Konstantin Shushakov /Malatesta), Johannes Martin Kränzle (Don Pasquale), Mingjie Lei (Ernesto), Julie Fuchs (Norina), Dean Murphy (Carlotto). Foto: Monika Rittershaus
Zürich: DON PASQUALE – Premiere: 8.12.2019
„Verwirrung der Gefühle“
Der Geniewurf Donizettis, nämlich die als „Dramma buffo“ und nicht als „Opera buffa“ bezeichnete Oper, ist ein absoluter Einzelfall in der Musikgeschichte. Wo andere Komponisten eine turbulente „Opera buffa“ draus gemacht hätten, bringt der Bergamasker eine weitere Ebene hinein. „Don Pasquale“ ist, ebenso wie Mozarts „Così fan tutte“, eine bittere Komödie über die „condition humaine“. Dabei kommt alles daher wie „fast“ von Rossini komponiert, aber immer wieder ergibt sich durch eine unerwartete Modulation eine Tiefenschau in die menschliche Seele. Das klingt alles ein bisschen hochgefahren, ist aber so.
Christopher Loy hat mit seinem kongenialen Team (Bühnenbild: Johannes Leiacker, Kostüme: Barbara Drosihn, Lichtgestaltung: Franck Evin, Dramaturgie: Kathrin Brunner) das Werk mit einer Doppeldeutigkeit versehen, die sich schlauerweise erst im Laufe des Abends erschliesst. Zuerst ist da mal eine äusserst turbulente Bewegungs-Choreographie, die aber nach einem ganz genauen Plan, gleich einem Uhrwerk abläuft, wo die Figuren des „dramma“, Menschen mit allen Stärken und Schwächen, in ihre eigenen Fallen stolpern. Norina wird hier quasi als Flittchen gezeigt, die gleich mit mehreren Liebhabern kokettiert, aber auch sie muss nach dem „Turning Point“ der Oper, dem berühmten „schiaffo“, der Ohrfeige, feststellen, wohin sie sich hat mit ihrer Intrige leiten lassen. Am Schluss erkennt sie doch, wie niederträchtig sie gehandelt hat. Immerhin hat sie ja mit höchstem Vergnügen an der Intrige von Malatesta (ein bezeichnender Name für den schmierigen Halbsabschneider) mitgedreht, dem Geizkragen und kauzigen Hagestolz Don Pasquale „eins auszuwischen“. Die Intrige gerät aber ausser Kontrolle und am Schluss sind alle erstaunt, wohin sie damit gekommen sind.
Johannes Martin Kränzle (Don Pasquale). Foto: Monika Rittershaus
Don Pasquale, in der Verkörperung durch den feinen Menschendarsteller Johannes Martin Kränzle, ist hier nicht der Dickwanst mit der Stereotypie des Dümmlichen, sondern ein in seiner Einsamkeit gefangener alter Mann. Bezeichnend, wie er sein Joghurt löffelt, ganz reduziert auf seine eigene Erbärmlichkeit. Eifersüchtig ist er auf seinen Neffen Ernesto, den er enterben will. „Doktor“ Malatesta fädelt die Intrige ein, schaut aber dabei gerne auf seinen eigenen Vorteil, und dies unter dem Vorwand, anderen helfen zu wollen.
Dieses böse Spiel läuft ab wie eine ausser Kontrolle geratene Maschine und erinnert dabei an die Puppe Olympia, die im wahrsten Sinn des Wortes „durch-dreht“. Doch – eben wie gesagt – es ist das Genie Donizettis, das diesen Umschwung vollbringt, nicht zu einem wirklichen „Happy-End“, sondern, wie in Mozarts „Così fan tutte“, zu einem mehrdeutigen, doppelbödigen Finale zu gelangen.
Julie Fuchs war die äusserst agile Norina, sowohl stimmlich wie darstellerisch, sogar mit „etwas“ Tiefgang am Schluss, der junge Mingjie Lei als Ernesto eine Entdeckung, Johannes Martin Kränzle ein fabelhaft feinsinnig gestaltender und tadellos singender Hagestolz, Konstantin Shushakov als schneidiger Malatesta mit geschmeidigem Bariton. Aufgewertet wurde Carlotto durch Dean Murphy, der als Liebhaber Norinas im „Trio infernale“ als mafioser Notar mittut. Aber eben alles mit der „Leichtigkeit des Seins“ inszeniert, das dann doch eben so viele Untiefen aufweist. Christopher Loy hat hier ganze Arbeit geleistet, die Personenführung ist vom Feinsten und hat die Story von Don Pasquale auf eine Ebene gehoben, die weit über dem üblichen Klamauk angesiedelt ist, für den diese Inszenierung im ersten Augenschein wohl gehalten werden könnte. Doch weit gefehlt!
Grandios auch der Chor in Spiel und Gesang (Einstudierung: Ernst Raffelsberger), der im sogenannten Dienerchor hier eine aus den Fugen geratene Party feiert. Als die vertrottelte Dienerschaft wirkten R.A. Güter (Sergio), David Földszin (Ugo) und köstlich Ursula Deuker (Clara). Die Philharmonia wurde von Enrique Mazzola mit Witz und Laune geleitet und spielte die Partitur Donizettis mit offensichtlicher Spielfreude.
Das springt auch aufs Publikum über, das sich wie selten in der bravogestärkten Zustimmung der Neuinszenierung einig war.
John H. Mueller