Vincenzo Bellini: I Capuleti e i Montecchi • Opernhaus Zürich • Vorstellung: 25.09.2021
(3. Vorstellung • Wiederaufnahme am 19.09.2021)
Romeo und Julia im Mafia-Milieu
Vincenzo Bellini war vom Teatro La Fenice im Herbst 1829 engagiert worden, um seine ersten grossen Erfolg, die zwei Jahre alte Oper «Il Pirata» (ab 6. Juni 2022 am Opernhaus Zürich: https://www.opernhaus.ch/spielplan/kalendarium/il-pirata/2021-2022/), einzustudieren. Als sich abzeichnete, dass Giovanni Pacini vertragsbrüchig werden würde, unterzeichnete das Theater Anfang Januar 1830 mit Bellini den Vertrag über die dem Publikum versprochene, neu komponierte Partitur zu Ende der Winterspielzeit 1830.
Foto © Monika Rittershaus
Da das Ende der Winterspielzeit am Samstag drei Wochen vor Ostern durch die Fastenzeit vorgegeben war, blieb Bellini nur wenig Zeit für die neue Partitur. Hinzu kommt, dass Bellini anders als die «ewig tätige Musikpumpe» Donizetti oder Rossini ein sehr langsamer Arbeiter war. So überarbeitete der Librettist Felice Romani (Bellinis «Il pirata», «La straniera» und «Norma», Donizettis «L’elisir d’amore») das fünf Jahre alte Textbuch von Nicola Vaccais (1790-1848) «Giulietta e Romeo». Nach der Überarbeitung, die vor allem auch eine Kürzung war, waren 40% der von Bellini komponierten Verse mit denen identisch, die auch Vaccai komponiert hatte. Um den tollkühnen Bezug auf eine damals allgemein bekannte Oper zu kaschieren, wurde der Titel «I Capuleti e i Montecchi» gewählt. Der Titel ist aber nicht nur Notlösung, er verweist auch auf Romanis Fokussierung auf die verfeindeten Adelsfamilien. Nur zwei Szenen, die erste Begegnung und den Abschied, haben Romeo und Julia hier für sich.
Die Fokussierung auf die Familie und die Betonung der zukunftsweisenden Seiten des Werks prägen sowohl die szenische wie auch die musikalische Konzeption der Zürcher Produktion.
Regisseur Christof Loy lässt das Stück im Mafia-Milieu der 1950er-Jahre (Ausstattung: Christian Schmidt) spielen und betont einerseits die Vater-Tochter-Beziehung von Capellio und Giulietta und andererseits Reduktion des Dramas auf einen letztlich häuslich-familiären Konflikt, in den die Gewalt von aussen hereingetragen wird. Die Vater-Tochter-Beziehung von Capellio und Giulietta manifestiert sich schon in einem in der Ouvertüre postulierten und später immer wieder angedeuteten Missbrauch Giuliettas durch ihren Vater. Das Bühnenbild zeigt unter der Verwendung der Drehbühne das Haus der Capuleti mit den nebeneinanderliegenden (sic!) Zimmern von Capellio und Giulietta, als die Ereignisse schon einige Zeit zurückliegen und Giulietta zusätzlich unter dem Stockholm-Syndrom, Schuldgefühlen gegenüber dem Täter und die Angst ihn zu verletzen, leidet. Das Haus zeigt erste Verfallserscheinungen und die Auseinandersetzungen haben ihre Opfer gefordert: die Bühne ist regelmässig mit Leichen (Statistenverein am Opernhaus Zürich) übersät. Was die Sexualisierung und Brutalisierung des Stücks bringt, bleibt dem einzelnen Zuschauer überlassen.
Die Fokussierung auf die Familie und die zukunftsweisenden Seiten des Werks zeigt sich musikalisch darin, dass die Kollektive, der Chor der Oper Zürich und die Philharmonia Zürich im Stile des frühen Verdi aus dem Vollen schöpfen und die Solisten auch gnadenlos zudecken können. Warum auch immer sieht Dirigent Fabio Biondi hier keinen Grund einzugreifen. Die solistischen Stellen gestaltet er ganz im Gegensatz zu jenen des Kollektivs schon fast zerdehnt. Mit den «Melodie lunghe», die hier zum ersten Mal vorkommen, sind «lange», nicht «zerdehnte» Melodien gemeint. Es bleibt der Eindruck, zwei Werke parallel zu hören. Maxim Kuzmin-Karavaev gestaltet einen in jeder Hinsicht unauffälligen Capellio und kann die ihm vom Regiekonzept zugewiesene Dämonie nicht wirklich glaubhaft darstellen. Rosa Feola und Jana Kurucova als Giulietta und Romeo erweisen sich als Felsen in der Brandung, als versierte, hochmusikalische Belcanto-Sängerinnen, die auch die Anforderungen des Regiekonzepts erfüllen. Feola bietet perfekte Höhen und glasklare Koloraturen, Kurucova überzeugt mit ihrem verführerischen Mezzo und überragender Bühnenpräsenz. Omer Kobiljak siedelt seinen Tebaldo irgendwo zwischen mittlerem Verdi und frühem Verismo an. Die Verzierungen, die so essentiell zum Belcanto gehören, gibt es bei ihm nicht. Brent Michael Smith gibt den Arzt Lorenzo. Dominik Więcek spiegelt die stumme Rolle des Begleiters. Was Loy zur Erfindung dieser Figur gebracht hat, wird nicht klar.
Das Publikum des Opernhaustags (Ermässigung von 5O% für die gleichentags stattfindende Opernvorstellung auf allen Plätzen) ist begeistert, der Kritiker mit Belcanto-Erfahrung weniger.
Weitere Aufführungen: 05.10.2021 um 19.00 und 10.10.2021 um 13.00.
27.09.2021, Jan Krobot/Zürich