Zürich Opernhaus: Abschiedskonzert Matti Salminen – 12.11.2016
Persönlichkeit ist das Geheimnis oder Der Fels in der Brandung
Matti Salminen: Rolf P. Schwibbe
Wer wie der Schreibende schon über fünfzig Jahre in die Oper geht, dem war ein Sänger wie Matti Salminen ein liebgewordener Wegbegleiter. Immer wieder faszinierte der finnische Hüne durch seine gross-kalibrige, auf Goldgrund gerundete Stimme von des „Basses Urgewalt“. Doch nicht nur „die grossen Töne“, über die er zweifellos auch heute noch verfügt, waren beeindruckend, sondern es war vor allem seine Messa di voce, die ihn ein langes, auf dem Atem gleitendes Legato bilden liess, und ein sublimes Piano, mit dem er auch einen Hagen und Daland, wahrlich zwei wenig sympathische Figuren der Opernszene, zu wahren Menschen werden liess und nicht zu bedienten Opern-Klischees.
So begann auch das sog. „Abschieds-Konzert“ – war es das nun wirklich? – mit der von Leif Segerstam, seinem Weggenossen aus Finnland, dirigierten Dritten Leonore Beethovens, die von der in grosser Besetzung angetretenen Philharmonia ohne Pathos, aber mit Dramatik und wohlausgewogener Balance in den Orchesterstimmen musiziert wurde. Dann sang Matti Salminen die erste Arie Sarastros „O Isis und Osiris“, eine Partie, der er sicher über 500 Mal an allen Opernhäusern der Welt gesungen hat. Salminen wirkte noch nicht ganz in seinem Element – offenbar hatte ihn die spürbare Zuwendung des Publikums im voll besetzten Opernhaus Zürich doch etwas gar überrascht und sicher auch berührt. Dann spielte die Philharmonia die Polonaise aus Tschaikowskys „Eugen Onegin“, wobei der Chor – die Herren hatten schon in der Sarastro-Arie sekundiert – mit vom Publikum mitgetragenen „Heia!“ für Matti rief. Es folgte die Arie des Gremin, den Salminen auch unzählige Male gesungenen hat, jene „Ein-Arie-Partie“, natürlich im russischen Original, wo die herbe Klangfarbe des Bassisten sich mit einfühlsam gesungenen Passagen vermählte. Dann sang der Chor (Einstudierung: Jürg Hämmerli) den Freiheitschor aus Verdis „Nabucco“, den Segerstam eher langsam, aber umso authentischer und wenig „Wunschkonzert-mässig“ dirigierte. Zur Abrundung des ersten Teiles sang Salminen eine überwältigend tief empfundene Arie des Königs Philipp II „Ella giammai m’amò“ aus Verdis „Don Carlo“. Die ganze Tragik des Königs, seine Einsamkeit, sein Verzweifeln an sich selbst, die Liebe zum Sohne – alles das war in dieser Interpretation enthalten: ein bewegendes Porträt eines der ergreifendsten Charaktere des Opern-Universums.
Nach der Pause dann ging’s mit einer vom hörbar gemachten Wellengang gepeitschten „Holländer“-Ouvertüre des ungestümen jungen Wagner weiter. Hier wieder die Selbstverständlichkeit, mit welcher Leif Segerstam die weiten Melodie-Linien spannt und die ganze Ouvertüre vor den Ohren des Publikums quasi wie neu erstehen lässt. Mit Dalands „Mögst du mein Kind“ zeigte sich Salminen wieder aufs Neue als einer der bedeutendsten Menschendarsteller des heutigen Musiktheaters. Wie er den Daland zwischen der Liebe zur Tochter und der kupplerischen Absicht des habgierigen Vaters mit rein stimmlichen Mitteln und wenig, aber wirksam gesetzten Bewegungen – unterstützt von einer sparsamen Mimik – zum Leben erweckt – da ist schon ganz grosse Kunst. Intendant Andreas Homoki wirkte an diesem Abend als Gratulant und charmanter Moderator, der dem Sänger nur wenige Stichworte zu geben brauchte, wozu dann Salminen witzige Anekdoten und Stationen seiner nun fast 50jährigen Karriere beisteuerte. Salminen nannte Dr. Claus Helmut Drese seinen wesentlichen Mentor, als für ihn wichtige Regisseure Jean-Pierre Ponnelle und Patrice Chéreau (Salminen sang ja beim Bayreuther Jahrhundertring alternierend beide Riesen und Hunding). Von Hans Wallat, dem uneitlen und wenig karrieresüchtigen Dirigenten, habe er alles erfahren, was es über Wagner zu wissen gab. Und über Götz Friedrich, der ihn als Hagen nach seinem Wachtgesang bis zum Schluss des 1. Aktes der „Götterdämmerung“ quasi als Zeuge sitzen liess, wusste er zu erzählen, dass der Regisseur dem Sänger, der sich in dieser stummen Szene durch einen Chorsänger vertreten lassen wollte, mit Bestimmtheit beschied: „Keiner so sitzt wie du!“. Inzwischen hatte man auch einen Sessel herbeigetragen, auf den sich dann Salminen setzte und mit Einsetzen der schwarzen Gibichungen-Klänge von Hagens Wachtgsang auf dem Sessel nach vorne rückte und eine lauernde Stellung einnahm. Und wie fabelhaft sich die Klangfarben des Orchesters mit denen mischte, die Salminen für den Sohn Alberichs auf der Palette seiner Charakterisierungskunst „zauberte“.
Matti Salminen, Leif Segerstam. Rolf P. Schwibbe
Und als Höhepunkt des Abends wurde die ganze Sterbeszene von Mussorgskis Boris Godunov (ich glaube, es wurde die Schostakowitsch-Fassung gespielt) gegeben. Da trat zuerst Valeriy Murga als Schtschelkalow auf, firm und ankündigend, gefolgt vom noch am Opernstudio tätigen jungen Georgier Otar Jorjikia, der einen im Stimme und Gestik ganz fabelhaften Intriganten Schuiskij hinlegte: Bravo dem jungen Mann! Dann liess Pavel Daniluk sein echt russisches Bass-Material als eindringlicher Pimen ertönen. Matti Salminen war nun ganz in die Figur des Boris eingedrungen und gestaltete, nein er transzendierte wahrlich die Sterbeszene des Boris. Es war unglaublich, die Ergriffenheit im Publikum war echt zu spüren. Die junge Yulia Mennibaeva war ein glaubwürdiger Fjodor.
Als Zugabe gab’s einen finnischen Tango, der offenbar als zweite Landeshymne gilt, womit Salminen auf seine frühen Jahre als Schlager- und Tango-Sänger hinwies. Und als witzigen Abschluss gab’s das Finale aus Strauss‘ Schweigsamer Frau: „O wie schön ist doch Musik – aber wie schön erst, wenn sie vorbei ist“ und mit „Nur Ruhe….Aaah!“ endet. – Mit einem Zwinkern in den gewitzten Augen nahm Salminen den Applaus – natürlich Standing Ovation – entgegen. Tja, hoffentlich war’s nicht das letzte Mal! Danke Matti!
John H. Mueller