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ZÜRICH/ opernhaus: «AMERIKA» von Roman Haubenstock-Ramati – Ameriks im Heute. Premiere

04.03.2024 | Oper international

Zürich: «AMERIKA» von Roman Haubenstock-Ramati – Premiere 3.3.2024

Amerika im Heute…

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Paul Curievici (Karl Rossmann). Foto. Herwig Prammer

1966 in Berlin uraufgeführt und nur zweimal nachgespielt, schlummerte dieses ausserordentliche Werk des polnisch-israelischen Komponisten Roman Haubenstock-Ramati (1919-1994) einer Wiederentdeckung, die ihm nun nach bald mehr als sechzig Jahren durch die Aufführung am Opernhaus Zürich zuteil wird. Als multimediales Werk, die Grenzen des gängigen Musiktheaters sprengend, erlebte es durch die Interpretation des Dirigenten Gabriel Feltz und die Sicht des Regisseurs Sebastian Baumgarten eine faszinierende Neu-Entdeckung. Schon durch die heutigen technischen Mittel (Video: Robi Voigt, Sounddesign: Raphael Paciorek) geriet es zum multimedialen Event, wovon sich wohl Franz Kafka, dessen unvollendeter Roman «Der Verschollene» die Grundlage zu dieser «Vertonung» bildete, wohl nicht hätte träumen lassen. In verblüffender Weise werden in dieser Inszenierung die theatralischen Mittel verbunden und vermengt, sodass daraus ein in der Tat wahrhaftes Gesamtkunstwerk entstehen konnte. Im Graben spielt ein Live-Orchester (die Philharmonia) unter Gabriel Feltz, zwei weitere im voraus aufgenommene Orchester werden eingespielt, über mehr als 60 im Opernhaus verteilte Lautsprecher werden Geräusche, ein Fernchor und weitere Tonelemente via Surround-Sound übertragen, sodass der Theaterraum in die dritte, ja sogar vierte Dimension erweitert wird.

Dem entspricht das Geschehen auf der Bühne nur bedingt, so gekonnt es auch von den Break-Dancern, denen sich auch die singenden und tanzenden Darsteller:innen mit ihren eckigen Movings anpassen, geschieht. Denn hier wird das Guckkasten-Prinzip (Ausstattung: Christina Schmitt, Licht: Elfried Roller) nicht verlassen und das Geschehen entfaltet sich vor unseren Augen wie in einem Film der «Dämonischen Leinwand» der Weimarer Republik. Die inhaltlich kaum zusammenhängenden Szenen wechseln sich in schneller Folge in einer brillanten Bildsprache ab, denn bei Kafka ist alle Kausalität aufgehoben und wenn, ergibt sich diese eben aus den Situationen, die wenig mit Logik, sondern viel mit Surrealismus und der Fremdbestimmtheit zu tun haben.

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Paul Curievici (Karl Rossmann) mit Tänzern. Foto: Herwig Prammer

Karl Rossmann, hier glänzend verkörpert durch Paul Curievici, gerät in immer surrealere Situationen, am Schluss wird er gar Mitglied des «Naturtheaters von Oklahoma», wobei nicht klar ist, ob hier Himmel oder Hölle, oder gar beides gleichzeitig gemeint ist. Dass diese irrwitzigen Situationen sich in einem imaginären Amerika abspielen, das Kafka selbst nie betreten hat, verblüfft umso mehr, als dessen Darstellung auf der Bühne mit dem heutigen Niedergang kongruent geht. Eine wahrhaft beklemmende Vision. So ist Kafkas «Der Verschollene» in der Vertonung von Roman Haubenstock-Ramati, der selbst eine kafkaeske Odyssee seines Lebens erleben musste, aktueller denn je.

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Alison Cook (Diva Brunelda). Foto: Herwig Prammer

Neben Paul Curievici, dem virtuosen Darsteller des Karl Rossmann sprich: Franz Kafka, sind die in vielen Rollen gleichzeitig auftretenden Sängerinnen und Sänger, Darstellerinnen und Darsteller /Darsteller in hochwohllöblicher Weise genannt: Robert Pomakov, Georg Festl, Mojca Erdmann als gegensätzliche Figuren wie Klara und Therese, Alison Cook als Diva Brunelda im Anita Ekberg-Look, Ruben Drole (fabelhaft in seinen Vervielfältigungen als Onkel Jakob, Oberportier und Direktor), die immer eindrückliche Irène Friedli als Oberköchin und – auf diesem durchgehend hohen Niveau – auch Benjamin Mathis und Sebastian Zuber. Nicht zu vergessen die ausserordentlich quirligen Break-Tänzer und -Tänzerinnen (Choreographie: Takao Baba), die dem Ganzen einen Touch eines amerikanischen Musicals verliehen, was ja hier durchaus angebracht war.

Nach weniger als zwei Stunden Spieldauer – ein paar Kürzungen wären hilfreich! – verliess man/frau das Opernhaus mit einer Überfülle an optischen und akustischen Eindrücken, die das Wahre im Surrealen mehr als deutlich machten.

Eine ausserordentliches Musiktheater-Ereignis, diesmal ohne Belcanto und Puccini-Sound….

John H. Mueller

 

 

 

 

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