Francis Poulenc: Dialogues des Carmélites • Opernhaus Zürich • Premiere: 13.02.2022
Ein letzter Flashback
Nach Messiaens «Saint Françoise d’Assise» in der vergangenen Saison am Theater Basel hat nun mit Poulencs «Dialogues des Carmélites» das zweite Hauptwerk der «Nouvelle musique catholique» an einem Schweizer Theater Premiere. Am Opernhaus Zürich führt Jetske Mijnssen die Regie.
Foto © Herwig Prammer
Wie Messiaen haben auch alle an den «Dialogues des Carmélites» Beteiligten durch persönliche Erlebnisse und Krisen wieder zum katholischen Glauben gefunden: Gertrud Le Fort, die Autorin der Vorlage («Die Letzte am Schafott», 1931), George Bernanos, der aus Le Forts Roman ein Drehbuch machte, Albert Béguin, der das Drehbuch dramatisierte und der Librettist und Komponist Francis Poulenc. Le Fort gilt als eine Hauptvertreterin, der «Katholischen Erneuerung», Bernanos neben François Mauriac und Julian Green als Protagonist des «Nouveau théâtre catholique» und Poulenc und Messiaen vertreten die «Nouvelle musique catholique»: jede der drei seit dem 19. Jahrhundert von Frankreich ausgehenden Bewegungen propagiert die Hinwendung ihrer Kunst zu den Werten des ursprünglichen Katholizismus. In «Die Letzte am Schafott» verbindet Le Fort, die später zum (literarischen) Widerstand zählen sollte, in prophetischer Voraussicht die jakobinische Terror- und Schreckensherrschaft währen der Französischen Revolution mit dem Dritten Reich. Die Angst, besonders die Todesangst, ist die bestimmende der «Dialogues des Carmélites»: Die schon bei Le Fort vorhandene und als einzige nicht historisch überlieferte Soeur Blanche de La Force verkörpert jeweils die Todesangst einer ganzen, vor ihrem Untergang stehenden Epoche, sei es der Adel vor der Französischen Revolution, seien es jene, die den Totalitarismus im Allgemeinen und die Ideologie des Dritten Reichs im Besonderen ablehnen. Le Fort selbst dazu (1951): «Geboren aus dem tiefen Grauen einer Zeit, die in Deutschland überschattet wurde von den vorauseilenden Ahnungen kommender Geschicke, stieg diese Gestalt vor mir auf, gleichsam als Verkörperung der Todesangst einer ganzen zu Ende gehenden Epoche». Le Fort wählte die historisch überlieferte Geschichte der 16 auf dem Schafott hingerichteten Karmeliterinnen von Compiègne, um ihre Sozial- und Gesellschaftskritik zu schärfen: «Ich habe das Historische nie als Flucht aus der eigenen Zeit empfunden, sondern als Abstand, von dem aus man die eigene Zeit schärfer erkennt».
1951 äusserte sich Poulenc zu Marienwallfahrtsort Rocamadour, der Inspirationsquelle seiner religiösen Werke: «Als ich mich 1936, dem Schicksalsjahr meines Lebens und meiner Karriere, …, bat ich letzteren [Pierre Bernac], mich mit dem Auto nach Rocamadour zu chauffieren. … Einige Tage zuvor hatte ich vom tragischen Unfalltod meines Komponistenkollegen Pierre-Octave Ferroud erfahren. Die entsetzliche Enthauptung dieses so kraftvollen Musikers hatte mich erschüttert. In dem Gedanken, wie wenig Gewicht unsere menschliche Hülle hat, fühlte ich mich von neuem zum spirituellen Leben hingezogen. Durch Rocamadour wurde ich zurückgeführt zum Glauben meiner Kindheit». Der Tod von Pierre-Octave Ferroud war «nur» eine von Poulencs Krisen der 1930er-Jahre: der einzige Heiratsantrag, den er je gemacht hatte, wurde abgelehnt und das Versteckspiel um seine Beziehung zum Bariton Pierre Bernac waren weitere Belastungen. Die Entstehung der «Dialogues des Carmélites», die bei Poulenc durch ihre Intensität gesundheitliche Probleme auslöste, war bei Komponisten primär durch persönliche Faktoren bestimmt. Die Wendung gegen den Totalitarismus war nicht mehr dominant, in Anbetracht seiner Homosexualität aber immer noch mitbestimmend. Die Figur der Blanche de La Force mit all ihren Ängsten und Zweifeln kann bei Poulenc wie ein Selbstporträt wirken.
Foto © Herwig Prammer
Regisseurin Jetske Mijnssen erzählt, das zeigt gleich der erste Vorhang mit der einsamen Blanche de la Force im väterlichen Palast, die Geschichte der Karmeliterinnen aus der Warte der Hauptfigur als Flashback kurz vor ihrer Hinrichtung. Mijnssen, von dem am Abstimmungs-und Wahlsonntag eher spärlich erschienen Publikum begeistert akklamiert, arbeitet eng am Libretto, zeigt dabei die Figuren in Rokoko-Ambiente (Bühnenbild: Ben Baur) seltsam distanziert. An diesem Abend bleiben die Ängste für den Zuschauer nur nachvollziehbar, aber nicht fühlbar. Die prachtvollen, höchst ästhetischen Kostüme hat Gideon Davey geschaffen, die Lichtgestaltung stammt von Franck Evin. Die Choreographie der Tanzenden (Ana Sánchez Martinez, Sarah Schoch, Liliana Torres, Manuel von Arx, Francesco Guglielmino und Christian Waespi) hat Lillian Stillwell besorgt.
Nicolas Cavallier, zum ersten Mal am Opernhaus Zürich, überzeugt mit herrlichem Bassbariton und perfekter Textverständlichkeit als Le Marquis de La Force. Thomas Erlank als Le Chevalier, sein Sohn, steht ihm in nichts nach. Olga Kulchynska singt Blanche, seine Tochter, mit eisig klarem, kräftigen Sopran. Eine Liga für sich ist Evelyn Herlitzius als Madame de Croissy. Ihr gelingt als einziger an diesem Abend den Zuschauer ihre Emotionen auch spüren zu lassen. Inga Kalna als Madame Lidoine und Alice Coote als Mère Marie de l’Incarnation haben leider keinen guten Abend erwischt und klingen bei geringer Textverständlichkeit mehrheitlich scharf. Sandra Hamaoui gelingt eine überzeugende Sœur Constance de St.-Denis. Liliana Nikiteanu als Mère Jeanne de l’Enfant Jésus, François Piolino als L’Aumônier du Carmel, Freya Apffelstaedt als Sœur Mathilde, Saveliy Andreev als 1er Commissaire, Alexander Fritze als 2e Commissaire, Valeriy Murga als Le Geôlier, Benjamin Molonfalean als Officier und Yannick Debus als Thierry ergänzen das Ensemble.
Die Philharmonia Zürich setzt die Partitur unter musikalischer Leitung von Tito Ceccherini akribisch und hochkonzentriert um. Der von Janko Kastelic bestens vorbereitete Chor der Oper Zürich überzeugt mit wuchtigem Klang bei grosser Textverständlichkeit.
Ein interessanter Abend.
Weitere Aufführungen:
Do. 17. Februar, 19.00; Sa. 19. Februar, 19.00; Fr. 25. Februar, 19.00;
So. 27. Februar, 20.00; Do. 03. März, 19.00; Sa. 05. März, 20.00.
13.02.2022, Jan Krobot/Zürich