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ZÜRICH/ Oper: IPHIGÉNIE EN TAURIDE. Premiere

Cecilia Bartoli als überwältigende Iphigénie    

03.02.2020 | Oper


Cecilia Bartoli. Foto: Monika Rittershaus

Zürich: IPHIGÉNIE EN TAURIDE  – Premiere 2.2.2020    

Cecilia Bartoli als überwältigende Iphigénie    

Die Inszenierung von Andreas Homoki dringt in die psychischen Tiefen der Tragödie um Iphigenie und ihren Bruder Orest ein. Schwarz ist die gesamte Ausstattung (Bühnenbild und Kostüme: Michael Levine), der perspektivisch nach hinten zulaufende Raum in der fensterlosen Enge, wo sich nur gelegentlich Risse auftun. Schwarz sind auch die Kostüme, wahrhaft prachtvoll in ihrer strengen Eleganz und einhüllenden Trauer zugleich. Schwarz ist überhaupt die Farbe dieser Inszenierung, dieser Tragödie um die Kinder von Agamemnon und Klytemnästra, des von den Göttern verfluchten Atridengeschlechts.  

Im Vorspiel schon und im ersten sturm-umwehten Solo der Iphigénie erleben wir, wie sie vor ihrem geistigen Auge die verhängnisvolle Mordserie in ihrem Elternhaus immer wieder schmerzerfüllt erleben muss. In dieser Regie werden die Taten in der Familie Agamemnons durch hell gekleidete, stumme Figuren vergegenwärtigt. Iphigénie, die durch ihren Vater Agammnon hätte geopfert werden sollen, wurde einst durch die Göttin Diana entrückt und dadurch gerettet. Sie dient nun als deren Priesterin, fernab der griechischen Heimat. Da herrscht nun der Tyrann Thoas, der selbst, durch einen göttlichen Fluch gebunden, jeden Fremden, der seine Insel betritt, töten lässt, da durch ihn sein eigener Tod droht. Das ist nun eine wahrhaft meisterhaft geschmiedete dramaturgische Ausgangslage für eine echte Tragödie, wo mehrere Schicksale unentrinnbar miteinander verknüpft sind.

Die Schicksalsgöttinen haben es nicht gut gemeint mit Iphigénie, die wider  Willen als Priesterin ihrer Retterin, der Göttin Diana, dienen muss. Als ihr zwei Fremde zum Opfertod überantwortet werden, kann sie aus Menschlichkeit und Mitleid ihre Pflicht nicht erfüllen. Sie ersinnt eine List, um einen der Fremden zu retten, was aber misslingen muss, da keiner der Fremden um den Tod des andern in die Freiheit will. In dieser Klimax der äusseren wie inneren Situation erkennt Iphigénie durch eine Äusserung von Oreste in ihm ihren Bruder. Hier kann nur ein Deus ex machina die Lösung liefern, hier in der Person der Göttin Diana, die wiederum in dieser Inszenierung auch Klytemnästra, die Mutter von Iphigénie und Oreste, ist. Nur eine Mutter kann verzeihen! Und auch nur der Vater Agamemnon, der hier der Wiedergänger von Thoas ist, kann hier die Hand zur Vergebung reichen.

Fazit: Die Freunde können entfliehen. Iphigénie aber bleibt zurück, bei ihren Priesterinnen, zieht sich den Schleier übers Gesicht … und die Geschichte könnte hier wieder von vorne beginnen. Ein kluges Konzept, das aufgeht, und auch theatralisch seine Wirkung nicht verfehlt.

Dieses Konzept wird umgesetzt durch eine Besetzung, die das an persönlichem und stimmlichen Einsatz voll gewärtigen kann. Cecilia Bartoli ist es, die die unglückliche Iphigénie nicht nur singt und spielt, sondern mit ihrer ganzen Persönichkeit auch ist. Sie ist es, die die nahezu zwei Stunden Spieldauer fast unentwegt auf der Bühne steht und diese mit ihrem Charisma erfüllt. Zudem ist  die Tessitura ihrer Stimme wie angegossen angepasst. Mehr noch: Mit welchen Farben, welchen Nuancen an Ausdruck, Spannung und Agogik, sie diese Partie anreichert, sucht ihresgleichen. Man kann nur noch staunen, wie sehr diese grossartige Künstlerin uns in ihren Bann zieht.


  Stéphane Degout, Frédéric Atoun. Foto: Monika Rittershaus

Ihr zur Seite überzeugten das ebenso idiomatisch besetzte Freundespaar Frédéric Atoun als Pylades (in Zürich bereits bekannt als Don Fernando aus der Serebrennikov-Regie der „Così“) und Stéphane Degout als grandioser Oreste, in seinem Debut am Opernhaus. Die beiden Sänger waren nicht nur stimmlich wunderbar aufeinander abgestimmt und dabei doch ganz verschieden, sondern auch darstellerisch als Freundespaar ganz ernsthaft und wirkten in ihrem Liebesverhältns nie peinlich. Stéphane Degout besitzt eine grosse Baritonstimme, mit der er die ihn plagenden Angstträume dramatisch aufgeheizt umsetzen kann, dabei aber auch die lyrischen verinnerlichten Passagen seiner Selbstschuld mit perfekter Legatotechnik nicht vernachlässigt. Sein Gegenpart, der jugendlich aufbrausende Pylades war bei Frédéric Atoun ebenso gut aufgehoben wie der Oreste bei seinem Partner. Seine dunkel gefärbte, lyrische Tenorstimme mischt sich ganz wunderbar mit dem dramatisch drängenden Bariton von Stéphane Degout. Als Thoas, der auch den Agamemnon darstellt,  beeindruckt Jean-François Lapointe mit seinem dramatisch ausladenden Bass. Sehr gut auch die junge Norwegerin Brigitte Christensen als Diana, die in späteren Auführungen die Iphigénie von Cecilia Bartoli übernehmen wird. In wenigen Phrasen hörten wir als „Eine Griechin“ den schön timbrierten Mezzo von Katia Ledoux, die aus dem Opernstudio besetzt wurde, und dies mit Recht!

Der Chor des Opernhauses (Einstudierung: Janko Kastelic) war sorgfältig  vorbereitet und sang – vor allem die äusserst schwierig zu singenden  Damenchöre – hervorragend: grosses Kompliment! Und dann La Scintilla, die fabelhafte historische Orchesterformation der Philharmonia, spielte unter Leitung von Maestro Gianluca Capuano einfach grossartig, wunderbar in den Klangfarben und der dramatischen Zuspitzung. Nicht zu vergessen sind die beiden Kinder-Statisten Noelia Finocchiaro und Andres Wittmann als die Kinder Iphigénie und Oreste.  

Eine grossartige Produktion des Opernhauses Zürich – in jeder Beziehung!

Bravi tutti!

John H. Mueller          

 

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