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ZÜRICH/ Opernhaus: DIE CSARDASFÜRSTIN von Emmerich Kálmán – Premiere

26.09.2020 | Operette/Musical

Emmerich Kálmán: Die Csárdásfürstin, Opernhaus Zürich, Premiere: 25.09.2020

 

Wer ist schuld an Corona?

Auch „Die Csárdásfürstin“, die zweite Premiere am Opernhaus Zürich innert 5 Tagen, steht unter dem Eindruck von Corona, den zu ergreifenden Schutzmassnahmen einerseits und dem Einfluss der Pandemie auf die Inszenierung als solches andrerseits.

Wie in den Medien ausführlich nachzulesen, sind Chor und Orchester, um die Abstandserfordernisse zu erfüllen und in voller Besetzung agieren zu können, in den Probensaal am Kreuzplatz „ausquartiert“: 40 Mikrofone für das Orchester, 20 Mikrofone für den Chor, 1 Kamera für den Dirigenten und 1’000 Meter neu verlegtes 10 Gigabit Glasfaserkabel übertragen den Klang verzögerungsfrei ins Opernhaus. Neunzig im Saal verteilte Lautsprecher sorgen für einen überwältigenden Raumklang.

Foto: © Andrin Fretz

Die Philharmonia Zürich unter dem jungen Schweizer Dirigentin Lorenzo Viotti überzeugt mit der Csárdásfürstin noch mehr als mit der sommerlichen Operetten-Gala. Es wird höchst aufmerksam, farbenfroh und weitab jeglicher Operetten-Romantik musiziert. So macht Operette Spass! Der Zusatzchor des Opernhauses Zürich und die Chorzuzüger, vorbereitet von Janko Kastelic, überzeugen auch in der Ferne am Kreuzplatz.

Die Schutzmassnahmen werden nicht nur am Kreuzplatz sondern natürlich auch auf der Bühne eingehalten. Die beiden Hauptdarstellerpaare haben sich „freiwillig“ zu Infektionsgruppen zusammengetan, ebenso die acht Tänzer und Tänzerinnen. Ansonsten muss auf der Bühne Abstand gehalten werden. Getanzt werden darf nur mit dem Partner, Anfassen und Küssen ist verboten. Diese Einschränkungen haben massive, negative Auswirkungen auf die darstellerische Leistung der Solisten.

Es wird in keinem Augenblick klar, warum Sylva Varescu die Csárdásfürstin sein soll, warum sie alle, so das Programmheft, lieben sollen. Auch musikalisch vermag Annette Dasch leider überhaupt nicht zu überzeugen. In der Mittellage klingt die Stimme breit und schwer, in der Höhe wird sie unangenehm schrill. Aber auch Pavol Breslik, der seltsam teilnahmslos erscheint, vermag die ihm in der Darstellung des Edwin auferlegten Einschränkungen musikalisch nicht wettzumachen. Rebeca Olvera als Stasi und Spencer Lang als Boni scheinen etwas weniger eingeschränkt, weniger gehemmt. Unter normalen Umständen wäre hier weit mehr möglich. Während Lang unauffällig bleibt, wird Olveras Stimme in der Höhe erschreckend flach und gepresst, eindimensional. Die beste Leistung des Abends, gerade auch in dem aus der „Faschingsfee“ stammenden Couplet vom alten Noah, bietet mit kräftiger, sicherer Stimme Martin Zysset als Feri. Jürgen Appel ergänzt das Ensemble als Fürst von Lippert-Weylersheim. Maria Lazo, Ulrike Ahrens, Olivia Limina, Stefan Schmitz, Christopher Hemmans, Robert Johansson, Adrian Hochstrasser und Matteo Vigna spielen die Schiffscrew, Prostituierte, Folklore-Tänzer, besonders gut die Tiere und die Aliens.


Foto: © Toni Suter

Regisseur Jan Philipp Gloger möchte „Die Csárdásfürstin“ als Kreuzfahrt ins Verderben zeigen. Die Relevanz der Geschichte für die Gegenwart liegt für ihn darin, dass sie eine Gesellschaft zeigt, die notorisch über ihre Verhältnisse lebt und deren Akteure die Zeichen der drohenden Katastrophe ignorieren. So weit, so gut. Mit etwas musikalischem Verständnis und historischem Wissen liesse sich vielleicht sogar noch etwas daraus machen.

Dafür, aus dem Konzept noch etwas zu machen, ist Gloger, so das Fazit des Abends, der falsche Mann, denn in einem undifferenzierten Rundschlag werden, inspiriert von den Fridays for Future, gleich noch die globalen Probleme der Gegenwart wie schmelzende Polkappen, vermüllte Ozeane, die mächtigen Männer der Politik, die Schere zwischen Arm und Reich sowie ein entfesselter Finanzmarkt-Kapitalismus thematisiert.

Dafür ist Gloger der falsche Mann, denn er muss das Stück massiv verändern, um ihm vermeintlich Plausibilität zu verleihen. An einigen Stellen hat er, wie er im Programmheft erklärt, stark in die Geschichte eingegriffen, hier und da eine Nummer umgestellt, aber sonst alles gelassen, wie es geschrieben ist. Leider stimmt das nicht so ganz, denn die Dialoge sind politisch korrekt bearbeitet (Nimm, mein Bruder, Deine Geige) und eine stückfremde Nummer hinzugefügt.

Dafür ist Gloger der falsche Mann, denn mit seiner Äusserung „Zur Entstehungszeit der Csárdásfürstin war die Katastrophe der Erste Weltkrieg, heute werden wir von Pandemien heimgesucht, an deren Ausbruch die Zivilisation ja nicht ganz unschuldig ist.“ Ist er weit davon entfernt, wie von ihm verlangt, das Stück aus seiner Zeit heraus zu verstehen. Der Vergleich von Corona und erstem Weltkrieg ist schlicht unangemessen.

Wer kein Verständnis für Operette hat, sollte besser die Finger davon lassen.

Weitere Aufführungen: So. 04. Okt., 14.00; So. 04. Okt., 20.00; Do. 08. Okt., 20.00; So. 11. Okt., 20.00.

27.09.2020, Jan Krobot/Zürich

 

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