Alfred Schnittke: Leben mit einem Idioten • Opernhaus Zürich • Vorstellung: 10.11.2024
(3. Vorstellung • Premiere am 03.11.2024)
Schweizer Erstaufführung
Das «Leben mit einem Idioten» Serebrennikovs
Intendant Andreas Homoki geht in seine letzte Saison in Zürich und so steht diese nochmals im Zeichen des Regietheaters. Nach der in Zürich wenig beliebten «Ariadne auf Naxos» (in der Regie des Hausherrn) steht hat mit «Leben mit einem Idioten» von Alfred Schnittke (1934–1998) in der Regie von Kirill Serebrennikov eine Rarität auf dem Spielplan.
Foto © Frol Podlesnyi
Schnittkes «Leben mit einem Idioten» ist für den vom Sprech-Theater kommenden und klar dem Regietheater verpflichteten Serebrennikov ein deutlich geeigneteres Werk als Mozarts «Cosi fan tutte» – seine erste Zürcher Regiearbeit –, denn hier erhält vom Komponisten einen Freibrief sich auszutoben: «Andere Interpretationen sollen auf jeden Fall dieselben irrationalen und zerstörerischen Nuancen des Werkes entdecken und andere hinzufügen». So wird die von der Neuen Zürcher Zeitung aufgedeckte vermeintliche «Zensur» – die Eliminierung aller Bezüge zu Russland – eine Randnotiz. Was bleibt, ist wie so häufig die fehlerhafte Zuschreibung des Stücks: Es wird das «Leben mit einem Idioten» Serebrennikovs und nicht das «Leben mit einem Idioten» Schnittkes und Jerofejews gezeigt. Historisch interessierte Zuschauer kommen nicht zum Zuge: um so mehr aber die Liebhaber des Regietheaters, denn es fehlt letztlich das Vertrauen ins Wissen der Zuschauer: «Assoziationen, die man eben hatte, wenn man in den 1980er oder 1990er Jahren in der Sowjetunion lebte, und die wir hier und heute naturgemäss nicht mehr haben. Aber ich muss sagen: Wenn das Timing genau stimmt, dann ist die Musik auch dann lustig, wenn man nicht mehr alle Referenzen kennt» Programmheft: (Dirigent Jonathan Stockhammer im Gespräch über seine Sicht auf Alfred Schnittkes Oper).
Für Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme der Produktion zeichnet Kirill Serebrennikov Verantwortung. Die Episoden aus der nicht linear erzählten Handlung (Libretto: Viktor Jerofejew) spielen sich in einem weissen, kühlen, fast laborartig anmutenden Raum statt. Epizentrum des Stücks über Homosexualität und Gewalt in der Ehe ist entsprechend das Ehebett. Serebrennikov erzählt sehr direkt, ohne Hemmungen. Evgeny Kulagin hat die Choreographie besorgt, Franck Evin die Lichtgestaltung und Ilya Shagalov die Videos.
In Schnittkes «Leben mit einem Idioten» hat der Chor eine herausfordernde Bedeutung: er ist Spiegel des Zuschauerraums kommentiert wie ein griechischer Chor in der antiken Tragödie die Ereignisse oder verkörpert das Schicksal. Janko Kastelic, Johannes Knecht und Ernst Raffelsberger haben den Chor der Oper Zürich tadellos vorbereitet. Jonathan Stockhammer hat die musikalische Leitung des Abends inne und führt die Philharmonia Zürich sicher durch die komplexe Partitur.
Das Ensemble der Solisten ist mit Bo Skovhus als Ich , Susanne Elmark als Frau, Matthew Newlin als Idiot eindrücklich besetzt und überzeugt stimmlich wie szenisch mit intensiver Darstellung. Campbell Caspary doubelt den Idioten in den einschlägigen Szenen. Magnus Piontek als Wärter, Birger Radde als Marcel Proust und Alvin Scheiwiller als Ich als Kind komplettieren den Besetzungszettel.
Ein Abend für Fans des Regietheaters.
Weitere Aufführungen:
Do. 14. Nov. 2024, 19.00; Sa. 16. Nov. 2024, 19.00; Fr. 22. Nov. 2024, 19.00; Fr. 29. Nov. 2024, 19.00; So. 01. Dez. 2024, 20.00.
12.11.2024, Jan Krobot/Zürich