Jacques Offenbach: Barkouf • Opernhaus Zürich • Premiere: 23.10.2022
Schweizer Erstaufführung
Wuff! Wuff!
Es gibt Werke Offenbachs, die sind populär. Und es gibt Werke Offenbachs, die sind interessant. «Barkouf» gehört eindeutig zur zweiten Gruppe, und da zu jenen Werken wie «Les Fées du Rhin» oder «Fantasio», die dem Vergessen anheimfielen, weil sie den Durchschnitts-Zuhörer überforderten – und offenbar noch immer überfordern. Nach über gut 150 Jahren hat sie Jean-Christophe Keck, seit 1999 Herausgeber der „Offenbach Edition Keck“ (OEK), dem Vergessen entrissen. Die «Rheinnixen» (so der ungenaue deutsche Titel Hanslicks, der Verwechslungen mit Wagners Rheingold vermeiden sollte) sind seit 20 Jahren wieder bekannt, «Barkouf» seine neuzeitliche Erstaufführung 2018 in Strassburg (und 2019 zum 200. Geburtstag Offenbachs in Köln).
Foto © Monika Rittershaus
Ein Grund des Vergessens von «Barkouf» dürfte gewesen sein, dass das Werk für seine Zeit zu modern war und nicht den Vorurteilen entsprach, die man Offenbach gegenüber hatte. Offenbach erweist sich absolut auf der Höhe der Zeit und gibt eine Synthese der Opernstile seiner Zeit, und greift seiner Zeit weit voraus. In einer von Nationalismus und Chauvinismus, Hochmut und Machtphantasien geprägten Zeit hatte ein Werk, dass sich so deutlich gegen die herrschenden Klasse wendet (als einziges Werk Offenbachs war «Barkouf», wenn auch nur kurze Zeit, von der Zensur verboten; Fenstersturz um Herrscher loszuwerden), und in dem eine Frau die Führung (eine Szene der Inszenierung ruft dem informierten Zuschauer sofort Eugene Delacroix «La Liberté guidant le peuple» in den Sinn) übernimmt, keinen Platz. Ein anderer Grund liegt in den Entwicklungen der französischen Opernlandschaft Mitte des 19. Jahrhunderts und einer gegen Offenbach gerichteten Presse-Kampagne, den Produktionsbedingungen der Uraufführung und – im positiven Sinn – in der Qualität des Werks. Mitte des 19. Jahrhunderts begann die Opéra comique ihre Leichtigkeit und das Heitere zu verlieren, immer stärker die Grand opéra zu imitieren, während dem die Vaudevilles deutlich an Umfang abnahmen. Hervé und Offenbach sprangen mit der Operette in die Lücke, um das Bedürfnis des Publikums nach einfachen, fröhlichen, satirisch-parodistischen Werken zu füllen. Offenbach stellte gegenüber den Behörden wie auch in der Ausschreibung seines Einakter-Wettbewerbs klar, dass er die Opéra comique als Opéra bouffe wieder an die Ursprünge, die Opéra comique des 18. Jahrhundert angleichen wolle. 1860 war Offenbach, der in Frankreich naturalisierte Deutsche jüdischen Glaubens, am Ziel seiner Träume angekommen: die Opéra hatte bei ihm das romantische Ballett „Le Papillon bestellt und Alfred Beaumont, frisch bestallter Direktor der Opéra comique bestellte, wahrscheinlich zur glanzvollen Eröffnung seiner Intendanz, „Barkouf ou un chien au pouvoir“. Beaumont glaubte mit dem Dream-Team aus Star-Komponist und Star-Librettist, Eugène Scribe, nichts falsch zu machen. Als Barkouf nach viereinhalb Monaten Proben zur Uraufführung kam, startete rasch eine konzertierte Presse-Kampagne gegen Offenbach, die ihm klarmachen wollte, dass sein Platz sein Theater, das Théâtre des Bouffes-Parisiens sei, und nicht die ehrwürdige Opéra comique. Konservatismus, Neid und Groll waren geweckt. Offenbach liess im Rahmen der Auseinandersetzung verlauten, „Barkouf“ sei als Opéra bouffe (Gattungsbezeichnung von der Zensur erzwungen) tatsächlich am falschen Platz, denn die aktuelle Opéra comique habe mit ihren Ursprüngen nichts mehr gemein. „Barkouf“ stand während der Proben unter keinem guten Stern, denn die Sänger und Musiker wandten sich rasch gegen das Werk und dann hatte auch die Zensur noch Einwände. Immerhin konnten das Verbot der Zensur durch politischen Druck aus höchsten Kreisen, verschiedene Entschärfungen und die Herabstufung von der Opéra comique zur Opéra bouffe rasch gelöst werden. Die sich auch in Krankheiten äussernde Opposition des Sängerpersonals blieb aber bis zur Absetzung des Werkes bestehen. Offenbach konnte mit „Barkouf“ beim Publikum einen Achtungserfolg erringen. Das dürfte auch damit zu tun haben, dass die Musik kaum je die Erwartungen erfüllt, die man mit Offenbach verknüpft, und so modern ist, dass sie den strengen Kriterien der zeitgenössischen Verfechtern der Opéra comique nicht Genüge tut. Es wurden weder ein Libretto noch ein Klavierauszug der Oper gedruckt.
Foto © Monika Rittershaus
Max Hopp (Inszenierung) bleibt bei seiner Umsetzung eng am Libretto und bringt «Barkouf» als intelligente Unterhaltung auf die Bühne. Offenbachs erstes Business war die Unterhaltung, Hopp bietet hier Operette, wie es sonst nur die komische Oper in Berlin kann, und diejenigen, die wollen, lädt er ein, die kritischen Seiten des Stückes zu entdecken. Aber eben, man muss dazu bereit sein, bereit sein, über den Tellerrand zu schauen und die eigen Erwartungen an Offenbach enttäuscht zu sehen. Dann wird man ent-täuscht, entdeckt wie gross der Kosmos Offenbach ist. Marie Caroline Rössle (Bühnenbild) stellt ihm dazu eine Brücke ins Nichts auf die Bühne, die als Laufsteg dient, reichlich Nischen bietet und auch als Element der Moderne gesehen werden kann. Die farbenfrohen Kostüme stammen von Ursula Kudrna. Martina Borroni besorgt die Choreografie der Tänzer:innen, die ganz wesentlich zum hervorragenden Eindruck der Inszenierung beiträgt. Am Ende steht wie nach jedem Fest das Aufräumen. Während Jacques Le Chien nach der Moral von der Geschichte sucht, beginnen die Bühnenarbeiter mit dem Abbau. Wäre nicht ein vierbeiniger Hund ein besserer Herrscher als so manch zweibeiniger Hund?
Als Opéra-comique (Libretto von Eugène Scribe und Henry Boisseau) enthält «Barkouf» gesprochene Passagen, die für die einzelnen Aufführungen immer wieder angepasst wurden. Die Sprechpassagen der Uraufführung sind nicht überliefert und so hat Max Hopp diese für die Zürcher Inszenierung neu geschaffen und zur Entlastung dem Schauspieler André Jung als Jacques Le Chien anvertraut. Marcel Beekman gibt einen hervorragenden Bababeck, sekundiert von Daniel Norman in der Rolle seines Dieners Kaliboul. Siena Licht Miller ist Babecks Tochter Périzade. Andreas Hörl gibt Le Grand-Mogul. Luxuriös sind die beide Liebespaare besetzt: Brenda Rae singt die Maïma mit gestochen scharfen Koloraturen und lässt sie so ein bisschen zur Vorläuferin der Singpuppe Antonia werden, Mingjie Lei ihren Geliebten Saëb mit wunderbar lyrischem Tenor. Rachael Wilson lässt als Balkis keine Wünsche offen. Sunnyboy Dladla springt als Xaïloum für den erkrankten Andrew Owens ein. Bo Zhao, Utku Kuzuluk, Thomas Luckett, Robert Weybora, Timm de Jong und Piotr Lempa ergänzen das Ensemble als Verschwörer. Die Tänzer:innen sind Sara Pennella, Alessio Urzetta, Alessio Marchini, Lorenzo Soragni, Brittany Young, Soraya Emery, Oriana Zeoli und Gianluca Falvo. Ernst Raffelsberger hat den Chor der Oper Zürich, der zusammen mit dem Statistenverein am Opernhaus Zürich die Bühne mit prallem Leben füllt, bestens einstudiert.
Die Philharmonia Zürich unter Jérémie Rhorer bringt diesen ganz anderen Offenbach faszinierend lebendig zu Gehör.
Das muss man gesehen haben!
Weitere Aufführungen:
Do. 27. Okt. 2022, 20.00; So. 30. Okt. 2022, 14.00; Fr. 04. Nov. 2022, 19.00;
So. 06. Nov. 2022, 20.00; Mi. 09. Nov. 2022, 20.00; So. 13. Nov. 2022, 13.00;
Do. 17. Nov. 2022, 19.00; Sa. 19. Nov. 2022, 20.00; Di. 22. Nov. 2022, 19.00.
25.10.2022, Jan Krobot/Zürich