Opernhaus Zürich – 21. und 24.10.2024: „DER FLIEGENDE HOLLÄNDER“ –
Romantische Oper von Richard Wagner
Camilla Nylund. Foto: Toni Suter/Oper Zürich
Wie kam wohl der Komponist auf die Idee, das hochdramatische Geschehen als „romantisch“ zu bezeichnen? Ist das nicht viel zu wohlwollend in Anbetracht des grausamen Schicksals des auf die Meere verdammten Seefahrers, der nur alle sieben Jahre an Land gehen darf? Wer da mit einem klaren „Ja“ oder „Nein“ antworten möchte, ist auf einem falschen Weg. Das Musikdrama ist so vielseitig deutbar, dass man mit der größten Selbstverständlichkeit heutzutage eine Inszenierung erwartet, die uns dabei hilft, dieses unheimliche Rätsel zu lösen, und es uns erlaubt, neben so mancher Erheiterung die Aufopferung einer Frau für die Erlösung des verdammten Mannes – wenn auch mit Schaudern – gut zu heißen.
Die Inszenierung durch den Züricher Intendanten Andreas Homoki (seit der Spielzeit 2012/2013) ist eine Koproduktion mit der Mailänder Scala und der Norwegischen Staatsoper Oslo, und der zwar in Deutschland geborene (aus einer ungarischen Musikerfamilie stammende) Regisseur inszenierte in Zürich u.a. auch „Lohengrin“ – als Koproduktion mit der Wiener Staatsoper … Dass der weltweit tätige, vielfach ausgezeichnete Maestro Gianandrea Noseda, GMD des Opernhauses seit der Spielzeit 2021/22 und, insbesondere für seine Interpretationen der „Ring“-Opern in Zürich hochgepriesen, den Abend kräftigst mitgestalteten, versteht sich ebenso von selbst wie die erstklassige Sängerbesetzung in den Hauptrollen. Tomasz Konieczny als Holländer, Camilla Nylund als Senta und Marco Jentzsch als Erik vermochten ihren Rollen vokal, emotional und optisch eine ganz persönliche Eindringlichkeit zu verleihen. Das vortreffliche Ensemble versteht sich von selbst.
Tomasz Koniechny und Camilla Nylund. Foto: Toni Suter/Oper Zürich
Die Oper wurde ohne Pause gespielt. Der sich für die nötigen szenischen Verwandlungen drehende Mittelteil der Bühne mit einer hohen, unbesteigbaren halbrunden Wand trug zu erhöhter Neugierde auf das jeweils kommende Geschehen bei. Dass die einzelnen Solisten ebenso wie der Chor neutrale zeitlose Kostüme trugen, verwunderte einen zu Beginn sehr, machte aber bald verständlich, dass Wagners Handlung als zeitlos zu verstehen ist. In der oberen Bühnenhälfte, so etwa im Mittelpukt des Raumes, hing eine große, bunte Landkarte von Afrika, halb seriös, halb komisch anmutend. Im Hintergrund des Inneraums von Dalands Wohnhuas sah man immer auch das wogende blaue Meer.
Marco Jetzsch und Camilla Nylund. Foto: Toni Suter/ Oper Zürich
Heftige Bewegung unter den Matrosen, um das Schiff zu verankern. Daland (der russische Bass Dimitry Ivashchenko, leicht ermüdet klingend, erlaubt den Matrosen, zur Ruhe zu kommen. Der junge Steuermann, mit hellem, klarem Tenor – Omer Kobiljak (aus Bosnien) – tut seine Vorfreude auf das Wiedersehen mit seinem Mädel kund und schläft darob ein.
Nicht zum ersten Mal gibt der uns wohlbekannte polnische Bassbariton Tomasz Konieczny zwar, wie vom Komponisten gewünscht, ermüdet, aber umso schmerzlicher und verzweifelter klingend, sein grausames Schicksal kund. Dabei muss man nicht brüllen, nein, Konieczny singt das alles „nur“ mit optimaler, eindringlicher Textdeutlichkeit. Und natürlich wechseln Licht und Schatten, regen sich Hoffnung und Verzweiflung optisch und vokal, und erkennt Daland – jetzt vokal kräftiger und wohltönender – seine Chancen auf großen Gewinn. Und wieder dreht sich der Mittelteil der Bühne…
Das im Text von Wagner erwähnte „geräumige Zimmer“ im Hause Dalands gibt es nicht. Auf einer Bühnenseite singen die hübschen, weiß gewandeten Mädchen, eng aneinader gereiht, ihr munteres Spinnlied, von Mary (Liliana Nikiteanu, Ungarin) dafür gelobt. Senta, alles dessen ungeachtet, steht an der linken Wand. Für die gebürtige Finnin Camilla Nylund ist offensichtlich das Schicksal des auf die Weltmeere verdammten Seemanns nicht unglaubwürdig – ihre warme, lyrisch wie dramatisch beliebig einsetzbare Stimme ist in allen Höhen und Tiefen so aussagekräftig, wie die Rolle der Senta es fordert. Mögen die jungen Frauen „spinnen“ nach Belieben – sie kann es nicht mehr. Ihre „Ballade“ dringt uns durch Mark und Bein – „fänd er ein Weib, das bis in den Tod getreu ihm auf Erden …. Durch mich sollst du das Heil erreichen!“
Da kommt Erik herein, der junge, Senta liebende Jäger, als solcher stets für sie im Einsatz, der ihr das Beste wünscht: der großgewachsene, attraktive Marco Jentzsch – mit einer tenoralen Strahl- und Leuchtkraft sowie Ausdrucksfähigkeit, wie ich sie in dieser Partie noch nicht gehört habe. Mit dem Jagdgewehr in der Hand vermeint er, der für seine große Liebe jedes Opfer zu bringen bereit ist, sie zu beschützen…Verzweifelt – es vokal und physisch glauben machend – läuft er davon, als der Holländer erscheint….Ihres Vaters Stimme bewegt sie nicht – sie bleibt ruhig präsent und der verfluchte Seemann wird zum Belcantisten, lässt dann jedoch „die düstre Glut“, die in ihm brennt, durchhören, bis ihm die Frau ihre Treue bis zum Tod in Aussicht gestellt hat und ihr Vater – sich auf das Verlobungsfest freut.
Eine Randbemerkung: Alle Chorsänger tragen Brillen , die Solisten nicht… Soll das besagen, dass die ihr Leben klarer sehen?
Der Gesang der spinnenden Mädchen und jener der Matrosen lässt nach der sich abermals drehenden Bühne im 3. Akt wieder keinen Wunsch offen. Die sich zwischen den beiden Chören, Dalands Matrosen und der Mannschaft den Holländers bewegenden Emotionen, die sich als Sturm im wieder aufbrausenden Meer im Fortissimo kundtun, lassen uns im Schreck zurück, als wieder plötzliche Totenstille eintritt, die Senta aus dem Hause zwingt, von Erik verfolgt… Jentzsch vermag seine Verzweiflung mit heldentenoraler Leuchtkraft eindringlich glaubhaft zu machen…
Da dreht sich die Bühne wieder im Kreise vor dem immer im Hintergrund sichtbaren wogenden Meer – der Raum wird zuerst dunkler, dann wieder heller – ein magischer Beleuchtungswechsel – die Rettungstat, die man optisch gar nicht im Detail zeigen muss, ist geschehen …
Es bleibt uns wieder Spielraum zum Denken, Fühlen, Fürchten, Hoffen…
Das expressive Orchester und der großartige Chor (Einstudierung: Janko Kastelic) verstehen ebenso, was sie spielen und singen wie auch das Publikum alles Gehörte und Gesehene.
Die zweite Vorstellung fand ich noch expressiver als die erste und wäre gern noch zu den vier weiteren in Zürich geblieben…
Sieglinde Pfabigan
(die wieder einmal wusste, warum Richard Wagner, der ja fast sein halbes Leben in der Schweiz verbracht hat, ihr Lieblingskomponist ist)