Georg Friedrich Händel: Belshazzar, Opernhaus Zürich, Premiere: 03.11.2019
«Mene Mene Tekel Upharsim»
In Sebastian Baumgartens Zürcher Inszenierung von Händels Oratorium «Belshazzar» erscheinen die Worte, die, so das Libretto, eine Hand auf die Wand des Festsaals schreibt, als Tätowierung auf dem Unterarm des Königs. Dies ist nur eine zahlreicher Assoziationen, mit denen Baumgarten das Publikum regelrecht bombardiert.
Händels „Belshazzar“ wurde am 27. März 1745 im Londoner King‘s Theatre uraufgeführt. Es war die letzte Uraufführung eines Werks von Händel an diesem Theater, das seit seinem Londoner Einstand im Jahre 1711 mit „Rinaldo“ 26 Uraufführungen und unzählige Wiederaufnahmen von Händels Werken erlebt hatte. Zu Händels Lebzeiten erlebte „Belshazzar“ nur sechs Aufführungen. Es stand lange im Schatten der anderen Oratorien und wird, so die einschlägige Sekundärliteratur, erst im 20. Jahrhundert wieder vermehrt aufgeführt.
Hierfür, den mässigen Erfolg zu Händels Zeiten und das vermehrte Interesse unserer Zeit, ist die Thematik des Stückes verantwortlich. Händel und sein Librettist Charles Jennens behandeln hier, eingebettet in einen „clash of religions“ (Polytheismus der Babylonier versus Monotheismus der Juden und Perser), den Fall des babylonischen Reichs unter König Belshazzar, Sohn des Nebukadnezar II. und den Aufstieg der neuen Macht, der Perser, die das 5. Kapitel des Buches Daniel als Retter des jüdischen Volkes aus der babylonischen Gefangenschaft ankündigt.
Wenige Monate nach der Uraufführung des „Belshazzar“ erschütterte der Jakobiten-Aufstand von 1745 die Insel. Nach der Glorious Revolution von 1688 und dem Settlement Act von 1701 herrschte seit 1714 das protestantische Haus Hannover, wurde aber immer wieder von den Jakobiten, den Anhängern des katholischen Stuart-Königtums, zu den auch Textautor Jennens gehörte, in Frage gestellt. Die Jakobiten, die statt durch den Euphrat über den Kanal kamen, waren die neue Macht, die den Absolutismus in Frage stellte und in England, das gerade im 18. Jahrhundert gerne die auserwählte Rolle des Volkes Israel auf sich übertrug, höchst unpopulär.
Im 20. Jahrhundert ist der Untergang von Diktatoren und der „Clash of cultures“ natürlich ein besonders herausforderndes Thema.
An dieser Herausforderung scheitert nun Baumgartens Zürcher Inszenierung kläglich. Seine Assoziationen, mit denen er das Publikum konfrontiert, reichen von abgedroschen über simpel bis höchst gefährlich. Grundproblem der Arbeit ist, dass er in einem Werk, in dem die Chöre eine so wichtige Rolle spielen, das Ganze als Filmaufnahme (Video-Design Hannah Dörr; Videomitarbeit: Paul Rohlfs; Live-Kamera: Julia Bodamer) des Propheten Daniel anlegt: so ist die Bühne noch voller als ohnehin schon und trotz der dreistufigen Erweiterung in Richtung Graben und in Kombination mit den zahllosen Video-Sequenzen entsteht so ein filmischer Overkill, denn auf der Bühne (Bühnenbild: Barbara Steiner) steht eine Plastikmauer mit Leinwand und je nach Situation wird noch eine zusätzliche Leinwand herabgelassen. Zudem ist im Verlauf des Abends kein Konzept zu entdecken: es scheint, als wäre die Arbeit nach einem ersten Brainstorming bei der übervollen Flipchart stehen geblieben. Die Assoziationen wurden weder geordnet noch überarbeitet.
Die ganze Zeit über ist auf der Bühne eine schwarze Mauer mit Fenster in Plastik-Optik, eine Mischung aus Playmobil und Lego, zu sehen, davor ein bühnenbreiter Steg und die bereits erwähnte, ebenfalls bühnenbreite dreistufigen Erweiterung in Richtung Graben.
© Herwig Prammer
Die Assoziationen, die nun auf das Publikum einprasseln, reichen von einer Mauer mit Stacheldraht vor nächtlicher Grossstadtkulisse (es dürft eher Amerika als Israel gemeint sein) über ein fahrbares, tischgrosses Modell einer Zunkunftsstadt, einer Strohhütte als Behausung der gefangenen Juden, quietschgrünen Kultus-Gegenständen der Juden, einer wenig einfallsreichen Verfremdung des Rembrandt über wahllos kombinierten Filmschnipseln wie Aufnahme der Einsätzen von Drohnen, Wohnvierteln mit Kriegsschäden, Naturkatastrophen, Rotlichtvierteln (Hure Babylon?), prall gefüllten Auto-Parkplätzen bis hin zu einer Riesen-Raubkatze in Anspielung auf Bertolt Brecht („Ein neues Tier steht vor der Tür“). Problematisch bleibt der Einfall, die Ankündigung von Belshazzars Untergang als Tätowierung auf seinem Unterarm erscheinen zu lassen. Es gibt Zeiten, da war eine Tätowierung auf dem Unterarm die Ankündigung des bereits feststehenden Untergangs. Aber was, wenn man den Gedanken weiterdenkt? Will man den Urheber der Prophezeiung in Händels Werk (Gott) mit dem Urheber besagter Tätowierung gleichsetzen? Der Gedanke funktioniert nicht und ist hier schlicht fehl am Platz.
Die Kostüme von Christina Schmitt lassen ebenfalls jegliches Konzept vermissen und sehen aus, als hätte man nicht nur den eigenen Kostüm-Fundus aufgeräumt, sondern auch noch die hiesigen Brockenstuben durchkämmt und die Shoppingtour in einem bankrottgegangenen Verleih für Fasnachts-Kostüme abgeschlossen. Die drei Weisen, die Belshazzar nach dem Menetekel zu sich ruft, tragen Indianer-Kostüme, die an Winnetou-Filme erinnern. Die gefangenen Juden tragen alle Schaufäden und Pullover mit den Portraits bekannter jüdischer Persönlichkeiten, die bestenfalls aus der ersten Reihe zu erkennen sind. Eine Erklärung dazu oder gar eine Liste im Programmheft fehlt. Die Perser unter ihrem Anführer tragen Lack und Leder – wieder eine Anspielung auf die „Hure Babylon?“
Wie man einen alttestamentarischen Stoff adäquat und durchaus aktuell auf die Bühne bringen könnte, hätte der Blick auf zwei Produktionen von Rossinis „Mosè in Egitto“ zeigen können: die ebenfalls mit dem Filmkonzept arbeitende Produktion der Bregenzer Festspiele aus dem Sommer 2017 oder die hauseigene Produktion aus der Saison 2009/2010.
Jakub Józef Orliński (Cyrus). © Herwig Prammer
Um die musikalische Seite der Produktion ist es leider nicht wesentlich besser bestellt als um die Szenische. Laurence Cummings vermag die Dramatik des Werkes nicht herauszuarbeiten: selten hat man das Orchestra La Scintilla kraftlos und matt wie an diesem Abend gehört. Funken schlagen hier keine, Händels Musik wird nicht mit Leben gefüllt und ist so schlicht und einfach langweilig. Da hilft auch der Chor der Oper Zürich, überwiegend nach der Devise „je lauter desto besser“ agierend, (Choreinstudierung Janko Kastelic) wenig.
Layla Claire als Belshazzars Mutter Nitocris erhält an diesem Abend den meisten Applaus. Sie gestaltet die Rolle eindrücklich, geht aber, da sie die für Arien nötige Ruhe auf der Bühne nur selten zugestanden erhält, im allgemeinen Spektakel der Bühne weitgehend unter. Jakub Józef Orliński überzeugt mit stupender Technik und bombensicheren Koloraturen, in der Höhe aber mit manchen Schärfen, als persischer Feldherr Cyrus. Tuva Semmingsen gibt den Propheten Daniel. Ihre Stimme ist für das Zürcher Haus leider zu wenig tragfähig, zu klein. Mauro Peter singt den Belshazzar mit guter Stimme und sicheren Höhen: von Gewalt und Dekadenz ist hier aber weitherum nichts zu entdecken.
Evan Hughes gibt den Gobrias mit prächtigem Bass. Thomas Erlank, Oleg Davydov und Katia Ledoux ergänzen das Ensemble als drei weise Männer. Lina Dambrauskaité, Justyna Bluj, Katia Ledoux, Thomas Erlank, Oleg Davydov und Bernadeta Sonnleitner sind die Solisten, Yvonne Barthel, Anna Virkkunen, Sebastian Zuber, Evelyn Angela Gugolz, Benjamin Mathis und Lynn Clea Ismail die Tänzer und Schauspieler.
Nach „Semele“ zu Beginn des Jahres eine herbe Enttäuschung.
Weitere Aufführungen: Sa. 09 Nov., 19.30; Fr. 15 Nov., 19.00; So. 17 Nov., 14.00; Do. 21 Nov., 19.00; Sa. 23 Nov., 19.00; Sa. 30 Nov., 19.00; Fr. 06 Dez., 19.00.
07.11.2019, Jan Krobot/Zürich