Wolfgang Amadeus Mozart: Die Zauberflöte, Opernhaus Zürich, Wiederaufnahme: 12.01.2020 nm
Zivilsationsruinen als Lebensraum der Natur
Wer wissen wolle, warum die Zauberflöte sogar Leuten ein Begriff sei, denen Opern, auch solche von Mozart, sonst herzlich egal seien, treffe in Schikaneder auf einen, der auf seinem Weg nach oben mit jeder Art von Publikum klar kommen musste. So Volker Hagedorn in seinem für das Programmheft der Zürcher Produktion leicht gekürzten Artikel aus der Wochenzeitung «DIE ZEIT» (https://www.zeit.de/2012/35/Emanuel-Schikaneder-Zauberfloete-Mozart).
Für das Multitalent Schikaneder ist das Libretto zur Zauberflöte das Opus summum. Hier konzentriert er seine Erfahrungen als Dichter, Musiker, Schauspieler und Intendant. Schikaneder hat als Direktor einer fahrenden Truppe begonnen wirtschaftlich auf eigenen Füssen zu stehen, bevor er dann Intendant des Kärtnertortheaters und Chef des Theaters auf der Wieden wurde. Als Schauspieler ist Schikaneder auch an Hoftheatern wie dem in München aufgetreten. So kennt er, als sich ein Theater zwischen Hoftheater und Wandertruppen zu entwickeln beginnt, das Theater-Business aus jeder Perspektive. Bei der Zauberflöte trifft nun der Theaterpraktiker Schikaneder auf das Genie Mozart, der immer für etwas Unkonventionelles zu haben war. Und wenn schon Mozarts andere Werke für das Musiktheater wenig konventionell waren, so ist es die Zauberflöte sicher am Wenigsten. So kommt ein Stück von ungeheurer Vielfalt zu Stande, das sowohl das Zeitgeschehen wie Vorlieben und Mode in Kultur und Gesellschaft berücksichtigt.
Vielfalt und Abwechslung charakterisieren auch die Arbeit der Regisseurin Tatjana Gürbaca. Ihre Inszenierung in Bühnenbild und Licht von Klaus Grünberg bietet für jeden Geschmack etwas (die obligaten Video-Einblendungen stammen ebenfalls von Klaus Grünberg). Die Naturwelt des ersten Aufzugs ist bei Gürbaca eine von Baumstrünken umgebene Ruine eines Wohnhauses, bevölkert von den Überlebenden einer Katastrophe (der Klimawandel war zum Zeitpunkt der Premiere der Produktion am 07.12.2014 noch nicht en vogue) und diversem Federvieh. Wobei, Natur gibt es auch in der Natur, nicht nur in den Hinterlassenschaften der Zivilisation… Der Einzug von Ordnung im Verbund mit der Herrschaft Sarastros im Zweiten Aufzug schlägt sich dann darin nieder, dass Leben in die Ruine einzieht. Es wird renoviert und die Hausruine erhält zur Fassade passende Rollos für die Fenster. Ist das der Fortschritt? Die Kostüme von Silke Willrett erinnern in ihrer Ästhetik und wilden Kombinationen an die ersten Gehversuche von Design-Studenten, die sich in der Altkleider-Sammlung bedient haben.
Das Programmheft weist aus, dass eine «Dialogfassung Opernhaus Zürich 2014» gespielt wird. Leider wird nicht angegeben, wer diese erstellt hat und worin sie sich vom Original unterscheidet. Dazu festzuhalten bleibt, dass die Sänger offenbar frei sind zu improvisieren und der Autor offenbar bemüht war, krampfhaft sämtliche „aktuelle“ Themen einzubauen und das natürlich erst noch in politisch korrekter Art und Weise.
Unter Leitung von Sascha Goetzel spielt die Philharmonia Zürich im hochgefahrenen Orchestergraben eine Vorstellung, die nichts zu wünschen übrig lässt.
Mauro Peter gibt einen hervorragenden, jederzeit bestens verständlichen Tamino. Bei Mozart scheint er sich deutlich wohler zu fühlen, als bei Händel (https://onlinemerker.com/zuerich-opernhaus-belshazzar-von-g-f-haendel-mene-mene-tekel-upharsim-premiere/). Olga Kulchynska als Pamina kann stimmlich durchaus überzeugen, bei der Diktion ist aber noch Luft nach oben. Ähnliches gilt für Wenwei Zhang als Sarastro. Die ebenfalls aus Asien stammende Sen Guo zeigt, dass es auch anders geht. Wie fast immer technisch perfekt, singt und spielt sie eine beeindruckende Königin der Nacht. Ruben Drole ist als Papageno Zürcher Lokalmatador und kann das Publikum voll und ganz überzeugen. Seine Papagena auf Augenhöhe ist Lina Dambrauskaité. Warum Michael Laurenz als Monostatos mit Rauschebart und entsprechender Kleidung den Islamisten geben muss, bleibt wohl Geheimnis der Regie. Das Ensemble ergänzen die drei Damen von Hamida Kristoffersen, Sinéad O’Kelly und Katia Ledoux, Yannick Debus als Sprecher / 2. Priester, Luca Bernard als 1. Priester, Thomas Erlank als 1. Geharnischter und Oleg Davydov als 2. Geharnischter. Die Drei Knaben werden nun wieder von den Zürcher Sängerknaben übernommen.
Das Publikum ist begeistert, mit ihrer Arbeit trifft Gürbaca offenbar den Geschmack der Masse.
Weitere Aufführungen: 16.01.2020, 18. 01.2020, 24.01.2020.und 26.01.2020.
12.01.2020, Jan Krobot/Zürich