Franz Lehár: Die Lustige Witwe • Opernhaus Zürich • Premiere: 11.02.2024
Ein Vorhang ist ein Vorhang. Ist ein Vorhang?
Mit seiner Zürcher Witwe ist Barrie Kosky wieder ein Wurf gelungen. Den üblichen Seh- und Hörgewohnheiten widersprechend überzeugt der Abend in jeder Hinsicht.
Foto © Monika Rittershaus
Barrie Kosky legt seine Zürcher Inszenierung als Erinnerung der reifen Hanna Glawari an. Über zwanzig Jahre nach einer ersten, leidenschaftlichen Affäre erinnert sie sich, wie sie nach den für eine Operette obligaten Irrungen und Wirrungen Graf Danilo Danilowitsch heiraten konnte. Hanna und Danilo stehen als mitten im Leben: beide haben schon intensiv gelebt und Abenteuer bestanden. Die Gefühle sind immer noch intensiv, aber nicht mehr so offensichtlich wie in jüngeren Jahren. In diesem Sinne legt Kosky das «Lustige» aus dem Titel als «vergnügt», «lebhaft» oder «ausgelassen» aus: der fehlende Spass (und dessen auf der Operettenbühne immanente Gefahr in Klamauk abzurutschen) fehlt wohltuenderweise. Das aber gefällt nicht allen, da es nicht den althergebrachten Sehgewohnheiten entspricht. Trotz des «rationalen» Konzepts gelingt es Kosky die Spannung von Anfang bis zum Ende aufrechtzuerhalten. Auch das widerspricht den klassischen Sehgewohnheiten. Klaus Grünberg (Bühnenbild und Lichtgestaltung) hat für Kosky den «Zimtschneckenvorhang» (14 Meter lang auf einer entsprechend gebogenen, 42 Meter langen Schiene). Dieser als Bühnenbild dienende Vorhang und die phantastische Lichtgestaltung Grünbergs sind der ideale Hintergrund der Kostüme von Gianluca Falaschi. Falaschi hat die Möglichkeit aus dem Vollen zu schöpfen und für die Damen prächtige, an Farben und Stilsicherheit kaum zu überbietende Kostüme geschaffen. So wird die Tiefe, die man nach Kosky nicht spielen darf, für jeden spürbar. Kosky beweist einmal mehr, wie falsch es ist, die Gattung Operette als oberflächlich anzusehen.
Foto © Monika Rittershaus
Patrick Hahn und die Philharmonia Zürich (inkl. Bühnen-Banda mit Tamburizza, Gitarre, Bumbass und Tamburin) unterstützen Koskys «rationale» Lesart auf ganzer Linie. Der Klang ist wunderbar klar, intensiv und «verdeckt leidenschaftlich». In vielem erinnert er an den der von Lehár selbst eingespielten Klavierwalze mit einem Arrangement der Lustigen Witwe, der zu Beginn des Abends eingespielt, wenn sich Hanna an einem Flügel an das Wiedersehen mit Danilo erinnert. Ein besonderes Lob verdienen die solistischen Streicher: sie klingen wunderbar zart und süss, ohne schwer im Magen zu liegen. Dieser Zugang widerspricht natürlich den althergebrachten Hörgewohnheiten.
Foto © Monika Rittershaus
Marlis Petersen als Hanna Glawari und Michael Volle als Graf Danilo Danilowitsch sind die Wunschbesetzungen von Regisseur Barrie Kosky. Beide unterstützen entsprechend ideal sein Regiekonzept. Petersen gibt die Glawari mit starker Stimme. Stark in den Farben, aber auch nicht mehr jugendlich frisch. Ihre Hanna steht erkennbar mitten im Leben. Volles Danilo steht genauso mitten im Leben: Seine Stimme strahlt und trägt wunderbar im ganzen Haus. Martin Winkler als Baron Mirko Zeta ist eine Idealbesetzung und setzt das Inszenierungskonzept perfekt um. Katharina Konradi gibt mit wunderbar vollem, rundem Sopran eine strahlende Valencienne . Andrew Owens kann Camille de Rosillon leider nur bedingt überzeugen: Die Stimme klingt arg klein und stark gepresst. Omer Kobiljak überzeugt als Vicomte Cascada mit sicherem Tenor und grosser Tanz-Begabung. Barbara Grimm ist ein Njegus mit idealem Mass an Komik. Nathan Haller als Raoul de Saint-Brioche, Valeriy Murga als Bogdanowitsch, Maria Stella Maurizi als Sylviane, Chao Deng als Kromow, Ann-Kathrin Niemczyk als Olga, Andrew Moore als Pritschitsch und Liliana Nikiteanu als Praškowia ergänzen das vom Publikum begeistert gefeierte Ensemble. Die phantastischen Tänzer sind Steven Seale, Pietro Cono Genova, Natalia López Toledano, Sara Pennella, Alessio Urzetta, Sara Peña, Davide Pillera, Sina Friedli, Romy Neumann, Noa Joanna Ryff, Alexander Hallas, Alessio Marchini.
Ein Wurf, von dem man kaum genug bekommen kann!
Weitere Aufführungen:
Mi. 14. Feb. 2024, 19.00; Fr. 16. Feb. 2024, 19.00; So. 18. Feb. 2024, 13.00; Di. 20. Feb. 2024, 19.00; So. 25. Feb. 2024, 19.00; Fr. 01. März 2024, 19.00; Di. 05. März 2024, 19.00; Do. 07. März 2024, 19.30; So. 10. März 2024, 20.00; Di. 12. März 2024, 19.30; Do. 14. März 2024, 19.00.
12.02.2024, Jan Krobot/Zürich