Gioacchino Rossini: La Cenerentola • Opernhaus Zürich • Vorstellung: 21.03.2023
(6. Vorstellung • Wiederaufnahme: 08.03.2023 • Premiere am 17.09.1994)
Vier Bühnentiere steigern sich
Die an René Magritte erinnernden Melonen vor blauem Himmel, surrealistische Säulenkonstruktionen und ein klassischer Kamin sind die charakteristischen Elemente des Bühnenbilds (Luigi Perego) der fast dreissig Jahre alten Inszenierung von Cesare Lievi. Die hoch ästhetischen, klassischen Kostüme Peregos unterstützen den märchenhaften Eindruck der Produktion. Wichtigstes Charakteristikum ist die Lebendigkeit der Inszenierung: Die dreissig Jahre sind an der Bühne natürlich nicht spurlos vorübergegangen. Ansonsten ist die Produktion aber so frisch und vergnüglich wie bei der Premiere.
Foto © Monika Rittershaus
Das Kraftzentrum der Produktion ist Cecilia Bartoli als Angelina, genannt Cenerentola. Die Römerin, die auch schon in der Mitte ihres sechsten Lebensjahrzehnts steht, agiert auf der Bühne mit der Energie einer Zwanzigjährigen, szenisch wie stimmlich. Es ist schlicht beeindruckend zu sehen, wie sie in der Rolle aufgeht und in dieser singulären, nicht zu bändigenden Spiellust Bühne wie Graben mitreisst. Das Opernhaus Zürich ist für ihre Stimme ideal und so setzt sich das Singuläre in ihrer musikalischen Interpretation ungebremst fort. Die Koloraturen perlen wie Champagner, die Läufe haben in den dreissig Jahren nichts an ihrer atemberaubenden Geschwindigkeit eingebüsst und die Farben leuchten so kräftig wie eh und je. Mit Levy Sekgapane ist die Rolle des Don Ramiro, Prinz von Salerno, mit einem der führenden «anmutigen Tenöre» (Tenore di grazia) besetzt. Sein warmes, zum Weiss tendierenden Timbre krönt er mit schier endlosem Atem und eleganter Kraft, mit beeindruckender Musikalität. Er geht in seiner Rolle, mit der er 2014 in Chemnitz seine Bühnenkarriere begonnen hat, voll und ganz auf und erreicht so eine Bühnenpräsenz, die der Bartolis ebenbürtig ist. Die beiden erreichen ein Niveau jenseits der Wiedergabe der Probenarbeit, wo sie frei spielen und sich nur noch mit kurzen Blicken verständigen können. Nicola Alaimo als Don Ramiros Diener Dandini, reisst mit seiner szenischen wie stimmlichen Beweglichkeit das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Sein spontaner Kniefall vor Cenerentola löst im Graben erstmal allgemeines Grinsen aus und wird dann später von Segkapane ad hoc in seine Interpretation eingebaut. Mit der Grösse seiner Stimme kann er das Haus mühelos füllen, erliegt aber nie der Versuchung es zu übertreiben. Die Stimme ist wunderbar agil, was Alaimos grossen komödiantischen Talent sehr zugutekommt. Alessandro Corbelli gibt einen herrlichen Don Magnifico, Vater von Clorinda und Tisbe. Er interpretiert die Rolle ähnlich wie Carlos Chausson, dem sie auf den Leib inszeniert wurde und sie jahrelang – hier würde sogar jahrzehntelang passen – gab. So wurde er für viele Zürcher zu dem Don Magnifico: man wurde mit ihm gross. Er macht dem Publikum den Wechsel mehr als nur leicht, da vieles bekannt vorkommt und es doch keine sklavische Kopie ist. Wie schon seit Jahren, liefern sich an diesem Abend Liliana Nikiteanu als und Rebeca Olvera als Clorinda einen prächtigen «Zickenkrieg». Die grosse Überraschung dieser Serie ist Stanislav Vorobyov als Alidoro, Philosoph und Lehrer Don Ramiros. Seine Interpretation ist gereift und mittlerweile weit mehr als nur «solide». Mit gewachsener Erfahrung und gesteigertem Selbstbewusstsein gelingt ihm eine Interpretation der Rolle, wie man sie sich vom jungen László Polgár hätte vorstellen können.
Mit herrlich sattem Klang tragen die Herren vom Chor der Oper Zürich (Choreinstudierung: Ernst Raffelsberger) zum Gelingen des Abends bei.
Das Orchestra La Scintilla unter musikalischer Leitung von Gianluca Capuano hat wieder einen grossartigen Abend und bringt Rossinis Partitur hoch konzentriert und mit viel Leidenschaft zum Klingen. Es trägt die Sänger durch den Abend.
Weitere Aufführung: Fr. 24. März 2023, 19.00.
22.01.2023, Jan Krobot/Zürich