Zürich: FINALE – Die Corona-Woche der Höhepunkte – 4.-12. Juli 2020
Grossartiger Abschluss der Saison
Da mit dem Lockdown und danach bis zum Saisonschluss quasi alle Vorstellungen im Opernhaus Zürich ausfallen mussten, hat sich Intendant Andreas Homoki, als die ersten Lockerungen in Kraft traten, in verdankenswerter Weise sogleich etwas Originelles einfallen lassen. Eine gute Woche sind am Opernhaus durchwegs renommierte Solisten aufgetreten und haben uns allen mit sichtlicher Freude und grossem Engagement wunderbare Konzert-Erlebnisse beschert. Es schien sogar, dass die Freude auf beiden Seiten der Rampe irgendwie ganz besonders inspiriert hat, mit noch mehr Hingabe und Ernsthaftigkeit „der holden Kunst“ zu huldigen.
Der Rezensent hat drei dieser insgesamt neun Konzerte besucht, die hier kurz gewürdigt werden sollen.
Am 6. Juli gaben Sabine Devieilhe und Benjamin Bernheim einen Liederabend mit Werken aus dem vorwiegend französischen Sprachbereich. Nach Liedgruppen von Debussy und Duparc, jeweils von Sopran und Tenor dargeboten, kam schon der erste vokale Höhepunkt mit der von Sabine Devieilhe in perfektem Staccato und idiomatischer französischer Gesangs-Kultur gesungenen Glöckchenarie aus Delibes „Lakmé“. Benjamin Bernheim sang die Traumerzählung des Des Grieux aus Massenets „Manon“ mit gekonntem Changieren zwischen Voix-Mixte und Falsett-Tönen. Den Abschluss des ersten Teils bildete das Duett „Ange adorable“ aus „Roméo et Juliette“ von Gounod.
Nach der Pause betraten die beiden Solisten mit Liedern von Richard Strauss das Gebiet der deutschen Liedkunst. Wenn auch tadellos gesungen, so vermisste man doch die idiomatischen Farben der deutschen Vokale und somit auch ein wenig den Jugendstilzauber dieser Kompositionen. Es war fast „zu sauber“ gesungen, was aber sicher kein Nachteil ist. Mit dem in der französischen Version gesungenen Duett aus dem 1. Akt von Donizettis „Lucie de Lammermoor“ wurde der Abend triumphal beendet, woran beide Solisten in grosszügiger Weise Zugaben anschlossen. Mit dem „Tonight, Tonight“ aus Bernsteins „Westside Story“ setzten die beiden das Sahnehäubchen auf ein perfekt serviertes Feinschmecker-Diner! Die fabelhafte Carrie-Ann Matheson zauberte aus dem Flügel wahrlich unerhörte Klänge hervor, die die Solisten – eingebettet wie in Abrahams Schoss – wie auf Händen trugen.
Julie Fuchs. Foto: Agentur/ Askonas Holt
Am 9. Juli gab dann eine hervorragend disponierte – und in einem eleganten Sommer-Cocktailkleid angetane – Julie Fuchs ein Recital mit Barockarien. Und wunderbar, dass „La Scintilla“, die Barockformation der Philharmonia Zürich, sie begleitete. Unter deren Chef Riccardo Minasi, der auch zur Geige griff, verstand man einmal mehr, was seinerzeit Nikolaus Harnoncourt, der eigentliche Initiant dieses Orchesters, mit „Klangrede“ meinte. Jede Phrase, jede Koloratur, wurde so zu einer Aussage. Ob es die verführerische Koketterie des Cleopatra in Händels „Giulio Cesare“ mit der Arie „Da Tempeste“ war oder die in ihrer Liebe verletzte Königin mit „Piangerò“ aus derselben Oper, immer war man gebannt dieser spannungsreichen Interpretation. Zwischen den Arien der Julie Fuchs spielte „La Scintilla“ Orchestersätze von Händel und Vivaldi. Julie Fuchs, die insgesamt sechs Arien sang, wusste mit passender Gestik, die auch nie zu viel wird, den Charakter der Figur, die sie gerade interpretierte, auch szenisch Glaubwürdigkeit verleihen. Das Publikum liess sich zu Bravostürmen hinreissen, was von den Ausführenden mit sage und schreibe vier Zugaben (Solo plus Orchester) belohnt wurde. Wir freuen uns, Julie Fuchs bald wieder in einer tollen Rolle am Opernhaus wieder begegnen zu dürfen!
Und zum Abschluss der „Finale“-Woche gab’s mit Camilla Nylund und Piotr Beczała, begleitet vom Corona-gemäss weit auseinandersitzenden Musikerinnen und Musikern der Philharmonia ein ausgesprochen geschmackvoll zusammengestelltes Operetten-Programm.
In Abwechslung mit reinen Orchesterstücken von Lehár und Johann Strauss boten beide Solisten gesanglich höchst Anspruchsvolles. Piotr Beczała sang von Kálmán „Komm, Zigány“ mit betörendem Stimmschmelz, um dann wieder bei Lehárs „Freunde, das Leben ist lebenswert“ aus dessen „Giuditta“ mächtig aufzutrumpfen. Seine Höhe ist wunderbar gerundet und die Mittellage steht dem verführerischen Schmelz eines Richard Tauber ins Nichts nach. Camilla Nylund, diese ausserordentlich vielseitige Sängerin, sang das Vilja-Lied aus Lehárs „Die lustige Witwe“ hinreissend und steigerte sich fabelhaft im Czardás der Rosalinde aus der Strauss’schen „Fledermaus“. Ihre Stimme hat einen edlen, kultivierten Klang, eine angenehme Mittellage, um dann mühelos mit Attacke die extremen Spitzentöne strahlen zu lassen. Nach dem „Czardás“ entfachte die Künstlerin, die zudem fabelhaft anzusehen war, wahre Begeisterungsstürme. Nach vielen Arien beschloss den ersten Teil ein köstliches Uhrenduett aus der „Fledermaus“, während die grosse Duettszene zwischen Rosillon und Valencienne – „Lustige Witwe“ – diesem grossartigen Operettenabend die Krone aussetzte. Fabio Luisi waltete am Pult der prächtig aufspielenden Philharmonia seines Amtes, zwar etwas streng – er musste ja das Orchester auf gut zwanzig Metern Distanz der weit auseinander sitzenden Instrumentalisten zusammenhalten – aber eine Prise Wiener Schmäh hätte wohl nicht geschadet.
John H. Mueller