zürich • Dernière: 13.07.2024
(9. Vorstellung • Premiere am 09.06.2024)
Von den letzten Vorstellungen
Es bestätigt sich die alte Theaterregel, dass die letzten Vorstellungen die besten sind. Zumindest in den Bereichen, wo eine Verbesserung überhaupt möglich ist.
Foto © Herwig Prammer
In casu verbesserungsfähig ist die musikalische Seite des Abends. Und hier hat sie gerade im Vergleich mit der Premiere einiges getan. Ivan Repušic legt die Partitur nicht mehr so effektorientiert («knallig») an wie in der Premiere und nimmt mehrfach das Orchester zurück, damit die Chöre (Chor der Oper Zürich, Chorzuzüger und Zusatzchor Opernhaus Zürich; Choreinstudierung: Janko Kastelic). Die Chöre klingen beeindruckend satt und voll, die Textverständlichkeit ist wie so oft tadellos. Die Philharmonia Zürich zeigt sich weit von Feriengefühlen und folgt Repušic höchst fokussiert und bringt Verdis musikalische unbestrittene Partitur mit herrlichem Brio («„die Macht, das Feuer und die Größe“, die schon der liebenswürdige Adolphe Adam, der Komponist des „Postillons von Lonjumeau“, dem italienischen Kollegen gegenüber neidlos anerkannte»; Neue Zürcher Zeitung, 22.09.1930, Abendausgabe) zum Klingen.
Maria Agresta kann als Elena an diesem Abend weitgehend überzeugen. Die Stimme trägt und weist meist ein gutes Fundament auf und lässt in den intensiven Momenten durchaus auch Emotionen kennen. Quinn Kelsey als Guido de Monforte kann seine Stimme wunderbar frei strömen lassen und die Figur gut gestalten. Die Stimme weist keine Verfärbungen auf, aber auch wenig Farben an sich. Die Intensität der Rollengestaltung und Bühnenpräsenz wird sicher zunehmen. Die grösste Zustimmung an diesem Abend erhält Alexander Vinogradov in der Rolle des Giovanni di Procida. Den leidenschaftlichen Freiheitskampf, dem die Szene ihm verweigert, macht er musikalisch mit seinem «Bilderbuch-Bass» mehr als deutlich. Sergey Romanovskys (Arrigo) Stimme klingt an diesem Abend deutlich weniger «parfümiert» (bewusst aufgehellt). In den beiden letzten Akten wirkt sie aber leider auch immer wieder heiser. Mit guter Bühnenpräsenz stellt er die Figur so leidenschaftlich dar, wie die Szene es ihm ermöglicht. Omer Kobiljak ist als Tebaldo eine absolute Luxusbesetzung. Sein Tenor brilliert mit strahlenden, kraftvollen Höhen und einer wunderbaren Schimmer von Metall. Seinem Gabriele Adorno im «Simon Boccanegra» darf man mit Freude entgegensehen! Jonas Jud als Bethune, Brent Michael Smith als Vaudemont und Stanislav Vorobyov als Roberto agieren mit ihm auf Augenhöhe. Irène Friedli als Ninetta, Raúl Gutiérrez als Danieli und Maximilian Lawrie als Manfredo ergänzen das Ensemble.
Das Hauptproblem der Produktion ist und bleibt die Szene, das Bestreben Calixto Bieitos (Inszenierung) dem Libretto eine Handlung aufzupfropfen, die in diesem nicht angelegt ist, die es nicht mal ansatzweise hergibt. Bieito erklärt, wie vom Kritiker schon in der Premieren-Besprechung vermerkt, im Programmheft seine Arbeitsweise : «…eher Bildern folge, die ich im Kopf habe, und den Erinnerungen aus meiner Kindheit. … Ich versuche zuerst, Bilder zu finden und aus diesen Bildern dann die Erzählung zu entwickeln». Ist es die Aufgabe des Regisseurs, die Geschichte seinen Bildern anzupassen? Oder wäre die Aufgabe nicht eher, für die Geschichte Bilder zu finden, die Bilder der Geschichte anzupassen? So fixiert sich Bieito in seiner Regiearbeit auf die Gewalt gegen Frauen und lässt alles andere ausser acht.
Etwas Beschäftigung mit der Gattung (Grand Opéra) wie der Geschichte von Komponist und Werk hätten mutmasslich zu einer stimmigeren, also dem Werk nicht so völlig widerstrebenden Interpretation führen können. Die Geschichte der Gattung «Grand Opéra» beginnt mit Aubers «La Muette de Portici» (29. Februar 1828) und Rossinis «Guillaume Tell» (3. August 1829) und findet dann mit den grossen Werken Meyerbeers («Les Huguenots» am 29. Februar 1836, «Le Prophète» am 16. April 1849 und, mit über zwanzigjähriger Entstehungsgeschichte, «L’Africaine» 28. April 1865) und Halévys «La Juive» (23. Februar 1835) rasch ihren Höhepunkt. Die Gattung Grand Opéra ist essentiell mit der Epoche der Juli-Monarchie verbunden und nutzt die historische Hintergründe, um in ihrer Zeit aktuelle Themen aufs Tapet bringen zu können, ohne mit der Zensur in Konflikt zu geraten. Es vor historischem Hintergrund private Verhältnisse thematisiert. Dieses grundlegende Gleichgewicht von privater Intrige und öffentlich-historischem Hintergrund ist in «Les Vêpres siciliennes» (zum Werktitel später mehr) geändert, der private Aspekt des Konflikts deutlich hervorgehoben, die Dramaturgie auf Duette (für die der Librettist Scribe erstmals die «solita forma» verwendet) zugespitzt. Und private Konflikte, besonders zwischen Vater und Sohn oder Tochter, sind das Thema, dass Verdi seine ganze Karriere über beschäftigte. Das Auseinanderbrechen von öffentlicher Identität und privaten Emotionen, die fehlende Verknüpfung von Privatem und Öffentlichem/Historischem, ist also kaum als Mangel zu betrachten. Zumal sich Verdi mit dieser Beschreibung der Auflösung familiärer Strukturen sich eng an den Themen der Zeit bewegt. So eng, so modern, dass er in dieser Hinsicht vielfach nicht verstanden wurde und wird. «Les vêpres siciliennes» wurde am 13. Juni 1855 in der Pariser Opéra uraufgeführt. Nach Verdis Erfolgen mit der «Trilogia populare» war auch das Interesse der Heimat an seinem Schaffen gewachsen, so dass es rasch zu Übersetzungen ins Italienische kam. Zuerst mit zensurbedingten Änderungen von Ort, Zeit und Personal, später dann auch im originalen Setting. Verdi hat die sizilianische Vesper auf ein französisches Libretto komponiert und die italienischen Übersetzungen nie gebilligt. So gibt es eigentlichen keinen nachvollziehbaren Grund, die sizilianische Vesper nicht im originalen Französisch aufzuführen.
Keine weiteren Aufführungen.
15.07.2024, Jan Krobot/Zürich